China hat am 17. März die UNO-Resolution 173 zur Errichtung einer Flugverbots-Zone mitgetragen. Wie Indien, Deutschland oder Russland hat sich China zwar der Stimme enthalten, hätte aber wie Russland als eines der fünf permanenten Sicherheitsrats-Mitglieder die Resolution mit einem Veto verhindern können.
Die Stimmenthaltung war eine kleine diplomatische Sensation. Jetzt freilich zieht sich Peking auf eine Konstante der chinesischen Aussenpolitik zurück, nämlich auf den Grundsatz „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“. Seit langen Jahren wird diese Linie verfolgt, zum Beispiel bei der Menschenrechts-Frage, dem Niederkartätschen der Studenten-Demonstrationen auf dem Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen 1989, Tibet oder Taiwan.
Die Volksrepublik China freilich hat im Jahre 2005 auch eine von der UNO einstimmig angenommene Entschliessung unterstützt, die alle Staaten verpflichtet, die eigene Bevölkerung zu schützten. Die UNO hat damit auf die Völkermorde in Südost-Europa und Ost-Afrika in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts reagiert. Falls ein Staat die im Dokument stipulierte Pflicht vernachlässigt oder ihr nicht nachkommt, geht die Pflicht während einer limitierten Zeit auf die internationale Gemeinschaft über.
Gewiss, die UNO-Entschliessung ist schwammig formuliert und lässt so die verschiedensten Interpretationen zu. Im Falle Libyens kann so Peking genau zur gegenteiligen Schlussfolgerung kommen wie Washington, London oder Paris. Vor der Flugverbots-Resolution vom März wurde bereits am 26. Februar die UNO-Resolution Nummer 1970 verabschiedet, in der aufgrund der Entschliessung aus dem Jahre 2005 Libyen aufgefordert wird, sein eigenes Volk zu schützen.
Der Westen - "gleichzeitig Richter und Henker"
Die chinesische Diplomatie bemüht sich also jetzt auch im Libyen-Konflikt – wie seit Jahren im Falle von Nordkorea oder der „abtrünnigen Provinz Taiwan“ – eine weitere Konstante der chinesischen Aussenpolitk international durchzusetzen: Verhandlungen, Gespräche, Kompromisse. Unterdessen laufen seit wenigen Tagen die von Partei und Regierung gelenkten Medien Sturm. Wie so oft in Krisenzeiten versteht es die chinesische Führung, eine medial vermittelte nationalistische Grundwelle loszutreten.
So zeigt für die parteioffizielle englischsprachige Tageszeitung „Global Times“ das Vorgehen „der westlichen Mächte, dass sie gleichzeitig Richter und Henker sind“. „Der Westen hat die Welt während Jahrhunderten beherrscht“, fährt der „Global Times“-Komentator fort, „und die essentielle Strategie läuft darauf hinaus, diese Dominanz beizubehalten“.
Starke Worte, die beim Volk sehr gut ankommen. Auch das englischsprachige Regierungsorgan „China Daily“, die offizielle Stimme in Richtung Ausland, lässt sich nicht lumpen: „Der Westen hat sich immer als Champion der Menschenrechte aufgespielt. Die wachsende humanitäre Krise in Libyen wird dazu führen, dass der Westen vom hohen Ross der moralischen Überlegenheit heruntersteigen muss“. Im übrigen gebe es keine internationalen Normen, „welche Gewalt gegen einen souveränen Staat erlaubt unter dem Vorwand interne Gewalt zu stoppen“. UNO hin, UNO her.
Harte chinesische Kritik an Sarkozy
Doch „Renmin Ribao“, das Parteiorgan, setzt noch eins drauf: „Im Kern hängt die politische und militärische Intervention des Westens im Nahen Osten mit Öl-Interessen und strategischen Positionen zusammen“. Das China selbst massive wirtschaftliche Interessen in Libyen verfolgt, nicht zuletzt einen grossen Öl-Durst, wird in den Medien nicht erwähnt, es sei denn zu Beginn der Krise die erfolgreiche Rückführung von über zwanzig Tausend chinesischen Arbeitern nach China.
Die breite Berichterstattung in den staatliche kontrollierten Medien, die Bilder der Rückkehrer am Fernsehen und in Zeitungen hat einmal mehr das nationale, wenn nicht nationalistische Selbstwertgefühl der Chinesen und Chinesinnen erhöht. Und die Dankbarkeit gegenüber den roten Kaisern, d.h. der allmächtigen Kommunistischen Partei.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wird namentlich besonders hart kritisiert. Aus innenpolitischen Gründen im Hinblick auf die Präsidentschafts-Wahlen, so „Renmin Ribao“, spiele sich Sarkozy auf als internationaler Führer auf. Anfangs April wird Sarkozy als Vorsitzender der G8 und G20 in China erwartet. Wird dann Staats- und Parteichef Hu Jintao dem französischen Präsidenten die Leviten lesen? Wohl kaum, denn „konstruktive Gespräche“ sind ein weiteres Markenzeichen chinesischer Spitzen-Diplomatie.