Die kämpfenden Staaten waren sehr verschieden: die USA eine Demokratie, in der die Kampforgane einer gewissen Kontrolle unterstanden; Algerien stand unter einer Militärdiktatur, in der die kämpfenden Militärs ohne irgendwelche Einsprache tun und lassen konnten, was sie wollten.
Die Rolle der Geheimdienste
In Algerien waren es die Geheimdienste, welche die führende Rolle im Antiterror-Krieg spielten, wenngleich die Soldaten die Blutarbeit leisten mussten. In den USA spielten die Geheimdienste ebenfalls eine grosse Rolle. Doch sie hatten damit zu rechnen, dass sie möglicherweise zur Rechenschaft gezogen würden, wenn sie allzu massives Unrecht begingen. Dies war in Algerien nicht der Fall.
Kampfmethoden ausserhalb jeder Kontrolle
Aus diesem Grund entwickelte sich der algerische "Bürgerkrieg" zu einem letztlich undurchsichtigem Ringen, in dem "provocation et intoxication" eine wichtige Rolle spielten. Diese Kampfmethoden hatten die Algerier im Befreiungskrieg ihres Landes (1954-62) von ihren französischen Gegnern gelernt. Es gab mörderische Ereignisse und blutige Episoden, bei denen für immer unklar blieb, ob sie von den offiziell islamistischen Kämpfern der GIA (groupes islamiques armés) ausgingen oder von Geheimdiensten geplant und gesteuert waren, die beabsichtigten ihre islamistischen Gegner zu diskreditieren, indem sie für Massaker an unschuldigen Algeriern sorgten und diese den Islamisten zuschrieben.
Mit Sicherheit gab es das Phänomen der "Falschen Strassensperren". Dies waren solche, in denen entweder Islamisten in Armeeuniformen die Sperren bemannten, um Armeeangehörige festzusetzen; oder umgekehrt Armeeangehörige verkleidet als Islamisten, mit dem Ziel, Islamisten zu überlisten.
Verlagerung in die Sahara
Man erinnert sich an diese schlechten Zeiten angesichts des neuen Terrorkriegs der in der Sahelzone ausgebrochen ist und nun nicht nur Mali, sondern auch in Algerien miteinbezieht. Der "alte" Terrorkrieg hatte nie ganz aufgehört. Er hat sich in die Wüste verlagert und ist gegenwärtig in Mali wieder voll ausgebrochen.
Weiterhin federführend: die Geheimdienste
In Algerien wurde er immer fort und wird er noch heute von den Geheimdiensten gesteuert. Sie gehen zurzeit unter der Siegel DRS (directoire de securité). Ihre Methoden und der "esprit de corps", die damals bestanden, wirken bis heute weiter. Das Personal hat sich erneuert, doch die Institutionen verblieben und haben das neue Personal in ihrem Geist aufgezogen, gewiss mit einigen Korrekturen, weil die allerdrastischsten Schritte nun vermeidbar geworden waren. Die Undurchsichtigkeit und die Unantastbarkeit aber blieben.
Algeriens empfindliche Selbstständigkeit
Zum Geist, in dem das algerische Ringen - auf beiden Seiten - geführt wurde, gehörten auch auf beiden Seiten starke Ressentiments gegenüber "den Franzosen", den Europäern und allgemein den reichen Ländern der industrialisierten Welt mit ihrer Vormacht Amerika. Die Islamisten warfen der "westlichen Welt" vor, die Zerstörung der algerischen Demokratie durch die algerischen Offiziere vom Januar 1992 geduldet und möglicherweise ermutigt zu haben. Die Militärs jedoch fanden, "Europa" lasse sie im Stich gegenüber den "Terroristen". Auch diese Gefühle wirken bis heute nach.
"Unsere Kriegsmethoden"
Das algerische Regime, das immer noch, wenngleich gemildert und an der Oberfläche leicht liberalisiert, das gleiche Siegerregime ist, das aus dem blutigen Bürgerkrieg hervorging, traut dem Ausland nicht, schon gar nicht dem französischen.
Wenn die islamistischen Kämpfer nun unter dem Namen von AQMI erneut zu bekämpfen sind, tun dies die Algerier "wie immer" von sich aus und nach eigenem Ermessen. Es gehört durchaus in die Tradition dieses Kampfes, dass er in aller erdenklichen Härte geführt wird. Wenn Unschuldige unter dieser Härte zu leiden haben, sei es! Die Hauptsache ist, dass die "Terroristen" umkommen!
Geheimdienstinformation
Was in Amerika als "collateral damage" gilt und derzeit im Fall der Drohnenangriffe und Drohnenmorde der Amerikaner in den islamischen Ländern, Pakistan, Afghanistan, Jemen, Somalia - und offenbar auch schon in Mali, von der Regierungsseite systematisch abgeschwächt und bestritten wird, von Regierungskritikern jedoch offen getadelt, kann in Algerien einfach verschwiegen werden, oder auch informativ verschleiert. Dies geschieht, indem ein informativer Nebel geschaffen wird, aus dem die Behörden, stets auf Weisung der Geheimdienste, das herausheben und ans Licht bringen, was betont werden soll: etwa die Zahl der "erlegten" Terroristen in erster Linie.
Dies geht in Algerien durch, weil niemand es wagen kann, den Geheimdiensten allzu suchende Fragen zu stellen, oder eigene Erkenntnisse über die heiklen Themen "ohne Konsultation" ans Licht zu bringen.
Kein Lohn für Geiselnahmen!
Der Grundsatz: "Wehret den Anfängen!" kann dabei von Algerien als Rechtfertigung angeführt werden. Alle Verhandlungen mit "Terroristen“, die Geiseln in ihrer Gewalt haben, führen notwendigerweise dazu, dass die Geiselnehmer etwas herausschlagen können. Ob viel oder wenig, hängt vom Lauf der Verhandlungen ab. Das bedeutet, dass die Geiselnehmer für ihre Untat belohnt werden und führt dazu, dass die gleichen Gruppen und zunehmend neue von ihnen weitere Geiselnahmen versuchen.
Im konkreten Fall der Kampfgruppen in der Sahara scheint es allmählich zu einem wichtigen Zweig der Eigenfinanzierung geworden zu sein, Touristen aus Europa gefangen zu nehmen und hohe Geldbeträge für ihre Freilassung zu erpressen. Die geldgebenden Staaten pflegen ihrerseits abzustreiten, dass sie Geld gezahlt hätten. Doch heisst das oft nur, dass eine "wohltätige" Geldgebergruppe zwischengeschaltet wurde.
Kriminelle Finanzierungsmethoden
Neben den Geiselgeldern gibt es in der Sahara noch andere Finanzierungsmethoden, "Zölle" aller Art auf dem Durchgangsverkehr und auch die Organisation eigener Verkehrsströme in erster Linie "verbotener" Art, hauptsächlich Schmuggel von Drogen und von Personen.
Ein südamerikanisches Transportflugzeug liegt als Wrack in der Sahara. Es wurde dort liegen gelassen, nachdem es Drogen und möglicherweise auch Waffen eingeflogen hatte... Auch Zigaretten rentieren, wie der Übername von M. Malboro zeigt, den der als Islamist auftretende Kämpfer Moukhtar Benmoukhtar neben anderen trägt. Die Algerier sagen, er und seine Gruppe hätten den Angriff auf ihre Gasförderstation, In Amenas, organisiert.
Geheimdienstpolitik
Zu den Kampfinstrumenten der algerischen Geheimdienste gehören seit je auch politische Schritte. Auch sie erfolgen völlig geheim und ohne Kontrolle durch Aussenseiter. Solche Schritte der Geheimdienstdiplomatie können durchaus der öffentlich angekündigten und geführten Diplomatie des Aussenministeriums widersprechen, wenn dies den Geheimdienstchefs als taktisch zweckmässig erscheint.
Die Gefahr des Zurückflutens
Im Falle von Mali war Algerien offiziell dafür, dass die Behörden von Mali ihre Schwierigkeiten im Norden des Landes selbst in die Hand nähmen. Wenn nötig mit Hilfe der Nachbarstaaten von ECOWAS. Für die Geheimdienste war es am wichtigsten, dass die erstarkenden islamistischen Kämpfer in der Sahara, in Mali und in den anderen Staaten des Südrandes der Sahara blieben. Sie mussten befürchten, dass ein Eingriff der Franzosen und anderer "Aussenseiter" aus Europa oder Amerika diese Kampfgruppen über die völlig offenen Wüstengrenzen hinweg in den Norden abdrängen könnte, zurück auf algerisches Staatsgebiet.
Um dies zu vermeiden, scheinen sie dem Vernehmen nach Beziehungen zu verschiedenen "Terrorgruppen" aufrecht erhalten zu haben.
Algerische Pläne für Mali
Es scheint, sie hegten die Hoffnung, die Touareg-Kämpfer der Ansar ad-Din unter Iyad Ag Ghali könnten ihr Bündnis mit den arabischen Brüdern und Gesinnungsgenossen von AQMI, die ihrerseits Enkel der oben erwähnten GIA sind (die Vater-Organisation hiess "Groupes Salafistes pour la Prédication et le Combat"), auflösen und dann möglicherweise in einem autonomen Touareg-Staat im Nordteil von Mali domestiziert werden. Die algerischen Dienste wirkten deshalb auf eine Versöhnung von Mali und den Touareg hin. Doch diese enttäuschten sie. Sie blieben bei ihrem Bündnis, bis sie zusammen mit AQMI (und mit Hilfe der von den Amerikanern in einem 500 Millionen-Projekt ausgebildeten und bewaffneten Touareg-Offiziere und Mannschaften der offiziellen Mali-Armee, die überliefen) die nördlichen Teile Malis erobert hatten.
Erst danach scheinen sie sich mit AQMI überworfen zu haben, als deren Kämpfer und Aktivisten die wichtigsten Städte des Nordens, Timbuktu, Gao und Kidal, für sich in Besitz nahmen.
Fehlschlag einer Politoperation
Der Fehlschlag der Versuche der Geheimdienstdiplomatie, die darauf ausging - so muss man vermuten, Sicherheit gibt es nicht - Ansar ad-Din frühzeitig gegen AQMI zu mobilisieren, dürfte dann bewirkt haben, dass die algerische Staatsdiplomatie den Franzosen den algerischen Luftraum für Kriegsflugzeuge nach Mali öffnete.
Neben AQMI und den Ansar ad-Din gibt es noch zahlreiche andere an den Kämpfen um Nordmali und in der Sahara beteiligte Gruppen. Die Fachleute führen mindestens drei weitere auf, säkulare und islamistische, doch die beiden erwähnten waren wahrscheinlich ausschlaggebend.
Die harte Linie Algeriens
Algerien wird zweifellos seine eigene Anti-Terrorpolitik fortführen, und es werden weiterhin die Geheimdienste sein, die sich ihrer in erster Linie annehmen. Sie werden mit Sicherheit ihre Methoden beibehalten, die ursprünglich aus dem algerischen Bürgerkrieg stammen. Dass alle 32 der Täter in In Amenas ihr Leben lassen mussten, werden die Geheimdienste als einen Erfolg verbuchen. Wenn dabei Ausländer umkamen, werden sie dies gewiss "bedauern", jedoch als einen Preis ansehen, der bezahlt werden musste und weiter bezahlt werden muss, falls es zu neuen Geiselnahmen kommen sollte. Das Hauptziel lag für sie darin, dass die "Terroristen" ausgeschaltet wurden, koste es was es wolle. Dies wird ihr Hauptziel bleiben.