Auf dem Weg zu einer neuen Landeshymne, den zu beschreiten die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) fest entschlossen ist, wurde eine weitere Etappe erreicht. Die wettbewerbliche Suche ergab 208 Vorschläge, aus denen nicht weniger als dreissig Jurorinnen und Juroren dieser Tage sechs auswählten. In einer der Schicksalsschwere des Problems angemessenen Umständlichkeit kann sich die Bevölkerung zu den Einsendungen äussern. Wir haben die Texte der noch den Schutz der Anonymität geniessenden Poeten unter die Lupe genommen.
Zweckoptimismus oder Sachverstand?
Vorab sei festgestellt, dass gerade mal 208 Vorschläge angesichts des heftig geäusserten Unmuts über den Schweizerpsalm ein liederliches Pflichtgefühl verraten. Das könnte entweder Desinteresse vermuten lassen, zu grossen Respekt vor der Wettbewerbsaufgabe oder insofern Pietät, als der Schweizerpsalm zwar sperrig ins Morgenrot tritt, aber so vertraut ist, dass seine Entsorgung als schimpflich empfunden würde.
An allem ist wohl etwas dran, sicher so viel, dass die Übung hätte abgebrochen werden können. Doch offenbar gewann die Jury den Eindruck, die Einsendungen seien bloss quantitativ, nicht jedoch qualitativ ablöschend. Die Probe aufs Exempel soll zeigen, ob durchbeissender Zweckoptimismus oder kolossaler Sachverstand das Urteil bestimmte.
Fatales Vorbild
Inhaltlich gleichen sich die Vorschläge wie ein Ei dem andern. Sie verherrlichen die Schweiz ungebremst und loben sie pausbäckig als Glücksfall für den Rest der Welt. Sollte einer dieser Texte je von unserer Fussball-Nationalmannschaft gesungen werden, verhindert nur der haushohe Sieg die Preisgabe an die Lächerlichkeit.
Eine wesentliche Vorgabe der SGG lautete, die neue Hymne müsse Inhalt, Sinn und Geist der Präambel der Bundesverfassung berücksichtigen. Das war gut und als Hilfe gemeint, verkehrte sich indessen ins Gegenteil der Schadensstiftung. Zunächst einfach deshalb, weil die Präambel keinen Gesangszwecken dient und reimende Worte vorteilhafterweise meidet. Sodann leitet sie das wichtigste gesetzgeberische Werk ein, was geradezu nach Erhabenheit ruft. Schliesslich besitzt die Präambel eine Klarheit an Logik und Sprache, die zu übertreffen es sehr helle Köpfe braucht.
Solche blieben dem Wettbewerb offensichtlich fern oder gelangten nicht in die Kränze. Die sechs Auserkorenen klammerten sich an die Präambel, liessen wohlweislich die Finger vom copy paste und verkrampften sich im Bemühen, plagiatsfrei und doch der Vorlage entlang zu dichten. Die Ergebnisse sind Präambeln der Peinlichkeit.
Holpern fürs Vaterland
Mal wird die Botschaft dem Reim geopfert, mal diesem die Botschaft. Es holpert und poltert vom Sinn zum Unsinn und von der Strophe zur Katastrophe. Über die Gemeinplätze fegt ein patriotischer Föhnsturm. Wer einige Müsterchen heraussucht, leidet unter der Qual der Wahl.
Der Versuch, Gott dem Ernährer zu danken, verrutscht zum Dank an alles uns Ernährende. Gott wird angefleht, uns zu beschützen und sich gleichzeitig der Verantwortung für unser Schicksal zu entledigen. Die Passage «Krieg, Gewalt und Ungerechtigkeit machen unsre Herzen hilfsbereit» freut auch Waffenhändler. Beim Reim «Immer schon von alters her lieben wir die Freiheit sehr» lächelt Wilhelm Busch. «Lasst uns heute nehmen an den Händen und sie reichen auch den Fremden» ist ein Appell zur Solidarität, aber leider mit der praktischen Schwierigkeit, für die Fremden auch noch eine freie Hand zu haben.
Wie es mit Singen gelingen soll, «die Schweiz einzubringen», ist die erste Frage. Die zweite: ob ans Ernten gedacht wurde oder ans Verschenken – und wenn Letzteres, wem. Als repräsentativ für die waltende Dichtkunst sei zitiert: «In den Bergeshöhen, Städten und an Seen lieben wir all den Reiz der schönen Schweiz.»
Einen Schildbürgerstreich vermeiden
Die im Wettbewerb mit krummen Nadeln gestrickten Vorschläge müssten uns ermuntern, bei Leonhard Widmer (1808-1868), der als Laiendichter den Schweizerpsalm schrieb, unter Rücknahme unserer hämischen Kommentare Abbitte zu leisten. Sein Text ist in sich kohärent und eine demütige, aus der Entstehungszeit heraus erklärbare Hymne auf Gott, nicht auf die Schweiz. Das religiöse Pathos irritiert heute, doch der Vorwurf patriotischer Schwülstigkeit zielt daneben.
Nach dem Stand der Dinge ist der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft zu empfehlen, zur Besinnung zu finden und nochmals zu prüfen, ob es eine neue Landeshymne braucht, und bejahendenfalls, ob die volkssportlich organisierte Suchmarathon zum Erfolg führt und nicht zu einem Schildbürgerstreich, der uns die Stimme verschlägt.
Einzelheiten zum Wettbewerb unter www.chhymne.ch