Sie nutzten an vielen Stellen des Kontinents Sümpfe, Marschen, Überschwemmungsebenen, Flachseen, kurz: alle Arten von Feuchtgebieten zum Anbau auf „Hochäckern“: das Aushubmaterial von Entwässerungsgräben wurde zu schmalen, erhöhten und parallel laufenden Ackerstreifen angeschüttet, die Agralandschaft erhielt das Aussehen eines Waschbretts. Reste dieser ausgetüftelten Anbautechnik, die um ein Vielfaches produktiver war als herkömmliche Anbauformen, haben sich in vielen Ländern, so zum Beispiel in Kolumbien, Peru, Bolivien, Ecuador und Belize unter verschiedenen Namen erhalten. In Peru etwa heissen die Hochäcker waru waru, aber in Ecuador camellones (für längliche Ackerstreifen) und plataformas (für inselartige Hochfelder).
In das Kapitel produktivster Bodennutzung gehören auch die Chinampas, mit denen die Azteken die sumpfigen Ränder der Flachseen im Hochtal von Mexiko bestückten. Durch Abstechen von Morastboden und Auffüllen von rechteckigen Einfassungen aus Flechtwerk schufen sie künstliche Inseln. Wasser strömte in die Ausstiche und verwandelte sie in Kanäle. Das Wort chinampa geht zurück auf eine aztekische Bezeichnung für einen Zaun aus Schilfrohr. Diese Zäune wurden später mit Weiden verstärkt; deren Wurzelwerk ersetzte zuletzt die künstlichen Borde. Die Chinampas gingen an den Wurzeln ihres Bewuchses vor Anker. Ob sie vorher jemals frei wie bepflanzte Flösse umher schwammen, ist unsicher. Unsicher ist auch, ob die Chinampa-Anbautechnik eine aztekische Erfindung war. Im Hochtal von Mexiko waren die Azteken Spätkömmlinge. Sie mussten anfänglich mit einigen armseligen Inselchen im Texcoco-See vorliebnehmen. Diese bauten sie jedoch mit Hilfe der Chinampa-Technik zu der schimmernden Hauptstadt Tenochtitlán aus, die später die Spanier nach der Eroberung durch Hernán Cortés im August 1521 als ein zweites Venedig bestaunten. Das Labyrinth der Chinampas auf den Flachseen erzeugte die Agrarüberschüsse als Vorausetzung für die militärische und politische Expansion der neuen Herren.
1987 verlieh die Unesco dem Stadtkern von Mexico City aus der Zeit der Conquista gleichzeitig mit den noch vorhandenen vorspanischen Chinampas Welterbestatus. Ein Restbestand von Chinampas im Stadtteil Xochimilco („Ort der Blumenfelder“) erzeugt Gemüse und Früchte für die Megalopole, etwas Mais für die Selbstversorgung und Florales für den örtlichen Blumenmarkt. Die überlebenden Chinampas sind im Durchschnitt 17 Meter breit und 50 Meter lang; ausnahmsweise können sie sich aber bis zu einem Kilometer Länge und 100 Meter Breite ausdehnen. Jede Chinampa ist in Beete unterteilt. Heute sind die Chinampas akut von dem landverschlingenden Stadtmoloch Mexiko bedroht. Zudem setzt ihnen der sinkende Wasserspiegel zu; immer mehr Pumpen müssen eingesetzt werden, um die hochliegenden Beete zu bewässern. Ihre Tage sind wohl gezählt – und mit ihnen die der chinamperos, Überbleibsel des stolzen aztekischen Staatsvolks, die untereinader noch immer aztekisch (Nahuatl) sprechen. – Jahr des Flugbilds: 1971 (Copyright Georg Gerster/Keystone)