In den 1930er und 1940er Jahren fälschte der holländische Kunstsammler und -maler Han van Meegeren eine grosse Anzahl Bilder, vor allem von Jan Vermeer. Van Meegeren gilt als einer der genialsten Kunstfälscher des 20. Jahrhunderts. Was an seinen Falsifikaten überrascht, sagen heute Experten, sei der Umstand, wie durchschaubar sie im Grunde seien. Viele der Pseudo-Vermeers sähen den Werken des Meisters gar nicht ähnlich. Weshalb sich die Frage stellt, wie denn eine Reihe von sachkundigen Kunsthändlern und Experten dem Fälscher auf den Leim kriechen konnten.
Netz der Glaubwürdigkeit
Die Antwort muss gar nicht so weit gesucht werden. Entscheidend an van Meegerens Trick war weniger die Fälschung selbst, als vielmehr das Umfeld der Fälschung. Zwar gibt es immer ausgeklügeltere chemische und physikalische Methoden der Authentifizierung von Gemälden, aber die meisten Experten berufen sich auf ihre Kennerschaft. Sie prüfen ein Werk auf seine Echtheit, indem sie es im Gesamtkorpus begutachten; sie vergleichen es mit den bereits als echt befundenen Stücken.
Sie halten sich, wie man sagen könnte, an ein Netz der Glaubwürdigkeit. Dieses Netz ist freilich delikat. Das erkannte van Meegeren. Er brauchte nur erst einmal einen falschen Vermeer ins Netz zu schleusen, um ihn dann mit den echten zu verküpfen. War dies geschehen, konnte die Fälschung quasi von der Echtheit der anderen Werke zehren. So wie man durch die Bekanntschaft mit prominenten Leuten in der Regel auch etwas von deren Prominenz abkriegt.
Das Gespinst der Meinungen
Wir handeln und denken in einem mehr oder weniger dichten Gespinst von Meinungen, einem „web of belief“, wie dies einer der einflussreichsten Philosophen und Logiker des letzten Jahrhunderts, Willard van Orman Quine, genannt hat. Das bedeutet, dass wir Behauptungen gewöhnlich nicht isoliert überprüfen, sondern, wie die Kunstexperten, im Gesamtkorpus all jener Meinungen, die wir bereits als richtig akzeptiert haben. Wenn ich erfahre, dass Christoph Blocher im Bundeshaus durch einen Sturz seine Nase gebrochen hat, dann gehe ich ihn nicht ins Spital besuchen, um mir dies von ihm direkt bestätigen zu lassen. Ich halte die Aussage für beglaubigt, weil ich sie aus Medien erfahre, die mir bereits von früher her vertrauenswürdig erscheinen. Die Philosophen sprechen in diesem Zusammenhang von der Kohärenztheorie der Wahrheit: Eine Aussage ist wahr, weil ich sie mit andern verlässlichen Aussagen verknüpfe.
Im Gegensatz dazu gibt es auch die Wahrheit als Korrespondenz oder Übereinstimmung mit Tatsachen. Wäre ich ein Korrespondenztheoretiker, müsste ich Herrn Blocher aufsuchen, um den Nasenbruch mit eigenen Augen zu sehen und mir von ihm bestätigen zu lassen, dass die Fraktur von einem Sturz herrühre. Heute verlassen wir uns immer mehr auf das „web of belief“. Wir wären in der Informationsflut hoffnungslos überfordert, andauernd korrespondenztheoretisch zu fragen: Stimmt das auch wirklich mit den Tatsachen überein?
Die Kunst der Quellenvergiftung
Und genau dies birgt grosse, zunehmend grössere Risiken. Der Trick van Meegerens hatte gewaltigen Erfolg. Er bescherte dem Fälscher ein Vermögen. Und mit jedem neuen Pseudo-Vermeer verwandelte sich das Netz der Werke in ein Hybrid aus Originalen und Falsifikaten, die Chance, dass die nächste Fälschung ebenfalls aufgenommen würde, stieg kontinuierlich an. Nach einer gewissen Zeit erschien es nahezu unmöglich, zwischen Vermeers und van Meegerens zu unterscheiden. Die Werke des Fälschers hatten sich wie Inkuben ins Netz der echten Werke eingenistet und dieses Netz kontaminiert. Van Meegeren war ein Meister der Kunst der Quellenvergiftung.
Solche Kontamination ereignet sich nicht nur in der Kunstwelt, sondern vermehrt auch in unserem Alltag. Unsere Fähigkeit, eine Meinung auf ihre „Echtheit“ zu überprüfen, hängt sensibel und vital von den Quellen ab, anhand derer wir die Meinung prüfen. Wenn man diese Quellen sukzessive vergiftet, führt dies zur Vergiftung des gesamten „web of belief“. Das Heimtückische bei van Meegeren lag nicht an der Fälschung, in der Vorspiegelung von Originalität, sondern darin, dass die Fälschung die Idee der Originalität radikal korrumpierte. Wenn man nicht mehr unterscheiden kann zwischen echtem und falschem Vermeer, was soll dann noch die Rede von der Echtheit des Kunstwerks? Wenn man nicht mehr unterscheiden kann zwischen Wahrheit und Falschheit einer Aussage, was soll dann noch das Gerede über Wahrheit?
Philosophie im Zeichen der Fälschung
Wenig bekannt sein dürfte, dass die Philosophie der europäischen Neuzeit im Zeichen der Fälschung steht. René Descartes’ „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie“ sind ein Bravourstück des Zweifelsähens. In heutiger Sprache könnte man den kartesianischen Ansatz zum Philosophieren in einem Satz verdichten: Alles ist Fake News. Wie Descartes schreibt: „Alles nämlich, was ich bisher am ehesten für wahr gehalten habe, verdanke ich den Sinnen oder der Vermittlung der Sinne. Nun aber bin ich dahintergekommen, dass diese uns bisweilen täuschen, und es ist ein Gebot der Klugheit, denen niemals ganz zu trauen, die uns auch nur einmal getäuscht haben.“
Mit seinem Universalzweifel ist Descartes sozusagen der erste Quellenvergifter der Neuzeit. Oder genauer: Er spielt mit dem Gedanken eines solchen Quellenvergifters: „So will ich denn annehmen, dass nicht der allgütige Gott die Quelle der Wahrheit ist, sondern irgendein böser Geist, der zugleich allmächtig und verschlagen ist, habe allen seinen Fleiss daran gewandt, mich zu täuschen; ich will glauben, Himmel, Luft, Erde, Farben, Gestalten, Töne (...) seien nichts als das täuschende Spiel von Träumen, durch die er meiner Leichtgläubigkeit Fallen stellt.“
Man kann aus Descartes’ Meditation eine Warnung herauslesen. Informations- und Kommunikationstechnologie sind heute so weit entwickelt, dass sie uns wie ein allmächtiger Geist in elektronischen Träumen wiegen können. Descartes Gedankenspiel ist nahezu realisierbar geworden. Und die Politk beginnt es zu entdecken.
Borderline-Politik
Van Meegeren hat gelehrige Schüler. Trump und seine Lakaien betreiben Quellenvergiftung als politisches Tagesgeschäft. Sie wissen nur zu gut, dass Bürger hochtechnisierter Gesellschaften sensibel und vital auf objektive und verlässliche Informationsquellen angewiesen sind, um die gewählten Repräsentanten zu beurteilen und wenn möglich zu kritisieren. Je mehr man also solche Quellen diskreditiert, desto schwieriger wird die Beurteilung, wie dies auch bei den Fälschungen van Meegerens der Fall war. Das „web of belief“ wird zu einem undurchschaubaren Gespinst von „alternativen“ Fakten, kostümierten Lügen und gezwitscherten Gerüchten.
Das Problem liegt nicht so sehr darin, dass man uns mit Unwahrheiten abfertigt, was schon schändlich genug ist, wenn auch nicht neu. Das Problem liegt in der Perfidie einer steten und unaufhaltsamen Zersetzung unseres Vertrauens in mühsam errichtete Institutionen wie Wissenschaft und unabhängige Medien, Quellen also, die uns helfen, auch in der Politik die Vermeers und van Meegerens voneinander zu unterscheiden. Jeder neue Hafenkäse, den der amerikanische Präsident in die Welt setzt, profitiert von dieser Grenzverwischung. Eigentlich müsste man von Borderline-Politik sprechen. Und sie wird nicht nur den Wert von Kunstwerken zerstören.