Kleingeister fürchten die Inkonsistenz, den Widerspruch in sich, wie der Teufel das Weihwasser. Grosse Geister dagegen lieben ihn, sie suchen ihn geradezu. In Wissenschaft und Philosophie werden sie von Paradoxien, Widersprüchen, Absurditäten nicht selten beflügelt. Auch in der Politik gibt es Meister der Inkonsistenz. Zurzeit dürfte dies der republikanische amerikanische Präsidentschaftskandidat sein. Seine logischen Volten sind schon fast Legende.
Die Furcht vor dem Widerspruch
Heute behauptet er dies, morgen das Gegenteil. Das verblüfft und irritiert die politischen Strategen seit längerem. Was noch mehr überrascht, ist die Bereitschaft von Mister Trumps Anhängern, seine offensichtlich keiner Schlüssigkeit verpflichteten Gedankensprünge zu tolerieren. Und das bringt uns ins Grübeln. So dumm können doch diese Anhänger nicht sein, dass sie die Winkelzüge ihres Idols nicht durchschauen würden. Wollen sie getäuscht werden?
Bevor man vorschnell zur Sozialpsychologie greift, sollte man sich eines elementaren logischen Merkmals der Inkonsistenz bewusst werden.
Ex falso quodlibet
Aus einem Widerspruch in sich lässt sich Beliebiges schliessen: ex falso quodlibet. Wenn ich behaupte, ich sei ein Anhänger des Ku-Klux-Klans, und zugleich, ich sei kein Anhänger, kann ich jeden Unsinn daraus ableiten. In der Logik gilt deshalb ein Satz von Aussagen, die unter sich widersprüchlich sind, als wertlos. Aber Politik ist nicht logisch. Oft ist Politik Unlogik, die sich als schlüssig tarnt. Man kann in ihr sogar eine Kunst sehen, Beliebiges zu behaupten und so zu tun, als hätte man Argumente dafür.
Und genau das tut Mister Trump mit bewundernswertem Aplomb. Dass er sich um Widersprüche gar nicht kümmert, hat Methode. Gewöhnlich reagieren Politiker durchaus, wenn sie mit Inkonsistenzen in ihren Aussagen konfrontiert werden. Sie krebsen dann zurück, relativieren, greifen zum Argument des Missverständnisses. Eine Aussage zurücknehmen oder relativieren bedeutet, dass man sich am Masstab der Wahrheit orientiert, dies zumindest versucht oder zu versuchen vorgibt. Man übernimmt, anders gesagt, die Verantwortung für das Gesagte.
Abschied vom wahrheitsverpflichteten Diskurs
Wenn ich aber einfach verneine, was ich vorhin gesagt habe und handle, als ob nichts geschehen wäre, setze ich eine ganze Kultur des wahrheitsverpflichteten Diskurses ausser Kraft. Ich überlasse es dann dem anderen, zu entscheiden, was ich gesagt habe. In der Psychologie nennt man dies Bestätigungs-Bias. Der andere hört in meinen Aussagen das, was er ohnehin hören will.
Politisch gesehen ist das ein probater Trick: Ich setze etwas Inkonsistentes in Umlauf, darauf vertrauend, dass der andere es nach seinem Weltbild interpretiert. Was der andere glaubt, ich hätte es gesagt, ist auch das, was ich gesagt habe. Die sich widersprechenden Aussagen müssen nur laut und überzeugt daherkommen: „Ich liebe Latinos!“ und: „Raus mit den Latinos!“ – völlig konsistent inkonsistent. Die Zuhörer glauben, dass der Politiker ihre Meinung vertritt, weil er ja jede beliebige Meinung vertritt: quodlibet.
Ein hölzernes Eisen auf zwei Beinen
Wir bemerken hier ein seltsames Paradox: Der offensichtliche Mangel an Glaubwürdigkeit macht Mister Trump umso glaubwürdiger. Er tritt auf mit dem Habitus: Seht doch, ich bin der, als den ihr Politiker schon immer sehen wolltet, der Behaupter, Wortverdreher, Lügner, Dreckskerl! Ich bin nur ehrlich - ehrlich unehrlich! Mister Trump ist – wenn man hier die etwas angestrengte Metaphorik erlaubt – ein hölzernes Eisen auf zwei Beinen. Was er auch absondert, man sollte es nicht auf seinen Wahrheitswert überprüfen.
Womit wir mitten im Bullshit landen. Die Inkonsistenz kann, immer wieder repetiert, den Sinn für die Wahrheit abstumpfen. Sie tut dies bereits, wie Figura zeigt. Und es ist nicht nur nicht auszuschliessen, sondern sogar ziemlich wahrscheinlich, dass Mister Trump seine Adlaten findet. In der digitalen Welt wird es ohnhin schwieriger, zu überprüfen, was wahr ist und was nicht. Wenn wir unablässig eingedeckt werden mit Behauptungen und Gegenbehauptungen, dann schützen wir uns im permanenten Schauer von Bullshit dadurch, dass wir allmählich auf Standards wie Objektivität und Wahrheit verzichten.
Zwei und zwei sind fünf
Winston Smith in Orwells „1984“ wird durch Folter dazu gebracht zu glauben, dass zwei und zwei fünf sind. Der Punkt, so erläutert der Folterer, sei, dem Gefolterten klar zu machen, dass es keine Wahrheit, ausser jener von der Partei verkündeten, gibt. Heute brauchen wir keine Folterer, wir haben Mister Trump und seine Spin Doctors. Ihr Wille zur Macht ist der Wille zur Inkonsistenz. Gewöhnen wir uns an sie, verlieren wir die Basis unserer Kritikfähigkeit, also unseres Realitätsbezugs. „Das Furchtbare,“ heisst es bei Orwell, „war nicht, dass sie einen umbrachten, wenn man anders dachte, sondern dass sie vielleicht recht hatten.“ Am Ende sind wir nicht mehr sicher, ob zwei und zwei vier ergeben. Genau auf eine solche Verunsicherung zielt die Politik des Quodlibet ab.
Wie der berühmte Kreter, der sagt, dass alle Kreter lügen, sagt der Politiker Trump: Politiker lügen. Sagt er die Wahrheit, dann lügt er; lügt er, sagt er die Wahrheit. Also kann er sagen, was er will. So wie Inkonsistenzen logische Systeme, so macht Mister Trumps Stil die politischen Systeme wurmstichig. Ihm gebührt das Verdienst, den Typus, den man ja unter Politikern schon längst vermutete, zur ultimativen karikaturistischen Kenntlichkeit verholfen zu haben. Und das Verdienst wird umso grösser, je schneller er wieder von der politischen Bühne abtritt. Das schärft unsere Sicht für alle anderen Würmer im System.