Man kann das Unternehmen hinsichtlich seiner Grösse nur mit Shell oder Walmart, der amerikanischen Supermarktkette, vergleichen. Shell basiert auf Öl, Walmart auf Konsum. G4S verdient an Sicherheitsdienstleistungen. Wer hätte gedacht, dass dieser Markt so lukrativ ist?
G4S ist in Kopenhagen und London börsennotiert – in London sogar als der grösste Arbeitgeber. Den Geschäftsbericht und andere Selbstauskünfte kann jeder auf der Website www.g4s.com abrufen. Dabei fällt auf, wie sehr sich das Unternehmen um Reputation bemüht. Dazu hat es auch allen Grund.
Zahlreiche Missstände
Denn unter dem Dach von G4S sind zahlreiche mittlere und grosse Unternehmen versammelt, die immer wieder für Skandale und Schlagzeilen sorgen. So berichtete die Presse von schlafendem oder betrunkenen Personal in Atomkraftwerken. Dazu waren zumindest in der Vergangenheit Probleme mit Gewerkschaften bezüglich der Arbeitsbedingungen nicht gerade an der Tagesordnung, aber eben auch nicht untypisch.
Moralische Empörung aber greift zu kurz. Denn G4S kann nur deswegen weltweit profitabel operieren, weil dieses Konglomerat genau das liefert, was die Gesellschaft verlangt: Sicherheitsversprechen. Die Geschichte dieses Konglomerats zeigt, wie stark die Ansprüche an diese Versprechen im Laufe von gut 100 Jahren gestiegen sind.
Private Gefängnisse
Im Jahr 1901 wurde von Marius Hogrefe in Kopenhagen ein kleines Unternehmen gegründet, das zunächst banale Wachfunktionen anbot. 1906 wurde das Unternehmen in Falck umbenannt und expandierte sehr rasch im Bereich der Rettungsdienste. 1960 wurde in Belgien eine Sicherheitsfirma unter dem Namen Group4 gegründet. 1960 kam es zu einem Zusammenschluss unter dem Namen Group 4 Falck. Dieses Unternehmen bekam im Jahre 1993 von der britischen Regierung einen äusserst lukrativen Auftrag: die Führung privater Gefängnisse.
Den Hintergrund für diese Vergabe einer genuin staatlichen Aufgabe in private Hände boten eine Reihe von skandalösen Vorkommnissen bis hin zu spektakulären Ausbrüchen von Gefangenen. Sie gaben denjenigen Oberwasser, die ohnehin der Meinung waren, dass private Dienstleister in jeder Weise preisgünstiger und effizienter als Behörden sind.
Ausserdem gab es schon einschlägige Erfahrungen in den USA. Das ist kein Wunder, denn mit der Firma Wackenhut gehört zu G4S der weltweit grösste Betreiber privater Gefängnisse. Wackenhut ist 1954 in Florida von George Wackenhut zusammen mit drei ehemaligen FBI-Agenten gegründet worden. Zunächst bot es Dienstleistungen für die Sicherheit im Kennedy Space Center und dem U.S. Atomic Energy Commission's nuclear Test-Zentrum in Nevada und in anderen Unternehmen an. Seit den 60er Jahren betreibt Wackenhut im staatlichen Auftrag Gefängnisse. Warum sollte das nicht auch in England möglich sein?
Private und staatliche Aufträge
Die Firma Securicor, die 1935 in London gegründet worden ist, hatte sich ursprünglich auf Nachtwächterdienste spezialisiert, erweiterte dann aber das Angebot und konnte lukrative Aufträge der Britischen Telekom, von Cellnet und O2 ergattern. 2004 verschmolz Securicor mit G4S.
Der Blick auf die Geschichte von G4S und ihrer einzelnen Bestandteile oder Tochterfirmen zeigt zwei Tendenzen: Auf der einen Seite gibt es die auf den ersten Blick unproblematischen privaten beziehungsweise privatwirtschaftlichen Sicherungsaufträge, zum anderen die Übernahme ursprünglich staatlicher Hoheitsaufgaben wie die Führung von Gefängnissen, Dienste im Zusammenhang mit militärischen Einsätzen oder die Überwachung von Grenzen wie in Israel oder Australien, wo G4S für die Einwanderungskontrolle zuständig ist.
Heuchelei in der Empörung
Aber in der schnell mobilisierten Empörungsbereitschaft steckt auch viel Heuchelei. Sicherheitsdienstleistungen stehen unter einem enormen Preisdruck. Immer gibt es Anbieter, die Personal noch billiger und Leistungen noch günstiger anbieten. Einem Wachmann in einer Ladenstrasse oder in enem Geschäft sieht man nicht an, wie qualifiziert er ausgebildet worden ist.
Und was Sicherheitsdienstleistungen in Unternehmen angeht: Derjenige, der dafür zuständig ist und entsprechende Budgets verlangt, macht sich nicht beliebt und vor allem: keine Karriere. Denn mit dem Thema Sicherheit wird kein Geld verdient, sondern nur ausgegeben. Solange nichts passiert, ist der Nutzen schwer erklärbar, und wenn etwas passiert, wird zumeist auf vermeintlichen Sicherheitslücken herumgehackt.
Öffentliches Desinteresse
Diese Doppelmoral ist im öffentlichen Bereich noch stärker. So wird das Thema Gefängnis nur deswegen brisant, weil die Inhaftierungsquoten immer weiter steigen. Mittlerweile haben die USA mit 2,3 Millionen Inhaftierten gemessen an der Gesamtbevölkerung mehr Inhaftierte als Russland. Jeder 100. Amerikaner sitzt im Knast. Private Dienstleister wiederum sollen die Kosten deckeln. Dass das zu Lasten der Häftlinge geht, wird stillschweigend in Kauf genommen oder sogar gebilligt: „Sperrt sie ein und werft die Schlüssel weg“, war in den 90er Jahren ein populärer Slogan in den USA.
Auch unabhängig davon, von wem die Gefängnisse geführt werden, sind die Verhältnisse zumeist katastrophal – nicht nur in den USA. Die totale Überbelegung spricht jedem Resozialisierungsgedanken Hohn und treibt manche Häftlinge in den Suizid. Private Anbieter stehen natürlich im Verdacht, aus dem Elend der Häftlinge ein Maximum an Profit herausschlagen zu wollen. Dazu kommt, dass ihr Personal hier und da die Häftlinge an krimineller Energie übertrifft, wie einmal ein amerikanischer Journalist bemerkte. Doch gibt es auch sehr ernsthafte Bestrebungen, Strafvollzugsanstalten vorbildlich zu führen.
Gemessen an seiner Bedeutung ist das Konglomerat G4S in grotesker Weise unbekannt. Das Management unter der Führung von Nick Buckles drängt sich nicht gerade an die Öffentlichkeit. Umgekehrt kann der, der sucht, rasch an präzise Informationen einschliesslich der kritikwürdigen Seiten kommen. Das verbreitete Desinteresse am Umgang mit der Sicherheit und den damit verbundenen Gefährdungen der gesellschaftlichen Kultur und der Freiheit ist nicht G4S anzulasten.