Am Sonntag trifft die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft auf Belarus. Chancen gegen die Schweiz hat das belarussische Team kaum. Es ist geschwächt durch die Auswahl der Spieler nach politischen Kriterien.
Belarus spielt am 15. Oktober in St. Gallen gegen die Schweiz. Es ist ein Qualifikationsspiel für die Fussball-Europameisterschaften. Trotzdem interessiert der Match in Belarus nicht viele Leute. Auch Alex Sverchinsky, ein ehemaliger Fussballprofi aus Belarus, wird sich das Spiel nicht anschauen – gerade weil ihm der Fussball in Belarus am Herzen liegt.
«Der grösste Teil der Bevölkerung steht nicht hinter der Nationalmannschaft», sagt Sverchinsky. Die Fussballer der Nationalelf hätten vor der Diktatur in Belarus gekuscht, sagt er. «Damit haben sie den Rückhalt der meisten Fans verloren.»
Doch verpassen werden die Belarussen kaum etwas, wenn sie am Sonntagabend keinen Fussball schauen. Das Spiel dürfte eine einseitige Partie werden. Das Hinspiel gegen Belarus vom 25. März 2023 dominierte die Schweiz und gewann 5:0. Die Mannschaft von Belarus hat gezeigt, dass sie keine grossen Stricke zerreissen kann.
Für Lars Bünger, Präsident der Menschenrechts-Organisation Libereco, ist der deutliche Sieg im Hinspiel keine Überraschung. «Für die Nationalmannschaft von Belarus werden seit 2020 nicht die besten Spieler aufgestellt, sondern diejenigen, die den belarussischen Diktator Lukaschenko unterstützen.»
Proteste nach manipulierter Wahl
Nachdem der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, die Präsidentschaftswahlen vom 9. August 2020 zu seinen Gunsten manipulieren liess, kam es in den Städten von Belarus wochenlang zu Protesten. Zehntausende Menschen gingen immer wieder auf die Strasse, um gegen den Wahlbetrug und die autoritäre Herrschaft Lukaschenkos zu demonstrieren.
Lukaschenko regiert seit 1994 in Belarus. Eine Opposition duldet er nicht. Doch seine Macht über das Land drohte ihm während den Massenprotesten im Jahr 2020 erstmals zu entgleiten. Um seine Herrschaft zu sichern, liess Lukaschenko die Demonstranten durch seinen Sicherheitsapparat immer wieder niederknüppeln und verhaften. Laut der Uno wurden während den Protesten über 35’000 Demonstranten festgenommen; viele von ihnen wurden bei der Festnahme oder im Gefängnis misshandelt.
Nach dem Abebben der Demonstrationen Ende 2020 ging die Verfolgung von Oppositionellen und Journalisten weiter. Wie weit Lukaschenko dabei zu gehen bereit ist, hat sich am 23. Mai 2021 gezeigt. Ein Flugzeug der irischen Fluggesellschaft Ryanair, das von Griechenland nach Litauen unterwegs war, wurde im belarussischen Luftraum zur Landung gezwungen. Die Flugsicherung schob eine angebliche Bombendrohung vor. Im Flugzeug sass der belarussische Journalist und Lukaschenko-Gegner Roman Protassewitsch, der nach der erzwungenen Landung in Minsk festgenommen wurde.
Auch für Alex Sverchinsky wurde Belarus zu gefährlich. Nachdem er seine Fussballkarriere 2018 beendet hatte, versuchte er eine Gewerkschaft für Fussballer aufzubauen, scheiterte aber am Widerstand der Regierung. Damit war er in den Augen des durch die Proteste verunsicherten Lukaschenko-Regimes bereits suspekt.
Sverchinsky wollte Belarus im Sommer 2021 verlassen. Doch am Flughafen in Minsk merkte er, dass ihn die Polizei verfolgte. Sverchinsky trat den Flug nicht an. Er verliess den Flughafen so schnell es ging und floh ein paar Tage später heimlich und auf abenteuerliche Weise mit einem Boot über einen Grenzfluss nach Russland. Schlussendlich gelangte er nach Polen, wo er heute noch lebt.
Die Spieler begehren auf
Der belarussische Fussballverband setzte nach dem Ausbruch der Proteste Spieler unter Druck, Lukaschenko zu unterstützen. Den Fussballvereinen sei vom Verband angedroht worden, dass die staatlichen Finanzspritzen ausbleiben würden, sollten die Spieler keine regierungsfreundlichen Briefe unterzeichnen, sagt Sverchinsky.
An dem Zweitligisten FC Krumachy statuierte die Regierung ein Exempel. Zwei Spieler des Vereins, Sergey Kozeka and Pavel Rassolko, verhaftete und verprügelte die Polizei am 30. August 2020 während eines Protestmarsches. Kozeka wurde so schwer verletzt, dass er an der Wirbelsäule operiert werden musste. Im Juni 2021 wurde ein weiterer FC-Krumachy-Spieler, Aliaksandr Ivulin, aus fadenscheinigen Gründen für 18 Monate ins Gefängnis gesteckt.
Als Reaktion darauf begehrten die Spieler und Fans des FC Krumachy auf. Sie trugen T-Shirts mit Botschaften für ihre misshandelten Kameraden und während einem Cup-Spiel gegen Dynamo Minsk legten die FC-Krumachy-Spieler eine Protestminute ein, bei der sie stillstanden und zusammen mit den Fans applaudierten.
Die Antwort der Behörden liess nicht lange auch sich warten. Fans, die die Rückennummer 25 des inhaftierten Spielers Ivulin trugen, wurden festgenommen und Sponsoren des FC Krumachy wurden genötigt, die Finanzierung für den Klub einzustellen. Ohne ausreichende finanzielle Mittel musste der FC Krumachy absteigen.
Doch die Repressionen des Regimes machten auch vor den Spitzenspielern in der ersten Liga nicht halt. Stanislav Dragun, der Kapitän des erfolgreichsten belarussischen Klubs, Bate Borisov, war einer der ersten Fussballer, der in den sozialen Medien die Polizeigewalt gegen Demonstranten kritisierte. Für das Spiel der belarussischen Nationalmannschaft gegen Georgien am 8. Oktober 2020 wurde er deshalb nicht mehr aufgeboten. Und sein Verein Bate Borisov verlängerte den Vertrag mit dem Kapitän der Mannschaft nicht.
Die Dokumentation der Repressionen
Sverchinsky dokumentiert den Umgang der belarussischen Behörden mit Spielern wie Stanislav Dragun aus seinem polnischen Exil. Er sammelt Informationen über Spieler, die verhaftet, bedroht oder von ihren Vereinen und der Nationalmannschaft ausgeschlossen worden sind, weil sie sich gegen Lukaschenko ausgesprochen haben.
Er schickte einen umfassenden Bericht über die Repressionen an die FIFPro, ein Verband mit Sitz in den Niederlanden, der weltweit die Interessen von Berufsfussballern vertritt. Laut Sverchinsky sind mittlerweile rund fünfzig Fussballspieler von den Schikanen betroffen. Nach anfänglichem Interesse am Bericht habe die FIFPro aber keine konkreten Schritte zur Unterstützung der Fussballer eingeleitet.
Erst der grossflächige Angriff Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 führte zu Massnahmen gegen den belarussischen Fussballverband. Weil Belarus vom russischen Militär als Ausgangspunkt für Angriffe gegen die Ukraine benutzt wurde, beschloss der europäische Fussballverband Uefa, dass die Nationalmannschaft von Belarus ihre Heimspiele im Ausland und ohne Zuschauer austragen muss.
Sverchinsky begrüsst die Sanktionen, auch wenn sich damit die Situation der schikanierten Fussballspieler nicht verändert hat. Und solange dieser Zustand anhält, wird er sich kaum ein Spiel der belarussischen Nationalelf anschauen, so wie die meisten seiner Landsleute.