Der Schwarze Peter blieb beim französischen Aussenminister Laurent Fabius hängen. Fabius hatte zuerst dem in dreitägigen intensiven Gesprächen erzielten Kompromiss zugestimmt, machte aber bei der Verlängerung am Samstag plötzlich kehrt. Er warnte vor einem Trugspiel (,,jeu de dupes") und erklärte, dass ,,den Sorgen Israels und der Region um ihre Sicherheit voll Rechnung getragen" werden müsse.
Fabius stellte sich damit hinter den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, der die bevorstehende Einigung in Genf als ,,Betrug des Jahrhunderts" bezeichnet hatte. Das zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats und Deutschland auf der einen Seite und der neuen iranischen Regierung auf der anderen ausgehandelte Abkommen war aber keineswegs als definitive Lösung des Atomstreits gedacht.
Es sollte nur gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Vorgesehen war eine Lockerung der gegen Iran verhängten Wirtschaftssanktionen während sechs Monaten bei einem gleichzeitigen Einfrieren der verdächtigen nuklearen Tätigkeiten der Iraner, also vor allem der Anreicherung von Uran. Dieser Eskalationsstopp sollte den Unterhändlern ein Zeitfenster für Verhandlungen über die grundlegenden Fragen öffnen.
Hohe Erwartungen
Die für bloss zwei Tage anberaumten Gespräche waren auch keineswegs als ein diplomatischer Reigen auf höchster Ebene vorgesehen. Es war Fabius, der als erster in Genf auftauchte und damit seine Amtskollegen aus den USA, Russland, Deutschland und Grossbritannien in Zugzwang brachte. Nur dem chinesischen Aussenminister war der Trip von Peking nach Genf zu weit. Er schickte einen Vize, der erst in den letzten Stunden am Verhandlungsort eintraf.
Das improvisierte Aussenministertreffen erweckte in allen Hauptstädten und auch in der Öffentlichkeit hohe Erwartungen. Selbst Netanjahu war offenbar überzeugt, dass jetzt Nägel mit Köpfen gemacht würden. Er stellte klar, dass Israel nicht von dem erwarteten Abkommen gebunden sei. Noch heute Sonntag erklärte der israelische Wirtschaftsminister, dass der Kampf gegen eine internationale Vereinbarung über das iranische Nuklearprogramm jetzt im US-Kongress weitergehe, wo jüdische Organisationen grossen Einfluss ausüben.
19'000 iranische Gas-Zentrifugen
Das Ziel der bereits zehn Jahre dauernden Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm ist, zu gewährleisten, dass Iran keine Atomwaffen baut. Nicht mehr und nicht weniger. Wie alle anderen Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags hat Iran das Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie.
Das Regime in Teheran machte sich verdächtig, weil es Unmengen von Uran anreichern liess, für das es keinen einleuchtenden zivilen Verwendungszweck gibt. 18 Jahre lang haben die Iraner insgeheim Uran angereichert, bis diese Verletzung des Atomwaffensperrvertrags 2002 aufflog. Die daraufhin von der UNO beschlossenen Sanktionen blieben wirkungslos. Bisher haben die Iraner in ihren verbunkerten Anlagen von Natanz und Fordo 19.000 Gaszentrifugen zur Anreicherung von Uran aufgestellt, von denen derzeit rund 10.000 in Betrieb sind.
Betriebsfertiger Schwerwasserreaktor
Daneben entstehen in Arak ein Schwerwasserreaktor und eine Fabrik zur Herstellung von schwerem Wasser. Dieser nirgendwo anders mehr gebaute Reaktortyp sondert Plutonium ab - ein in der Natur nicht vorkommendes Element. Der Abfallstoff kann zu waffenfähigem Spaltmaterial aufbereitet werden. Nordkorea hat diesen Weg eingeschlagen.
Der Sicherheitsrat der UNO forderte Iran im mehreren Resolution auf, den Bau der beiden Anlagen in Arak einzustellen. Bisher erfolglos. Die Iraner verkünden jetzt, dass der entweder wegen mangelndem Know-How oder durch Sabotage stark in Verzug geratene Schwerwasserreaktor nächstes Jahr betriebsfertig wird. Zu Sorge gibt auch die Entwicklung iranischer Mittel- und Langstreckenraketen Anlass, die ohne atomare Gefechtsköpfe wenig Sinn ergeben.
Fortsetzung in zehn Tagen
Zugutehalten muss man den Iranern, dass sie alle bekannten Nuklearanlagen ausser der Baustelle in Arak von den Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien überwachen lassen. Die IAEO führt über die Zahl der Zentrifugen und die erzeugten Bestände angereicherten Urans genau Buch. Ihre Inspektoren dürfen aber nur im Voraus angemeldete Besuche abstatten. Ein Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, das auch unangemeldete Verdachtsinspektionen erlaubt, hat Iran zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert.
Bei den Genfer Verhandlungen, die am 20. November ohne das Ballet von Aussenministern fortgesetzt werden sollen, geht es vorerst nur um eine Übergangsregelung. Dazu gehört, bis zu welchem Grad die Iraner Uran für friedliche Zwecke anreichern dürfen, und was mit den Stocks von auf 20 Prozent angereichertem Uran geschieht. Davon besitzt Iran knapp 200 Kilo. 250 Kilo würden bei weiterer Anreicherung bis auf 90 Prozent zum Bau einer Bombe reichen. Israel hat diese 250 Kilo zur ,,roten Linie" für einen militärischen Angriff erhoben. Dass die Iraner unter dieser Grenze bleiben, zeigt, dass sie die israelische Drohung ernst nehmen.
Harte Forderungen Israels
Um es nochmals klarzustellen: Bei den Genfer Iran-Verhandlungen geht es vorläufig nur um die Vorstufe für ein späteres umfassendes Abkommen. Die iranische Führung hat offenbar eingesehen, dass ein Atomwaffenprogramm mehr Schaden als Nutzen bringt. Ihre Verhandlungspartner versuchen nunmehr sachlich auszuloten, ob es die Regierung in Teheran mit den Beteuerungen ernst meint und nur an der friedlichen Nutzung der Kernenergie interessiert ist.
Ein Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, würde die Uran-Anreicherung in Iran auf 3,5 Prozent begrenzen. Das reicht für Atomkraftwerke. Die Iraner verlangen fünf Prozent. Auch das wäre akzeptabel. Was aber geschieht mit den überzähligen Zentrifugen und den bereits auf 20 Prozent U-235 angereicherten Uranbeständen? Mit etwas gutem Willen liesse sich hier eine Lösung finden. Israel fordert jedoch, dass Iran die Anreicherung von Uran völlig einstellt und die Bestände vernichten lässt.
Warum stellt sich Frankreich quer?
Dass sich John Kerry, Sergej Lawrow, Guido Westerwelle, William Hague und Li Baodong spontan nach Genf bemühten, um ihren iranischen Amtskollegen Mohammad Dschawad Sarif zu bearbeiten, zeugt davon, dass die Grossmächte des zum Selbstzünder gewordenen Atomkonflikts überdrüssig geworden sind.
Von ,,Regimewechsel" in Teheran ist keine Rede mehr. Was man sucht, ist eine Stabilisierung der Lage im Nahen und Mittleren Osten. Dabei muss man der iranischen Führung zugestehen, bei einem kontrollierbaren Verzicht auf die Atomwaffenkapazität ihr Gesicht zu wahren.
Warum stellt sich ausgerechnet Frankreich quer? Westliche Verhandlungsteilnehmer bezeichneten die französische Kehrtwende als ,,Überraschung". Fabius stösst auch im eigenen Land auf Kritik. Nach dem französischen Njet in Genf meldeten sich Politwissenschaftler zu Wort, die die Beweggründe von Fabius hinterfragen. Natürlich bezeugen die französischen Sozialisten seit jeher eine grosse Solidarität mit Israel. Es war Frankreich, das unter dem Premierminister Guy Mollet Israel bei der Entwicklung von Atomwaffen half. Der heutige israelische Präsident Schimon Peres handelte damals als Sonderbeauftragter Ben Gurions in Paris den Deal aus. De Gaulle beendete diese nukleare Zusammenarbeit.
"Bedeutende Fortschritte"
In den politischen Kreisen fragt man sich, ob François Hollande seinem Aussenminister freie Hand bei der Behandlung des Nuklearkonflikts mit Iran gegeben hat. Eigentlich kann es nicht im Interesse Frankreichs liegen, in dieser weltpolitischen Frage die USA, Russland, Deutschland und Grossbritannien vor den Kopf zu stossen. Manche Diplomaten vermuten, dass Fabius die Iran-Verhandlungen nutzte, sich selbst zu profilieren. Hinter vorgehaltener Hand wird auch auf die jüdische Herkunft von Fabius und seine persönliche Freundschaft mit Netanjahu hingewiesen.
Was auch immer die Hintergründe der französischen Haltung sein mögen, sie wird sich kaum durchsetzen. Kerry sagte, in den letzten Tagen seien ,,bedeutende Fortschritte" bei der Überwindung der Differenzen mit Iran erzielt worden. Auch die Beauftragte der EU für Aussen- und Sicherheitspolitik, die Britin Catherine Ashton sprach von ,,einer Menge konkreter Fortschritte". In zehn Tagen werden die Diplomaten der Grossmächte und Irans wieder im Genfer Palais des Nations am runden Tisch sitzen. Der Zug steht auf den Schienen - hoffentlich.