Für die Hersteller von Billigmode ginge ein Traum in Erfüllung, könnten sie ihre Ware als Abfall aus der Massentierhaltung fabrizieren. Noch ist es nicht so weit. Aber die Wirklichkeit liefert des Schreckens schon genug. Was die Kundinnen und Kunden als Schnäppchen erwerben, entsteht unter sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedingungen, die zum Himmel schreien. Die Hintergründe erhellen das Textilmuseum St. Gallen und dessen Kooperationspartnerin Public Eye mit der vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg gestalteten Ausstellung „Fast Fashion – Die Schattenseiten der Mode“. Das politische Signal erschüttert.
Schuften für Dumpingpreise
Die nüchterne Erklärung der „Fast Fashion“ liest sich im Ausstellungstext harmlos. Es handelt sich um „eine Unternehmensstrategie, deren Ziel es ist, in immer kürzeren Abständen neue Mode in die Geschäfte zu bringen“.
Während sich klassische Modesegmente auf jährlich wenige Kollektionen beschränken, lancieren „Billiglabel im gleichen Zeitraum bis zu zwölf und mehr Kollektionen“ mit der Absicht, „vor allem junge KundInnen auf allen Medienkanälen auf sich aufmerksam zu machen, häufiger in die Läden zu locken und zum Kaufen zu animieren.“
Wohlan. Sind die Kleider erschwinglicher als Haute Couture und Prêt-à-porter, soll es der Kundschaft recht und billig sein. Leider verlangt diese Frohbotschaft Schwerhörigkeit und Blindheit zugleich, um gar nicht erst wahrzunehmen, wer für die Dumpingpreise in dunkeln und stickigen Löchern schuftet und die Gewinnmaximierung der Produzenten wehrlos mit dem Verzicht auf eine anständige Entlöhnung und einen sicheren Arbeitsplatz ermöglicht.
Die Fakten sprechen
Die Ausstellung öffnet für desaströse Zustände Augen und Ohren – und weckt hoffentlich das schlechte Gewissen bis zur Einsicht, ohne eine menschenwürdige Reorganisation der „Fast Fashion“ auf den Kauf der schandbefleckten Ware zu verzichten. Günstig hin oder her.
Den Ausstellungs-Verantwortlichen gilt das Lob für ihre Sachlichkeit und den Entschluss, durch Fotos, Videos, Texttafeln und künstlerische Interventionen die Fakten sprechen zu lassen. Ihre eindringliche Stärke macht jeden pädagogischen Eifer so überflüssig wie den moralisierenden Drücker.
Ein Horrortrip
Die Ausstellung veranschaulicht in sechs Stationen Problemfelder wie Mode und die für sie erbrachten Opfer der Näherinnen und Hilfsarbeiter, die Komplexität der Bekleidungsökonomie, Lohn und Gewinn und die für die Veredelung verwendeten umweltbelastenden Chemikalien.
Die Ausstellungsbesucher begegnen einer Schattenwelt, die in den Modeläden als strahlend erscheint, verlockend und ästhetisiert. Die adretten und eleganten Kleider haben einen Horrortrip hinter sich, der in frühkapitalistischen Tiefen beginnt und auf den Höhen des verzaubernden Marketings endet. Der lesenswerte Katalog ist ein beklemmender Reiseführer.
Textilmuseum St. Gallen, „Fast Fashion – Die Schattenseiten der Mode“, mit Katalog, bis 5. Juni 2017