Die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) sieht in diesen Schätzen ein Erbe der Menschheit. 2001 haben ihre Mitglieder eine internationale Konvention zum Schutz des Unterwassererbes abgeschlossen. Zum zehnten Jahrestag dieser Konvention trafen Mitte Dezember rund 200 namhafte Forscher in Brüssel zusammen, um ihre Erfahrungen auszutauschen. Die auf dem Meeresboden schlummernden Kulturgüter, die Auskunft über vor Jahrtausenden verschwundene Zivilisationen liefern können, sind nämlich von zahlreichen Gefahren bedroht: den Schleppnetzen der Fischkutter, den Bohrungen nach Erdöl und Gas, dem Bau von Unterwasser-Pipelines, einem wilden Tauchtourismus und der planmässigen Plünderung.
Als Russlands Premierminister kürzlich einen Tauchausflug machte, förderte er flugs eine antike Amphora zutage. Das war natürlich eine Inszenierung fürs Fernsehen. Es gibt aber finanzkräftige Firmen, die gezielt und mit modernsten Geräten ausgerüstet gesunkene Schiffwracks orten und ausplündern. In den letzten Jahren wurden mehr als 300 grosse gesunkene Schiffe kommerziell ausgebeutet. „Jedes davon enthielt so viele wertvolle Gegenstände, dass damit ein ganzes Museum gefüllt werden könnte“, stellt die UNESCO fest.
Hinweise auf das Aussterben des Neandertalers
Die UNESCO-Konvention, die bisher bloss von 40 Staaten ratifiziert wurde, will dem von Wasser bedeckten Kulturerbe der Menschheit den gleichen Schutz angedeihen lassen wie archäologischen Stätten auf dem Festland. Die Hauptursache für das Versinken ganzer Städte sehen die Forscher im gestiegenen Meeresspiegel während der Klimaänderungen der quartären Eiszeit, die vor 10'000 Jahren zu Ende ging. Während dieser Epoche fiel im Mittelmeerraum viel Regen. Der Spiegel des Mittelmeers stieg um 40 bis 130 Meter, bis er sich vor etwa 6000 Jahren auf dem heutigen Niveau stabilisierte.
Die Sage von der Sintflut geht vielleicht auf diese Regenzeit zurück. Jedenfalls wurden damals viele Siedlungen überschwemmt. Manche entstanden vor 300'000 Jahren. Nach den Ausführungen des britischen Experten Geoff Bailey von der Universität York auf dem Brüsseler Symposium liegen die meisten archäologischen Fundstätten in einer Wassertiefe von zehn bis 40 Meter. Die gehobenen Materialien wie Holz oder Fasern befinden sich laut Bailey in einem „spektakulären Erhaltungszustand“. Sie könnten Hinweise auf die soziale Evolution der frühen Menschen aus Afrika und das Aussterben des Neandertalers liefern.
Kamikaze
Aber auch über die jüngere Geschichte vermitteln die Spuren auf dem Meeresboden Auskunft. Für China und Japan ist die „verschwundene Flotte des Kubilai Khan“ von historischer Bedeutung. Der mächtige Mongolenherrscher, an dessen Hofe Marco Polo lebte, hatte sich in den Kopf gesetzt, Japan zu erobern. Nach einem gescheiterten Versuch im Jahre 1274 rüstete er 1281 eine Flotte von 4400 Schiffen mit 140'000 Soldaten aus. Das Gros dieser Flotte stach von Südchina aus in die See. Vor der Küste Japans gerieten aber die Schiffe in einen Taifun und sanken mit Mann und Maus.
730 Jahre später gibt das spurlose Verschwinden dieser riesigen Flotte weiterhin Rätsel auf. Es handelte es sich um die grösste Marineinvasion aller Zeiten, die erst von der Landung der Alliierten im Juni 1944 an der Normandie übertroffen wurde. Den Wirbelsturm, der die chinesische Flotte versenkte, nannten die Japaner Kamikaze („göttlicher Wind“). Das Wort stand im Zweiten Weltkrieg für Selbstmordpiloten.
Von Schatzsuchern geplündert
Jetzt, im Oktober dieses Jahres, entdeckte ein japanisches Forscherteam unter Leitung von Kenzo Hayashida mit Hilfe von Ultraschall ein nahezu unversehrtes Wrack der verschwundenen Kriegschiffe. Es liegt in der Nähe von Nagasaki in 25 Meter Wassertiefe unter einem Meter Sand. Um das Wrack herum wurden über 4000 Objekte wie Keramiken und Kanonenkugeln ausgebuddelt. Hayashida ist der führende Marinearchäologe Japans und sucht die Flotte des Kubilai Khan seit 20 Jahren. Seine Entdeckungen tragen dazu bei, den Untergang der Flotte aufzuklären. Historiker meinen, dass die Schiffe nur bedingt hochseetüchtig waren, weil sie nach dem Muster chinesischer Flusskähne flache Böden ohne Kiele hatten.
Seit sich der Mensch aufs Meer wagt, sind Schiffe gesunken. Allein in der Bucht von Angra auf der Azoreninsel Terceira liegen mindestens 96 Wracks. Die ältesten stammen aus dem Jahre 1522. Spanier und Portugiesen transportierten mit diesen Schiffen Reichtümer aus der Neuen Welt in die Heimat. Die meisten Wracks wurden von Schatzsuchern geplündert oder 1998 beim Bau eines Jachthafens beschädigt, bevor die Regierung die Bucht 2005 zu einem archäologischen Unterwasserreservat deklarierte.
Bei den Vorarbeiten für eine U-Bahn unter dem Bosporus in Istanbul fand man 36 alte Schiffwracks. Die Monteure der Gasleitung North Stream durch die Ostsee stiessen auf das Wrack eines holländischen Handelsschiffs aus dem 18. Jahrhundert. Besonders reich an gesunkenen Schiffen sind die Ägäis und das Schwarze Meer. Das Forschungsteam Nautilus hat dort in den letzten vier Jahren 40 Wracks geortet, die zum Teil aus dem antiken Griechenland stammen.
Der libysche Diktator Muammar Gadhafi beauftragte 2008 eine italienische Gesellschaft mit der Erforschung der Küsten von Tripolitanien und Cyrenaika. In zwei Expeditionen wurden vor den Ruinen von Leptis Magna und Apollonia versunkene Stadtteile und Schiffe gefunden. Gaddafis Plan war, einen Unterwassertourismus anzukurbeln.
Selbst in der Adria, vor den Stränden von Grado und Caorle, liegen Schiffe aus der Römerzeit auf dem Grund. Sie sind aber schon schwer beschädigt. Die grössten Feinde der Unterwasserarchäologen sind die mit „Turbogebläsen“ ausgerüsteten Fischtrawler. Diese 350 Kilo schweren Geräte werden über den Meeresboden gezogen, um Muscheln aus dem Sand zu holen. Sie hinterlassen dabei zwei Meter breite und einen halben Meter tiefe Furchen.