Er sieht nicht nur diabolisch aus, er war es auch. Jetzt ist Dmitri Utkin, der Gründer und Namensgeber der «Gruppe Wagner» vermutlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen – zusammen mit Jewgeni Prigoschin. Die EU wirft Utkin vor, Menschen gefoltert und summarisch hingerichtet zu haben.
Die Gruppe Wagner entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem international tätigen, abscheulichen Schlächterverein. Utkin soll buchstäblich über Leichen spaziert sein. Leuten, die ihm nicht passten, habe er ins Gesicht geschossen. Doch auch die Gruppe selbst erlitt immer wieder schwere Verluste.
Utkin machte keinen Hehl daraus, ein feuriger Neonazi zu sein. Tätowiert war er mit der Doppelsigrune der Waffen-SS am Kragen und einem Reichsadler mit Hakenkreuz auf der Brust.
Instrument der russischen Aussenpolitik
Lange Zeit agierte er im Hintergrund. Er bestritt zunächst sogar, Chef der Gruppe Wagner zu sein. Verteidigungsminister Sergei Schoigu nannte die Gruppe Wagner einst einen «Freiwilligenverband». Doch die Organisation wurde bald zu einem strategischen Instrument der russischen Aussenpolitik. Längst war die Gruppe zu einem verlängerten Arm des Kreml geworden. Vorteil solcher paramilitärischer Armeen ist es, dass Putin behaupten kann, er habe nichts mit ihnen und ihren Einsätzen zu tun. So leugnete er lange Zeit, dass Russland an der Sezession im Donbass beteiligt ist.
Der 1970 geborene Utkin war einst Oberstleutnant in der russischen Armee. Von 1988 bis 2008 diente er laut der investigativen Website «Bellingcat» beim russischen Militärgeheimdienst GRU. Auch an den beiden Tschetschenienkriegen (1994–2000) war er beteiligt.
Richard Wagner als Namensgeber
2013 trat er dem «Slawischen Korps» bei, einer vom Kreml geduldeten paramilitärischen Organisation, einer Art russischer Fremdenlegion. Sie heuerte Freiwillige an, bezahlte sie gut, zog nach Syrien, um Präsident Asad an der Macht zu halten. Doch Utkin wollte sich nicht anderen Kommandanten unterordnen und bildete innerhalb des Slawischen Korps eine eigene Einheit. Diese erlitt im Kampf gegen die vom Westen unterstützten syrischen Rebellen schwere Verluste und wurde fast vollständig aufgerieben.
Mit einigen der Überlebenden gründete Utkin die «Gruppe Wagner». Der Name, der auch sein Kampfname war, lehnt sich an den Komponisten Richard Wagner an, der von Hitler verehrt wurde. Kolportiert wird, dass die Gruppe Wagner zunächst nur zehn Mitglieder hatte.
Verhaftet und wieder auferstanden
2013 wurde Utkin von den russischen Staatssicherheitsdiensten verhaftet. Doch dann brachen die Sezessionskriege im Donbass aus, und Utkin und seine Gruppe waren wieder gefragt. Dort, in den Regionen (Oblaste) Luhansk und Donezk, kämpfte er nun an der Seite ukrainischer Sezessionisten gegen die ukrainische Armee.
Auch bei der Annexion der Krim spielte seine Gruppe eine wichtige Rolle, indem sie ukrainische Soldaten entwaffnete, bevor die «grünen Männchen» (Spezialeinheiten der russischen Armee ohne Hoheitszeichen) die Halbinsel in Beschlag nahmen.
Asad, Baschir, Haftar
Die Gruppe Wagner wurde immer wieder zur Unterstützung von Diktatoren und Kriegsverbrechern eingesetzt. Der Kampf gegen die Anti-Asad-Kräfte dauerte von 2012 bis 2018. Dabei wurden mehrere hundert Wagner-Kämpfer getötet. Von 2017 bis 2019 unterstützte die Gruppe im Sudan den wegen Völkermords angeklagten sudanesischen Diktator Omar Baschir. In Libyen kämpften mehrere hundert Wagner-Söldner auf Seiten von General Chalifa Haftar. Gleichzeitig fasste die Privatarmee auch in der Zentralafrikanischen Republik und weiteren schwarzafrikanischen Staaten Fuss.
Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 wurde die Gruppe zu einer entscheidenden Stütze im Angriffskrieg. Dies vor allem auch, weil die reguläre russische Armee sich zunächst in einem chaotischen Zustand befand. Die Gruppe Wagner holte den schwächelnden russischen Streitkräften immer wieder die Kohlen aus dem Feuer.
Schwere Verluste in Bachmut
Beim Kampf um die südukrainische Stadt Mariupol spielte Wagner eine kampfentscheidende Rolle. Im Werk Asowstahl hatten sich hunderte ukrainische Kämpfer und Zivilisten verschanzt. Der Nazi Utkin bezeichnete die ukrainischen Verteidiger als Nazis. Nach mehreren Wochen gelang es Wagner, mit Unterstützung der Russen die Stadt und das Stahlwerk zu erobern.
Die Wagner-Söldner waren auch wesentlich an der Eroberung der ostukrainischen Stadt Bachmut beteiligt. Die Schlacht um Bachmut, die Ende Mai 2023 zu Ende ging, war die verlustreichste in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Prigoschin hatte erklärt, dass «in der Hölle von Bachmut» über 20'000 seiner Kämpfer getötet wurden.
«Milliarden von Dollar»
Lange war nicht sicher, wer die Gruppe bezahlt. Putin hat inzwischen erklärt, die russische Regierung habe Wagner mit «Milliarden von Dollar» finanziert. Die Wagner-Kämpfer verfügen über Panzer, Kampfflugzeuge und Artilleriegeschosse.
Die USA setzten Utkin 2017 auf die Sanktionsliste des Finanzdepartements. Dasselbe tat die EU 2021. Laut russischen Medien wurde Utkin 2017 Generaldirektor des Gastronomie-Unternehmens, das Prigoschin gehörte.
Unfassbare graue Eminenz
Welche Rolle Utkin in den letzten Jahren neben Prigoschin gespielt hatte, ist nicht ganz klar. Er soll, laut der BBC, die rechte Hand Priogoschins gewesen sein, verantwortlich für die Kampfausbildung und die Gesamtführung der Gruppe. Details dazu sind nicht bekannt. Offenbar wirkte er als unfassbare graue Eminenz im Hintergrund. Es gibt nur wenige Fotos von ihm, unter anderem jenes mit den Nazi-Tätowierungen.
Ein Bild, das vermutlich 2016 aufgenommen wurde, zeigt Utkin mit dem russischen Präsidenten bei einem Kreml-Empfang. Bei diesem Anlass erhielt Utkin aus den Händen Putins die Tapferkeitsmedaille. Zu jener Zeit bestritt die russische Regierung noch, Verbindungen zu Wagner gehabt zu haben.
Freiwillig ins zweite Glied zurückgetreten?
In letzter Zeit war es ruhig um Utkin geworden. Ob er eine Rolle bei Prigoschins Meuterei im Juni gespielt hat, ist unklar. Ebenso ungeklärt ist, in welchem Verhältnis er zu Prigoschin stand. War Utkin nach der Gründung der Gruppe Wagner freiwillig ins zweite Glied zurückgetreten – oder war er vom resoluten, prahlerischen Prigoschin an den Rand gedrängt worden?
Berichte über Konflikte zwischen den beiden sind keine an die Öffentlichkeit getreten. Dass die beiden zusammen an Bord der abgestürzten Embraer Legacy 600 sassen, deutet darauf hin, dass sie nach wie vor am gleichen Strick zogen.
Am letzten Mittwochabend haben sie, laut offiziellen russischen Angaben, um 18.19 Uhr Ortszeit gemeinsam den Tod gefunden. Nur wenige werden ihnen nachtrauern.