Die Schweiz kandidiert für einen nicht-ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat. Die Wahl im Juni 2022 gilt als Formsache. Der frühere langjährige IKRK-Delegierte und Uno-Kenner Peter Küng macht sich dazu einige Gedanken.
Wie andere vergleichbare Institutionen ist auch der Sicherheitsrat letztlich lediglich ein Spiegelbild der Beziehungen zwischen seinen Mitgliedstaaten und der in den entsprechenden Kapitalen vorherrschenden politischen Ambitionen und Realitäten. Dies zeigt sich vor allem im Umfeld der fünf über ein Vetorecht verfügenden ständigen Ratsmitglieder (USA, Russland, China, Grossbritannien und Frankreich).
Neben einigen bemerkenswerten Errungenschaften hat folglich dieser Rat auch diverse ernsthafte Probleme, die nicht unerwähnt bleiben sollten. Dies umso weniger, als viele seiner Entscheide oft über Leben und Tod unzähliger Menschen oder die Existenz ganzer Länder entscheiden.
Ungesunde Kultur des kleinsten gemeinsamen Nenners
Eine ernsthafte Analyse seiner oft hart erstrittenen Beschlüsse in Gegenüberstellung mit deren effektiven Ausführung würde mit Sicherheit ein klares Ungleichgewicht aufzeigen, denn allzu viele der Resolutionen oder «Presidential Statements» landeten früher oder später lediglich in den Archiven und Statistiken, ohne auch je wirklich umgesetzt worden zu sein.
Als Konsequenz daraus und in krasser Verletzung seiner Pflichten und seines Mandats, Konflikte zu beenden statt sie zu verlängern, hat sich unter den Ratsmitgliedern seit längerem eine ungesunde Kultur des kleinsten gemeinsamen Nenners breitgemacht, oft begleitet von einer erheblichen Dosis von Zynismus und Resignation.
Gegen grundlegende Reformen
Verantwortlich dafür sind vor allem die drei mächtigsten der ständigen Mitglieder, und das formelle Ende der Sowjetunion hatte daran wenig bis nichts geändert. Deren Vetorecht wird seit langem immer routinemässiger angewandt und damit missbraucht. Sogar auf dem ersten Höhepunkt der dem Corona-Virus geschuldeten, vielleicht grössten globalen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg konnte sich der Rat nicht einmal dazu aufraffen, das Thema auf seine Agenda zu setzen.
Zwei der raren Punkte in denen sich die fünf «Permanenten» meistens einig zeigen sind jedoch die beharrliche Ablehnung jeglicher grundlegenden Reformen der Arbeits- und Entscheidungsabläufe im Rat und, mehr noch, dessen längst nicht mehr zeitgemässe Zusammensetzung. So werden nicht nur Zeit und dringend gebrauchte Mittel verschwendet, sondern der Rat ignoriert auch zynisch das Recht Hunderter Millionen von Menschen auf ein friedliches, menschenwürdiges Dasein.
Doppelmoral
Immerhin kommt hie und da nichtsdestotrotz etwas Bewegung in die Ratsblockade. So verweigerte erstmals ein für die Periode 2014/15 nominiertes Land die Mitgliedschaft mit der folgenden Erklärung: «Die gegenwärtige grundsätzliche Haltung des Rats wie auch dessen Arbeitsmechanismen und Doppelmoral verunmöglichen es ihm, seiner Pflicht und seiner Verantwortung für internationale Sicherheit und Frieden nachzukommen.»
Wie wahr! (Und wie ironisch, dass diese überraschende Weigerung und Warnung ausgerechnet von den Saudis kam, die ja wohl wissen mussten, wovon sie redeten, wenn Doppelmoral zur Diskussion stand …).
Gesucht: eine ausnehmend hervorragende Persönlichkeit
Trotz alldem bleibt es der geheime oder nicht so geheime Wunsch vieler Staaten, diesem prestigeträchtigen Rat wenigstens einmal anzugehören. Darunter befindet sich auch die neutrale Schweiz, die sich für die Periode 2023/24 als Mitglied bewirbt. Offenbar erhoffen sich einige unserer Politiker und Diplomaten, während des zweijährigen Mandats nicht nur die Tücken und Fallen einer Mitgliedschaft in dieser Institution zu vermeiden, sondern sogar mithelfen zu können, den Rat zu einem effektiveren Friedensinstrument zu machen.
Eine minimale Chance für den Erfolg eines solch riskanten Versuchs wäre wohl nur dann gegeben, wenn eine ausnehmend hervorragende Persönlichkeit unser Land in New York vertreten würde. Ob eine solche gegenwärtig im EDA zu finden wäre, ist mir nicht bekannt.