In Syrien sind die Fronten verhärtet. Sowohl die Rebellen wie auch die Regierung glauben weiterhin, dass sie diesen Krieg gewinnen werden. Es gibt Gründe, weshalb sich jeder als Gewinner sehen kann. Die Rebellen verfügen über eine wachsende Unterstützung in der Bevölkerung. Genauer gesagt: in den 70 Prozent der Bevölkerung, die Sunniten sind. Die Regierung anderseits glaubt an einen Sieg, weil sie noch immer die reguläre Armee beherrscht und einsetzen kann. Sie verfügt deshalb über eine weit überlegene Feuerkraft.
Grausamkeit bringt Hartnäckigkeit
Die Grausamkeit, mit der in Syrien gekämpft wird, wächst. Sie bewirkt, dass beide Seiten sich ein Nachgeben oder einen Kompromiss immer weniger vorstellen können. Beide haben Grund zu befürchten, dass sie vernichtet würden, wenn sie nachgäben. Dies bewirkt, dass auch Rückschläge für die eine oder andere Seite schwerlich zu Umdenken und zu mehr Kompromissbereitschaft führen können. Im Gegenteil: Die Grausamkeiten bewirken, dass die kurzfristig als schwächer erscheinende Seite umso verzweifelter kämpft und umso energischer nach neuen Wegen sucht, um ihre Verluste auszugleichen und die sich abzeichnenden Schwächen zu kompensieren.
Kampfhelikopter, Raketen, Bomben
Dass die Regierung nun gezwungen ist, sowohl in Aleppo wie in Damaskus zu kämpfen, Städte, die sie zuvor voll beherrschte, ist zweifellos ein Rückschlag für sie. Doch sie sucht ihn zu kompensieren, indem sie ihre bisher kaum verwendete Luftwaffe einsetzt. Die Kampfhelikopter sind nach diesen Rückschlägen die Waffe der Regierung geworden, die den Rebellen weitaus die meisten Verluste bringen. Die Regierung hat auch damit begonnen, neben der Artillerie, die sie seit langem einsetzt, Kampflugzeuge mit Raketen und Bomben einzusetzen, um Ortschaften und Stadtteile zu zerstören, in denen die Kämpfer des Widerstandes sich festgesetzt haben und deren Wiedereroberung in Strassenkämpfen verlustreich für die Regierungstruppen zu werden droht. Wenn diese Stadtteile und Ortschaften entvölkert werden, finden auch die Widerstandskämpfer in ihnen kaum mehr Deckung und Überlebensgrundlagen.
Flüchtlinge in und ausserhalb Syriens
Die Zahl der Flüchtlinge in die Nachbarländer steigt immer weiter an. In erster Linie dient die Türkei als Zuflucht, doch auch in Libanon, in Jordanien und sogar im Irak suchen immer mehr Menschen Zuflucht. Im Syrien selbst steigt die Zahl der Obdachlosen, die aus ihren Häusern vertrieben worden und irgendwo im Land Unterschlupf suchen.
Russische Panzer für die Rebellen?
Die Widerstandskämpfer verlangen schwerere Waffen. Die inoffiziellen Hilfszentren in der Türkei, von denen man weiss, dass sie existieren, wenngleich unbekannt ist, wer genau, wie weit militärische Hilfe gewährt, suchen diesen Begehren und Notwendigkeiten nachzukommen. Die Gelder kommen gewiss in erster Linie aus Saudi-Arabien und Qatar sowie aus anderen Erdölstaaten am Golf. Waffen werden mit diesen Geldern bezahlt. Die Ausbildung an diesen Waffen soll in türkischer Hand liegen. Von den Grossmächten USA, Grossbritannien und Frankreich weiss man nur, dass sie offiziell keine Waffen liefern, sondern nur "nicht tödliches Kriegsgerät".
Doch was die Geheimdienste dieser Länder tun, ist eben "nicht offiziell". Man weiss, dass Präsident Obama eine Weisung an die CIA unterschrieben hat, die diese beauftragt, in der Türkei aktiv zu werden. Genau wie, ist jedoch nicht bekannt. Beratungen darüber, wie beide Staaten, die USA und die Türkei, "ihren Druck auf die Regierung al-Asads erhöhen könnten", fanden in Istanbul zwischen den Aussenministern der beiden Staaten statt. Gerüchte gingen um, wonach die Rebellen mit 20 russischen T-Tanks libyscher Herkunft ausgerüstet worden seien. Die syrische Armee hat 5000 davon.
Die Bärtigen gut bei Kasse
Dass der Widerstand nun über deutlich mehr Anti-Tank-Waffen verfügt, geht aus Fernseh-Bildern hervor. Es soll Kampftruppen geben, deren Kommandanten, die meist dichte Bärte tragen, ihren Soldaten einen Sold von bis zu 60 Dollar im Tag zahlen. Andere, meist ohne Bärte, können ihre Kämpfer kaum ernähren und sie nur mit wenigen Patronen ausrüsten.
„Kommen die "Stingers"?“
Was die Rebellen heute in erster Linie brauchen, sind Panzer brechende Waffen und Raketen, die gegen die Kampfhelikopter eingesetzt werden können. In Afghanistan waren einst die "Stingers" kriegsentscheidend. Die dortigen Rebellen hatten diese Raketen erhalten, um sich gegen die sowjetischen Helikopter zu verteidigen. Doch später sahen sich die Vereinigten Staaten gezwungen, möglichst alle Stingers, die noch funktionierten, aus den Händen des Widerstandes teuer zurückzukaufen. Man begann zu befürchten, die Abwehrraketen könnten in die Hände von islamistischen Kämpfern geraten. Der Sohn des Haqqani, der seinerzeit mit amerikanischer Hilfe gegen die Sowjets vorging, kämpft in der Tat heute als Oberhaupt der gleichen Haqqani-Gruppe gegen die Amerikaner und die Nato in Afghanistan.
In Syrien kämpft heute ein unübersichtliches Gemisch aus syrischen Patrioten und Liberalen, die aus der ursprünglichen Opposition der gewaltfreien Demonstranten stammen und aus Islamisten aller Varianten des weiten islamistischen Spektrums von gemässigten Demokratiefreunden bis zu kompromisslosen Kalifatsanhängern. Diesmal möchten die geheimen Waffenverteiler vermeiden, dass "Stingers" in die "falschen Hände" gelangten. Sie scheinen deshalb vorsichtig bis zurückhaltend vorzugehen.
Gestärkte Islamisten
Doch ihre Vorsicht wirkt sich nur dahin aus, dass die Islamisten über mehr Gelder und bessere Waffen verfügen als die säkular ausgerichteten Feinde des Asad-Regimes. Die Islamisten erhalten sie via Schmuggel wohl meist über Libanon aus Saudi-Arabien. So werden gerade jene Kreise gestärkt, welche die Amerikaner und Europäer nicht stärken möchten; ihre gegenwärtigen Kampfgefährten und künftigen Rivalen von der mehr säkularen Seite werden jedoch ihnen gegenüber geschwächt.
Die USA und die Saudis haben verschiedene Ziele
In Syrien führen die Saudis und ihre arabischen Verbündeten nicht genau den gleichen Krieg wie die Amerikaner. Beide möchten die Asad-Regierung zu Fall bringen. Beide sähen es als einen Gewinn, wenn die nahöstliche Achse, die von Teheran über Damaskus zu Hizbullah in Libanon und zu Hamas in Palästina führt, in Syrien gebrochen würde. Doch die Saudis und ihre Freunde fördern nach Kräften die islamistischen Gruppen. Die Nato und Israel jedoch fürchten eine mögliche Machtergreifung der Islamisten nach Asad.
Saudis gegen Schiiten
Die Saudis führen einen Krieg gegen die Schiiten im ganzen arabischen Raum. Seit dem Entstehen einer schiitischen Regierungsmacht im Irak, unter amerikanischem Vorzeichen, sehen sie die sunnitische Welt als bedroht an durch "die Schiiten" unter iranischer Führung. Sie zählen auch die syrischen Alawiten und die jemenitischen Zaiditen (heute als Huthis bekannt) als zu dieser Achse "des Bösen" gehörig.
Für die USA und die Nato-Verbündeten ist der syrische Krieg nicht so sehr ein Ringen zwischen "Schiiten" und "Sunniten" wie für die Saudis, sondern vielmehr eines, bei dem es um weltstrategische Positionen geht, die bisher von den Amerikanern beherrscht worden sind und die von einer solchen Bedeutung auf dem weltstrategischen Schachbrett sind, dass sie diese auf keinen Fall zugunsten der Russen oder der Chinesen oder zugunsten einer oder mehrerer lokaler Vormächte, wie Iran, Ägypten und die Türkei, räumen möchten.
Drei Ebenen der Konfrontation
Der Syrien-Krieg spielt sich auf drei Ebenen ab: der lokalen in Syrien, der regionalen zwischen Sunni- und Schii-Mächten und der weltpolitischen. Bei der weltpolitischen Auseinandersetzung geht es um die USA sowie ihre alten Herausforderer aus dem einstigen Ostblock. Neu dazu kommen jetzt die regionale Gross-Staaten Iran, Ägypten und Türkei. Sie glauben, die USA würden ihre Vormachtstellung bald einbüssen und sehen sich als Nachfolger.
Zusammenhänge zwischen den Dreien
Die drei Ebenen sind unterschiedlich, doch es bestehen auch Verbindungen zwischen ihnen. Israel war einst der Flugzeugträger Amerikas im Nahen Osten und könnte es wieder werden. Der Flugzeugträger drängt auf einen Iran-Krieg aus Furcht vor iranischer atomarer Bewaffnung. Das syrische Ringen ist für Israel demgegenüber sekundär bis unwillkommen, weil sein Ausgang zu einem neuen Regime in Syrien führen könnte, das für Israel weniger berechenbar wäre, als jenes der Asad-Familie, die zwar gegen Israel redete, aber seit 1973 nichts militärisches tat.
Die Saudis verfolgen zwar anders gelagerte Ziele in der Region als die Amerikaner, doch beide sind eng aufeinander angewiesen, weil der seit 1945 bestehende Pakt - Erdöl gegen Sicherheit - für beide Seiten von zentraler Bedeutung bleibt.
Ob Iran eine Atomwaffenmacht wird oder nicht, ist nicht bloss für Israel von Bedeutung, sondern auch für die USA. Iran sieht sein Bündnis mit dem Asad-Regime als eine "Achse des Widerstands" an, auf der sein Streben nach nahöstlicher Vormacht wesentlich ruht. Die atomaren Anstrengungen sind auch ein Teil dieses Strebens. Wenn Iran Asad hilft, betrifft dies alle drei Ebenen, die innersyrische, die der schiitisch-sunnitschen Konfrontation und die der Weltstrategie.
Die drei miteinander verbundenen Ebenen machen den Einsatz in Syrien sehr viel komplexer und unübersichtlicher als es jener in Libyen war. Auch dort hat der Waffengang zu unvorhergesehenen Folgen geführt. Doch sie wirken sich nur auf den Südrand der Sahara aus, wo die libyschen Waffen für eine Unruhewelle gesorgt haben, nicht auf den weltstrategischen Korridor, welchen der Nahe Osten bildet.
Parteinahme mit beschränktem Engagement
In Syrien ist die Lage so komplex und so risikoreich, dass auch dieser Umstand den Stellvertreterkrieg fördert. Keiner der beteiligten Aussenseiter will offen eingreifen, doch für alle ist das Land als Einsatz wichtig genug, dass sie es nicht unterlassen wollen, nach Kräften ihre Seite zu stützen. Die Freunde Asads, Russland und Iran, haben den Vorteil, dass sie "offiziell" Waffen und Hilfsgüter liefern können, die von "Regierung an Regierung" geleitet werden.
Die Freunde der Rebellion müssen inoffiziell handeln und ausserdem noch zu vermeiden suchen, dass ihre Hilfe in die "falschen Hände" gerät.
Doch beide Seiten finden sich in den Krieg verwickelt und können ihre Partei nicht mehr fallen lassen, ohne ihre eigene Position in der Region gefährdet zu sehen. Und beide syrischen Gegner rufen ihre Freunde um Hilfe an, umso lauter je deutlicher wird, dass sie alleine gelassen ihre Widersacher weder besiegen können noch endgültig gegen sie verlieren werden, bevor beide ihr Land, um welches sie immer bitterer kämpfen, weitgehend zugrunde gerichtet haben.