Und so fühlten sich die Passagiere vor vierzig Jahren, als Fliegen noch ein Luxusgeschäft war: Air India war ein ‚Palace in the Skies‘, man wurde von Hostessen in Seidensaris umsorgt, schaute aus Luken im Stil eines Rajasthan-Fensters, und die Büros der Gesellschaft lagen an den besten Adressen – 555 Fifth Avenue, Bahnhofstrasse 1, Champs Elysees, Ginza.Es war auch eine moderne Fluglinie, die erste der Welt, deren gesamte Flotte nur aus Jets bestand.
Lange Agonie
Heute liegt der Maharadscha auf dem Sterbebett, ausgezehrt von Verschuldung, Zahlungsunfähigkeit, Missmanagement, und der lieblosen Ausbeutung durch Gewerkschaften, Politiker, und andere Leichenfledderer. Der Staat hält ihn noch am Leben, indem er sich die immer teureren Schuldscheine ans Bein streicht. Aber in den letzten Monaten haben sich die Verfallsymptome rasch vermehrt: unbezahlte Löhne und Pensionszahlungen, Verweigerung von Flugbenzin, gesperrte Startbahnen, ausgefallene Flüge. Doch Air India darf nicht sterben, denn der indische Staat würde dann vollends das Gesicht verlieren. Und dessen Funktionäre hätten eine staatliche Pfründe weniger, an der sie sich bereichern können. „Eine Schliessung oder der Verkauf steht ausser Frage“, erklärt der neue Minister für Zivilluftfahrt, Vayalar Ravi.
Die Agonie dauert schon lange. Bereits 1951 erwarb der Staat eine Mehrheitsbeteiligung und machte aus Air India ihren ‚Flag Carrier‘, beliess aber das Management in den Händen des Unternehmers J.R.D. Tata. Tata hatte 1929 als erster Inder eine Pilotenlizenz gelöst und 1932 in England eine einmotorige de Havilland gekauft, die er ‚Puss Moth‘ taufte und nach Indien fliegen wollte. Doch beim ersten Zwischenstopp in Neapel wurde er krank. Er löste darauf kuzerhand ein Schiffsbillett, fuhr das Flugzeug mit dem Auto zum Hafen (es hatte aufklappbare Flügel), und nahm es als persönliches Gepäck aufs Schiff. In Bombay, so erzählt J.R.D.s Biograf Russy Lala, wartete ein Ochsenkarren, der die Motte zum Flugplatz Juhu karrte. Tata Air war geboren.
Keine einheitliche Strategie
Zwanzig Jahre blieb J.R.D. Herr über seine geliebte Fluglinie. Doch Ende der Siebziger Jahre wurde die Fluglinie ganz verstaatlicht, und Tata vor die Tür gestellt. Es war der Beginn einer langsamen Erosion der Qualität, die sich beschleunigte, als der Sektor auch privaten Fluglinien geöffnet wurde. 2001 stand Air India zum Verkauf, doch der einzige Interessent, ein Konsortium der Tata-Gruppe und Singapore Airlines, wurde abgewiesen, weil noch rasch ein Gesetz durchgeboxt wurde, das ausgerechnet ausländischen Fluglinien als Luftfahrt-Partner verbot. In einem Verzweiflungsakt vereinigte die Regierung 2007 die internationale Air India mit Indian Airlines, die ein starkes Bein im Binnenverkehr hatte. Es war eine Verkuppelung, die Niemanden glücklich machte. Es dauerte vier Jahre, bis die IT-Grossmacht Indien für die fusionierte Air India ein gemeinsames Buchungssystem zuwege brachte. Bis heute fehlt eine einheitliche Personal- und Flottenpolitik, und noch immer gibt es zwischen den Piloten der alten Fluglinien unterschiedliche Gehaltsansätze. Es kam zu Streiks des Personals, zu Arbeitsausschlüssen und Wiederanstellungen.
Dann kam der Gnadenstoss, ausgeführt durch den damaligen Minister Praful Patel: die bereits blutende Fluglinie – sie verlor jeden Tag 260 Millionen Rupien (5 Mio.Fr.) – fiel in einen Kaufrausch. Im Jahr 2010 bestellte Air India an der Luftfahrtschau in Le Bourget 43 Airbus und 50 Boeing-Dreamliners, für eine Gesamstsumme von 2,3 Mia.$. Nicht schlecht für ein Unternehmen, das bereits mit Rs. 420 Mia., rund 8 Mia. Fr., in der Kreise stand. Was Minister Patel dazu bewog, bleibt sein Geheimnis. Der ‚Comptroller and Accountant General‘, der unabhängige staatliche Geschäftsprüfer, erklärte, der „selbstmörderische“ Erwerb sei „eindeutig unter dem Einfluss des Ministeriums für Zivilluftfahrt vorangetrieben worden“. Dem erfolgreichen Geschäftsmann Patel wird nachgesagt, dass er auf die Liquidation hinarbeitete, um das Feld für die privaten Anbieter zu räumen.
Schatten der Vergangenheit
Das hinderte den Minister nicht daran, ‚seine‘ Fluglinie für private Zwecke zu nutzen. Als seine Tochter, PR-Managerin der privaten ‚Indian Premier Cricket League‘, 2009 dringend ein Team von Chandigarh nach Chennai fliegen musste, bat sie Daddy um Hilfe. Dieser ordnete an, den Linienflug nach Jaipur kurzfristig ausfallen zu lassen und den A-310 der Premier League zum Chartern freizugeben. Ein andermal wollten sieben Familienmitglieder von Bangalore auf die Malediven fliegen. Da die Business Class des Airbus A-310 ausgebucht war, wurde ein A-320 eingesetzt, der mehr Business Class-Sitze aufweist. Überhaupt gehört Air India quasi zum Wagenpark der Regierung. Fünf Boeing 747-Jumbo sind, inklusive Crew, für VVIP-Dienste reserviert, zwei allein für den Premierminister (man kann nie wissen – es könnte ja Einer ausfallen). Jährliche Kosten: Fr. 250 Millionen.
Patel ist nicht mehr im Amt, aber die Schatten der Vergangenheit drohen ihn nun einzuholen. Sein Name erscheint in den Akten des kanadischen Justizministeriums, das gegen einen indisch-stämmmigen Geschäftsmann Klage erhoben hat. Dieser soll gestanden haben, dem Minister persönlich 250‘000 Dollars überreicht zu haben, um einen kanadischen Anbieter zu einem 100 Millionen-Auftrag für die Installation eines elektronischen Gesichtserkennungs-Systems zu verhelfen. Patel wies den Vorwurf zurück. Der Deal sei ohnehin nie zustande gekommen, erklärte er gegenüber dem ‚Globe and Mail‘ aus Toronto. Ob er den Mittelsmann denn wiedererkennen würde, fragte ihn der Korrespondent. „Ich treffe eine Menge Leute. Wenn Sie mir ein Foto des Mannes zeigen, würde ich ihn nicht wiedererkennen“. Vielleicht hätten sie das kanadische System doch installieren sollen, zum Beispiel im Büro des Ministers.
Air India fliegt immer noch, dank dem Staat, die jedes Jahr eine Milliarde Dollars öffentlicher Mittel in die Notfallstation pumpt. Aber es wird überall gespart, und viele gute ‚Air Indians‘ sind zu privaten Konkurrenten abgewandert. Dies weckt immer mehr Ängste von Passagieren über mangelnde Sicherheit. Letztes Jahr kam ans Licht, dass Fluglinien (nicht nur Air India) Ko-Piloten anstellten, deren Zertifikate von Flugschulen ausgestellt wurden, die es nur auf dem Papier gab. Ko-Piloten in Ausbildung steuerten vorschriftswidrig Air eigenhändig India-Flugzeuge, einschliesslich Starts and Landungen. Die ‚New York Times‘ erzählte von einem amerikanischen Piloten, der bei Air India angeheuert hatte. Eines Tages, als er ausser Dienst war, sei er während eines Flugs ins Cockpit gegangen. „Es war ganz in einen gelblichen Dunst getaucht“, erzählte er der Reportein. Die Piloten hatten die Fenster mit Zeitungspapier abgedeckt, um die Sonne fernzuhalten.