Es gehört zum politischen und zum medialen Geschäft, dass man Leute auf den Thron jubelt und sie dann vom Thron stösst. Die Demontage von Mächtigen und Einflussreichen wird seit jeher mit einer Portion Schadenfreude, Neid und Sadismus betrieben – vor allem dann, wenn die Mächtigen etwas allzu sehr zeigen, wie mächtig sie sind.
Theodor von Guttenberg war einer dieser Mächtigen und Einflussreichen. Mächtig, weil er in Meinungsumfragen der Liebling der Nation war. In der letzten Quartalsumfrage des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ erklamm Guttenberg neue Höhen – weit vor der Kanzlerin. Der smarte Adlige wusste mit seinem extrovertierten Understatement zu gefallen. Er tritt in Fernsehshows auf. Sogar bei Pressekonferenzen nimmt er seine ebenso smarte Frau mit. Selbst beim Besuch von Bundeswehreinheiten im Norden Afghanistans war Stéphanie mit dabei - und mit vor den Kameras.
Plötzlich war es mit der Smartness vorbei
Er ist der Darling des Boulevards. Er weiss mit „Gala“, "Bunte" und Co. zu spielen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer sein Popularitätshoch mit gemischten Gefühlen betrachteten. Guttenberg stand ihnen vor der Sonne. Das Magazin „Stern“ brachte kürzlich eine Karikatur, auf der Merkel zu Guttenberg sagt: „Könnten sie nicht etwas unpopulärer sein?“
Doch plötzlich ist es mit der Smartness vorbei. Guttenberg wirkt wie ein gebissenes Tier: Arrogant, unangenehm, herablassend, sein Gesicht zeigt rote Flecken. Und Deutschland fragt sich: Wie kann man nur so tollpatschig sein?
Was hat dieser Minister geleistet? In der Affäre um den Luftangriff bei Kunduz im Norden Afghanistans ist er mit einem blauen Auge davongekommen. Noch immer stehen die Vorwürfe im Raum, dass er die Unwahrheit gesagt hat. Jedenfalls revidierte er seine Aussagen mehrmals und wirkte nicht wie einer, der die Sache im Griff hat.
Wenig souverän auch ging er mit dem Tod einer Soldatin auf dem deutschen Segelschulboot „Gorch Fock“ um. Was dort auch immer geschehen sein mag, sein Vorgehen wirkte peinlich. Da entlässt er den Kommandanten, ohne ihn angehört zu haben. Als sein Verhalten kritisiert wird, krebst er zurück. „Nein, nein, wenn die Untersuchung zeigt, dass sich der Kommandant nichts zu Schulden kommen liess, wird wieder eingesetzt. Guttenberg handelt nach der alten Seeräuber-Devise: Ich erschiesse dich mal, und dann wollen wir sehen, ob du Recht hattest. Jeder KMU-Chef in Hinterobersdorf lernt, dass man einen Vorgesetzten erst entlassen darf, wenn man ihn angehört hat.
Den Beweis schwarz auf weiss
Natürlich gibt es immer Fälle, die halb so und halb so gelagert sind. Immer gibt es Konflikte, in der beide Seiten ein bisschen Recht haben. Oft auch kann man ein Problem, eine Streitfrage so oder so sehen. Vielleicht auch in Kunduz, vielleicht auch auf der Gorch Fock.
Aber bei den Plagiatsvorwürfen, die Guttenberg jetzt erreichen, kann man es nicht so oder so sehen. Man hat den Beweis der Verfehlung schwarz auf weiss. Guttenberg gibt Texte und Gedanken als die seinen aus, obwohl es nicht die seinen sind. Jeder kann das nachlesen, nachprüfen. Die Dissertation steht im Netz. Die Originaltexte ebenso. Man kann Satzbausteine als Suchbegriffe eingeben und stösst auf andere Autoren. Journalisten und Hobby-Detektive sind dabei, immer mehr gestohlene Passagen ausfindig zu machen. Ein netter Zeitvertreib. Schon gibt es die Internet-Seite http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/Plagiate. Für den Spott hat der Minister nicht zu sorgen.
Erstaunlich ist, dass Guttenberg das nicht merkt. Stur beharrt er darauf, dass dies kein Plagiat sei. Er habe einfach vergessen, einige Fussnoten mit den Quellen anzugeben. Er, der mit den Medien umgehen konnte, wie kein anderer, er auch, der bisher in Sachen Eigenwerbung ein Champion war, ausgerechnet ihm geschieht so etwas. Glaubt er, das einfach wegstecken zu können? So wie er Kunduz wegsteckte oder die Gorch Fock.
Unangenehme Fragen drängen sich auf. Hat er keine Medienberater? War er so verzweifelt, dass er sich über deren Rat hinweggesetzt hat? Lebte er schon in höheren Sphären? Hat er sich schon als neuen Kanzler gesehen? Spürt er, der smarte Adlige, seine Umwelt nicht mehr. Kann sich der Freiherr von und zu Guttenberg nicht vorstellen, dass er einmal nicht mehr das Herzblatt der Medien ist? Trauriges Erwachen.
Hat der das Zeug für einen Minister?
Da wäre Demut angebracht und nicht jene Arroganz, die er am Freitag gezeigt hat. Wer die Journalisten so anmassend, befehlerisch und herablassend behandelt, wie am letzten Freitag, muss sich nicht wundern, wenn er nicht mehr als Herzenskind der Nation gefeiert wird. Wie heisst die alte Weisheit: Wer die Journalisten zur Hochzeit einlädt, muss sich nicht wundern, wenn sie auch zur Scheidung kommen.
Man kann sagen, dem Land kann es egal sein, ob Herr Guttenberg einen Doktortitel führt oder nicht. Das Land hat wirklich andere Sorgen. Aber wenn einer derart schummelt und auf Fehler derart peinlich reagiert – hat er denn das Zeug für einen Minister? Führt er denn seine Ministertätigkeit ebenso oberflächlich aus? Diese Fragen sind zumindest erlaubt. Und da erinnert man sich wieder an Kunduz und an Gorch Fock.
Die Affäre entwertet auch jede Doktorarbeit. „Aha, Doktortitel kann man sich so erwerben“, heisst es bereits polemisch. Summa cum laude. Jeder, der sich in ehrlicher Weise einen Doktortitel erarbeitet hat, muss ein Interesse daran haben, dass diese Affäre Konsequenzen hat. Und natürlich steht auch der Doktorvater im Regen.
Alle wissen: Auch wissenschaftliche Arbeiten, auch Doktorarbeiten, auch die gescheitesten Vorträge und Vorlesungen der gescheitesten Professoren bestehen nicht nur aus eigenen Geistesblitzen. Immer wird auf Geistesblitze und Gedanken anderer Bezug genommen und darauf aufgebaut. Sie werden abgewandelt, bewertet und gewertet. Und immer wird die Quelle der fremden Geistesblitze angegeben. Dass Herr Guttenberg andere Quellen verwendet, wäre gar nicht verwerflich, vorausgesetzt er hätte diese Quellen angegeben.
Eine wissenschaftliche Arbeit besteht darin, dass man genau arbeitet. Das richtige Zitieren, die pingelige Angabe von Quellen ist das A und O. Wenn Guttenberg ein oder zwei Mal „vergessen“ hätte, die Quelle anzugeben, na ja. Aber vierzig Mal? Oder gar mehr. Kann Guttenberg nicht genau arbeiten?
Etwas wird hängen bleiben
Wichtig ist der Eigenanteil einer Arbeit. Wenn sie nur aus einem Sammelsurium fremder Ansichten besteht, ist sie wenig Wert. Ist der Eigenanteil aber gross, ist sie wertvoll. Die Doktorarbeit von Herrn Guttenberg wird jetzt von der Universität neu beurteilt. Vielleicht kommt diese Universität zum Schluss, dass der Eigenanteil sehr gross ist. Damit wäre zwar der Doktortitel verdient. Doch auch dann: An Guttenberg wird immer etwas hängen bleiben. Bald wird ihn der Boulevard mit bitterbösen Qualifikationen begleiten. „Schummel-Theddy“ zum Beispiel.
Wird der Liebling der Nation jetzt vom Sockel gestürzt? In einer Blitzumfrage der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ spricht sich eine deutliche Mehrheit der Leser für einen sofortigen Rücktritt des Ministers aus. So schnell kann das gehen, wenn auch solche Umfragen nicht überbewertet werden dürfen. Dass die serbelnde Opposition jetzt seinen Rücktritt verlangt, gehört zum reflexartigen Zeremoniell in solchen Fällen.
Eigentlich käme es Frau Merkel gelegen, dass Guttenberg ihr nicht mehr vor der Sonne steht. Und Horst Seehofer in München freut sich wohl insgeheim. Aber: Politisch darf die Demontage Guttenbergs den beiden nicht gefallen. In neun Bundesländern finden in diesem Jahr wichtige Wahlen; den Anfang machen jetzt Hamburg und Sachsen-Anhalt. Da könnte die Affäre Dr. Guttenberg der CDU und der CSU einigen Schaden bringen.
Und da die Dr.-Geschichte eben politische Konsequenzen haben kann, ist sie vielleicht doch mehr als ein Sturm im Wasserglas. Es sind schon Parteien und Minister wegen kleineren Kleinigkeiten gerupft worden.
Schon kommt ein weiterer, viel grösserer Verdacht auf. Guttenberg hat seine Doktorarbeit im Jahr 2006 eingereicht. Zu jener Zeit war er sowohl Mitglied des Deutschen Bundestages als auch Obmann der CDU/CSU-Fraktion für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Lässt diese Funktion so viel Freizeit, um nebenbei noch eine Doktorarbeit zu schreiben? Und wenn ein Ghostwriter für ihn diese Arbeit geschrieben hätte? Natürlich nicht. In dubio pro reo. Die Franzosen sagen: affaire à suivre.