Die Oper beginnt mit dem Ende: Mit „No, Didone!“ besiegelt der trojanische Held Aeneas seine Weigerung, bei der Geliebten zu bleiben. Er hat einem göttlichen Auftrag zu folgen, der ihm auch allnächtlich von seinem toten Vater angemahnt wird. Aeneas, von einem Unwetter an den punischen Strand gespült, gerettet und am königlichen Hofe von Karthago aufgenommen, hat nach dem Willen Jupiters den trojanischen Krieg nur überlebt, um im Latium die Stadt Rom zu gründen, den Ruhm Trojas also weiterleben zu lassen. Doch wie es die Dichter – in diesem Falle Vergil – so wollen, trifft er nach seiner Rettung auf Dido, Gründerin und alleinige Herrscherin von Karthago, welches aber eigentlich erst 300 Jahre nach der Zerstörung Trojas gegründet worden ist.
Anachronistische Liebesbegegnung
Was tut’s. Der dichterischen Phantasie Vergils in seiner „Aeneis“ und später des Librettisten Metastasio verdanken wir durch diese anachronistische Zusammenführung ein grosses, antikes Liebesdrama, welches unendlich oft behandelt und allein nach Metastasios Libretto bis heute über 60 mal vertont worden ist. Der im 18. Jahrhundert wohl angesehenste italienische Dichter seiner Zeit, Pietro Metastasio (1698–1782) hatte den Stoff mit dem untrüglichen Instinkt eines Theatermenschen, ungeachtet der historischen Anachronismen, ausgewählt und ihn zu seinem ersten Opernlibretto überhaupt umgeformt. Ihm sollten noch über 60 weitere Libretti folgen.
Die Krone sozusagen setzte der neapolitanische, schon zu dieser Zeit erfolgreiche Komponist Niccolò Jomelli (1714–1774) dem Werke auf und schuf eine grosse Oper im neapolitanischen Stil, welche für diese Zeit geradezu revolutionäre psychologisierende Ansätze aufweist. Jomelli war praktisch der erste Opernkomponist, welcher das übliche „recitativo secco“ (Rezitativ nur durch Basso continuo begleitet) nicht nur reduzierte, sondern vor allem das „recitativo accompagnato“ (Rezitativ mit Orchesterbegleitung) erweiterte und zu richtigen Szenen ausbaute. Er darf dadurch als wichtiger Wegbereiter für die szenische Entwicklung der Oper des 18. und 19. Jahrhunderts gelten und hat mit seiner affektgeladenen Musik auch Mozart stark beeinflusst.
Konflikt zwishen Liebe und Pflicht
„Didone und Aeneas“ handelt, vereinfacht gesagt, vom Konflikt zwischen Liebe und Pflicht, von Didos besitzergreifender, bedingungsloser Liebe einerseits und dem Hin- und Hergerissensein von Aeneas zwischen dem göttlichen Auftrag und seiner Liebe zu Dido. Womit wir wieder beim Anfang wären, der mit dem Ende dieser leidenschaftlichen Beziehung beginnt – ein ungewöhnlicher theatralischer Effekt, der leicht ins Leere laufen könnte. Metastasio und Jomelli wussten aber die Spannung durch höfische Intrigen, einen begehrlichen Nebenbuhler und eine weitere, Aeneas liebende, Frau, die Schwester Didos, meisterlich immer mehr aufzuladen. All der Dramatik setzt der Brand Karthagos und – so in der Aeneis – der Selbstmord Didos ein Ende. Bei der vorliegenden dritten Fassung des Werkes von 1763 aber bleibt die grosse Dido, „Didone“, von allen verlassen (abbandonata) inmitten des Flammenmeeres allein zurück.
Protagonisten auf dem Laufsteg
Auch in Basel ist dieses Crescendo der Gefühle natürlich Anreiz für die junge niederländische Regisseurin Lotte de Beer. Sie lässt das Geschehen auf einer Art Laufsteg abrollen, welcher sich durch den gesamten Zuschauerraum zieht. Die Protagonisten sind so den Blicken des Publikums von allen Seiten her ausgesetzt, schutzlos um sich selbst kreisend, zum Teil auch direkt durch das Publikum laufend, ruhelos. Das ist zwar ein effektvoller szenischer Gag, bedingt aber, dass sich die Sängerinnen und Sänger ununterbrochen in alle Richtungen bewegen. Dadurch entsteht, vom festen Publikumssitzplatz aus wahrgenommen, ein andauernd wechselnder Klang der einzelnen Stimmen, eine akustische Aufsplitterung, welche irritierend wirkt.
Obwohl die Besetzung der Oper mit nur sechs Protagonisten, ohne jeden Chor, zeitgemäss eine sehr kleine ist, führen die je drei Sängerinnen und Sänger, darunter zwei Countertenöre, durchaus „grosse Oper“ vor. Grössten Anteil daran hat die in Basel bereits mit Händels „Alcina“ bekannt gewordene Amerikanerin Nicole Heaston als Dido und der Südkoreaner Hyunjai Marco Lee als Karthagos begehrlicher Nachbarkönig Jarbas. Doch eigentlich sind deren Stimmen für ein solches Werk fast zu gross. Näher in Sachen Werktreue sind Vince Yi als Aeneas, Sarah Brady als Didos Schwester Selene, Ena Pongrac als intriganter Osmidas und Luigi Schifano als Araspes.
Höhepunkt der Aufführung
Musikalische Zentrierung und absoluter Höhepunkt dieser Aufführung aber ist das von der meist in Basel wirkenden Daniela Dolci mit Verve und Engagement seit 25 Jahren geleitete Barockensemble Musica Fiorita. Wie die Leiterin selbst, so sind auch viele der (in dieser Aufführung 25) Ensemblemitglieder aus der berühmten Ausbildungsstätte der Schola Cantorum Basiliensis hervorgegangen. Es verbindet sie also die gleiche musikalische Auffassung, welche sich, trotz aller individueller Virtuosität, in einem unglaublich homogenen Gesamtklang ihrer historischen Instrumente und bewusster dynamischer Gestaltung niederschlägt – ein Erlebnis.
„Didone abbandonata“ im Theater Basel. Aufführungen: 12., 13., 17., 20., 21., 23. Juni.