Die neuen Medien öffnen zwar andere Kommunikationsformen, Seriosität und Qualität werden aber auch künftig das Spendewesen prägen. Für diejenigen, die sich um Spenden bemühen, entstehen ganz neue Fragen.
Wie generiert man Spenden via Facebook? Wie mache ich erfolgreiches Telefon-Fundraising? Oder: Wie können wir die Absprungraten von SpenderInnen verkleinern? Dies waren Themen, welche die Fachleute des Spendengenerierens in Referaten und Issue Sessions zu klären versuchten. Dabei wurde klar, was Swissfundraising-Geschäftsleiter Roger Tinner gegenüber jounal21 so zusammenfasst:
"Die neuen Medien sind eine Chance, aber sie sind eine Ergänzung und kein Ersatz fürs bisherige Fundraising. Dabei müssen beide Seiten dazu lernen – die Hilfswerke und die SpenderInnen“. Die Gefahr, dass die neuen elektronischen Mittel überschätzt werden, ist nach seiner Meinung relativ gross. Aber eine völlige Ablehnung wäre ebenso ein Irrtum.
Feine Nase für weiche Herzen
Als Gastreferent setzte Ludwig Hasler wie gewohnt persönlich-„widerspenstige“ Akzente zum Spendewerben. Einige Auszüge seiner Rede:
<< Nein, an den Spender denken Spendensammler praktisch nie (ist besser so, sonst kriege ich noch mehr von diesen entsetzlichen Schlüsselanhängern und Schrott-Kugelschreibern). Sie wollen an mein Geld, sie haben eine feine Nase für weiche Herzen, legen jedes Jahr noch einen Zacken drauf, besonders perfid per Telefon. Die wissen inzwischen genau, dass ich der Frauenstimme nichts abschlagen kann. Manchmal werden sie mir zu dreist, weil sie so tun, als hätte ich nur die Wahl zwischen miesem Gewissen und verdoppeltem Beitrag. Dann beginnt mir die ganze Fraktion der ewig Bedürftigen auf den Wecker zu gehen. Was glauben die eigentlich, mein bisschen Geld falle mir wie Manna in den Schoss? Herrgott, wir leben unter irdischen Bedingungen, die sind durchzogen, es gibt, wie in der Natur, stets Winner und Loser, ich kann das auch nicht ändern, ausser bei mir selbst, mir wurde nichts in die Wiege gelegt... In solchen Momenten verstehe ich plötzlich den Autoaufkleber, den ich in Deutschland gelegentlich sah: "Eure Armut kotzt mich an." (…..)
Da, wo man mir suggeriert, es sei nichts als meine verdammte Pflicht zu spenden. So nach der Manier "Die Armut wächst, wir wollen helfen, aber wie können wir, wenn Sie nicht...!" Verwechselt man mich mit dem Sozialamt/dem Welternährungsprogramm FAO, schalte ich auf taub. Fürs Durchfüttern von Kreti & Plethi bin ich die falsche Adresse, global, lokal, egal, davon versteh ich nichts, dafür bezahle ich ordentlich Steuern. Damit finanzieren die reichen Staaten jährlich über 120 Milliarden Entwicklungshilfe. (…..)
Härten sind Definitionssache
Ich will vergnügt spenden. Das ist der Punkt. Nicht auf dem moralischen Zahnfleisch. Nicht so, als hätte die Spendenverteil-Holding sozusagen ein Recht auf meinen Zehnten. Als wäre meine Existenz erst gerechtfertigt, wenn ich flächendeckend meine Beiträge für allerlei Durchfütterungen einzahle. Im „Zolliker Boten“ lese ich, auch an der „reichen Goldküste“ gebe es Armut, und die „Winterhilfe“ helfe – mit Einkaufsgutscheinen, Naturalien, Geld. Der ältere Mann hat seine Brille verlegt, braucht dringend eine neue, hat aber kein Geld. Die Alleinerziehende hat keine Mittel, am sozialen Leben teilzunehmen, z.B. Kinobesuch. Winterhilfe hilft. Lindert die „Härten des Lebens“. Prima. Aber nicht mein Job. Erstens hört das nicht mehr auf, Härten sind reine Definitionssache (Nächstens verlegt der Mann sein Gebiss. Gibt es ein Menschenrecht auf Alleinerziehung? Oder trägt man die Risiken einer falschen Partnerwahl selbst?).(…..)
Darum mag ich keine Lücken stopfen, nicht scheinbare, nicht wirkliche. Wenn ich schon nichts bewirke, schenke ich lieber dem Bettler eine Hunderternote. Für nichts. Um nichts. Aus reinem Vergnügen am Schenken. Auf Romanisch (Oberengadiner Puter) heisst der Bettler „Murdia“, Kurzform von „per amur da Dia“, für Gottes Liebe. 100 Franken für den Bettler: spenden ohne Absicht, ohne Erwartung. Göttlich. Er wird das Geld versaufen? Sicher. Und? Nie vom heiligen Säufer gehört? Nie Joseph Roth gelesen? Charme des Persönlichen: Ich wähle mir meinen Bettler. Zahle nicht ins Bettlersyndikat ein, das den Betrag auf alle verteilt. Mein Bettler bekommt alles, die zudringliche Alte nichts.
Einblick ins Spenderhirn
Ein origineller Wegweiser durch den Spendendschungel: Der Staat ist zuständig fürs Notwendige, der private Spender fürs Überflüssige? Es wird (s. Winterhilfe) stets versichert, es gehe „nicht um Luxus“, klar, neue Brille, neues Gebiss, elementar. Warum eigentlich nicht Luxus? Im alten Genua bezahlten reichere Stadtleute stets zwei Kaffee, wenn sie einen für sich bestellten. Der zweite war für einen armen Schlucker, der sich keinen Kaffee leisten konnte, die Wirte schrieben das auf als „caffè sospeso“, als überzähligen Kaffee, und wenn ein Bettler/Habenichts kam und nach caffè sospeso fragte, bekam er einen.
Das gefällt mir. Während Sie sich fragen, ob meine Gedankenführung nicht etwas gar konfus sei. Nun, Sie wollen wissen, was in einem Spenderhirn abgeht. Voilà, allerlei Durcheinander – vom franziskanischen Vergnügen, den Bettler zu beschenken (für nichts), über den Reflex gegen das Bittstellertum bis zum zynischen Spruch „Eure Armut kotzt mich an“. Es ist, wenn Sie wollen, beides authentisch in mir: diese Freude, andere in Hochform zu bringen, und dieses Unbehagen an den ewig Hilflosen. Es hat sogar seine innere Konsequenz: Wer die Hilflosen, die Opfer, die Ärmsten quasi für höhere Menschen hält, wird den Teufel tun, sie da rauszuholen, wird ihnen immer stets soviel zustecken, dass sie es in ihrer Misere aushalten. Wer jedoch (wie ich) Leute gar nicht mag, die sich selber nie helfen können, überlegt sich, wie diese Schäbigkeit eher ein Ende finde: wenn wir „Härten lindern“ – oder wenn wir gar nichts tun, um die erbärmliche Existenz erträglich zu machen, aber einiges, sie zu sprengen. (…..)
Wir machen dicht und schalten ab
Weil die Spenderseele nicht aus reiner Vernunft besteht, sondern aus allerlei Konflikten und Knörzen. Darum skizziere ich jetzt, gegen Ende, eine kleine Psychologie der Spenderseele – in drei Variationen zum Thema „Sie möchte schon, aber...“: 1. kognitive Überforderung, 2. halbierte Empathie, 3. strapazierte Solidarität.
(1) Kognitive Überforderung – oder: Je unerhörter die Nachrichten, desto mehr Menschen schotten sich ab. Wir leben in einer Welt, in der die Belange der ganzen Menschheit auf uns einströmen – ungefiltert, ungebremst, unsortiert. Eine Welt, in der moderne Informationstechnologie alles Vertraute, Bedächtige über den Haufen wirft – und uns die Sorgen, das Leid völlig fremder Menschen aufdrängt. Wie reagieren wir darauf? Es wird uns zu viel. Wir machen dicht, schalten ab, stöpseln uns aus. Wir sind nicht gleichgültig, wir sind überfordert. (…..)
Unsere evolutionäre Prägung
Wie reagieren Sie auf Überforderungen des Spenders? Meine Empfehlung: STOPPTASTE, bitte. Wenn alles zu schnell und zu viel wird, dann müssen wir ordnen, reduzieren, weglassen. Das sagt jede Psychologin jedem Burn-out-Gefährdeten. Für Spendensammler heisst das: Dramatisierungen vermeiden. Mit irdischem Realitätssinn ans Werk. (…..)
(2) Halbiertes Mitgefühl – oder: Zwischen Empathie und Borniertheit. Wir sind nicht, wie wir sein wollen. Wir kommen von weit her. Die Evolution hat uns programmiert, unseren Nachbarn zu helfen, nicht globales Leid zu lindern. Wir kommen keineswegs nur mit egoistischen Genen zur Welt. In uns drin sind jahrtausendealte Erfahrungen, dass wir nur überleben, wenn wir in der Sippe füreinander einstehen. In der Sippe. Die selbstlosen Triebe sind evolutionär nur von Vorteil, wenn verschiedene Sippschaften um Ressourcen konkurrieren. Hilfsbereitschaft nach innen, Abgrenzung nach aussen: nach diesem Muster läuft Evolution. Dumm fürs Spendensammeln. Ausser bei mir. Da nimmt die evolutionäre Prägung groteske Formen an: Mir sind die Schicksale der Leute, von denen die Frau am Telefon erzählt, ziemlich egal, nicht aber die Frau. Sie verdient nichts, wenn ich nicht mitmache, denke ich, sie verliert gar ihren Job... (…..)
Linke Nörgelei und handgestrickte Christengefühle
Wiederum: Reaktion? Meine Empfehlung: TATEN statt GEFÜHLE. Ist auf Empathie (Einfühlen) kein Verlass, muss man auf Ratio umschalten. Die Welt ist zu explosiv, um sie guten Gefühlen zu überlassen. Also weg von Gesinnungsethik, hin zur Nutzenethik. Die entscheidet nicht nach hehren Motiven, sondern nach Effekten. Output statt Input. Sagen Sie mir nicht, wie nötig das ist, was sie tun wollen; sagen Sie mir, was Sie bewirken, was Sie bewirkt haben. Sagen Sie es mir unverblümt. Stellen Sie die Evaluationen, die Feedbacks dazu ins Netz. Dafür können Sie sich dann den billigen Kugelschreiber ersparen. (…..)
(3) Strapazierte Solidarität – oder: Auf die Bühne statt hinter der Kulisse versorgt werden. Das Wort „Solidarität“ riecht nach linker Nörgelei. Oder nach handgestrickten Christengefühlen. Oder nach kollektiver TV-Erregung à la „Ein Herz für Kinder“, mit Thomas Gottschalk. Abgestorben sind solidarische Triebe keineswegs, sie mäandern nur unbeholfen durch die neue Welt der Unübersichtlichkeit. Auch weil der Begriff „Solidarität“ reichlich ausfranst. (…..)
Resistenz gegen Veränderung
Und heute - sind wir „entsolidarisiert“? Weil ein paar Dutzend Bosse so einen Scheissjob haben, dass sie dafür mit 20 Millionen entschädigt werden müssen? Weil die meisten von uns so sehr damit beschäftigt sind, sich selber über die Runden zu bringen, dass kaum Energie bleibt für die Denkoperation, uns in die Lage der andern zu versetzen? Weil der Gruppen-Egoismus grassiert: AHV-Bezüger versus Junge, Piloten versus Bodenpersonal? Kurz und übel, der Leitstern „Solidarität“ ist erloschen.
Zum letzten Mal: Wie reagieren? Ich empfehle: DRAMATURGISCHE statt MORALISCHE Regeln. Weg vom Opferdenken – hin zur Spieltheorie! Gerecht geht es vielleicht im Himmel zu, auf der Erde nirgendwo, nicht in der Natur, nicht in der Liebe. Überall gibt es Winner und Loser – ohne dass die Verlierer sich gleich als Opfer beklagen. Die Opfer-Mentalität wirkt doppelt prekär auf Solidarität. Sie nervt die Gewinner; die haben irgendwann die Nase voll von permanenter Opferhilfe.
Und sie lähmt die Verlierer; die versinken in der Misere. Opferdenken immunisiert Opfer gegen Selbstverantwortung. Sein Versagen nimmt das Opfer nicht als Niederlage, sondern als Kränkung durch die Gesellschaft – und adressiert seine Kompensationserwartungen an den Staat. Es verharrt in seiner Verletztheit und macht sich resistent gegen Veränderung. Opferkulturen hatten immer die Tendenz, den Status des Opfers zu verewigen.
Spiel im Gemeinschaftstheater
Was dann? Sobald ich die Gesellschaft als Theater denke, als ein Drama auf der Bühne der Geschichte, ändere ich meine Haltung. Ich engagiere mich sogar für die, die ich gar nicht sonderlich mag – schlicht darum, weil erst die Buntscheckigkeit des Personals das Drama reich macht, spannend, ernst und amüsant. Ein Leben nur unter seinesgleichen wird öd, jedenfalls kein Drama. Mit sich allein, sagte Pascal, ist der Mensch immer in schlechter Gesellschaft. Das gilt auch für Schichten, Klassen, Cliquen. Also müssen wir, aus Interesse am Lebensdrama, die Gegensätze nicht nur mögen, wir müssen ihnen auch eine Chance geben...
Tendenz: Alle auf die Bühne, alle spielen mit, Schluss mit den künstlich versorgten Hinter-Kulissen-Existenzen. Allerdings müssen sie die Chance auch packen. Rauf auf die Bühne, anpacken, mitmachen. Egal was, es gibt in diesem Theater immer zu tun. 1000-Franken-Jobs sind besser als die Sackgasse Arbeitslosigkeit. Die Würde des Menschen hängt nicht ab von der Art seiner Arbeit. Wohl aber davon, dass er überhaupt eine Rolle im gemeinsamen Gesellschaftstheater spielt.>>