Dabei geschieht nicht, was man hätte erwarten können, dass sich zwei
der drei - oder mehrere unter den zahlreichen - zusammenschliessen, um einen von ihren Gegnern, der alleine bleibt, auszuschalten. Vielmehr kämpft jede Partei für sich selbst, mit ihren eigenen Zielsetzungen gegen alle anderen. Was natürlich die Kriege verlängern muss und eine Entscheidung herbeizuführen erschwert, ja beinahe verunmöglicht.
Das syrische Kriegspolygon
Beispiel Syrien: Dort kämpft die Regierung gegen die Rebellen. Doch
die Rebellen kämpfen auch untereinander, IS gegen Nusra und umgekehrt. Im Felde steht zugleich auch eine Unzahl von weiteren Milizen. Einige von ihnen haben sich nach und nach dazu gezwungen gesehen, mit anderen Kleingruppen zusammenzuarbeiten und haben sich dann in gewissen Fällen zu einem Zusammenschluss mit einer der grösseren Kampfparteien entschlossen oder dazu gezwungen gesehen.
So etwa die Kleinkampfgruppen islamistischer Ideologie, welche in Syrien gemeinsam das "Islamische Heer" bilden und mit Nusra zusamenarbeiten, aber mit IS zusammenstossen - sowie auch mit dem Feinde von IS, dem syrischen Staat.
Dazu kommen in Syrien als weitere Kraft die syrischen Kurdenmilizen an der türkischen Grenze, die unter der Bezeichnung
"Volksverteidigungskräfte" gehen (kurdisch abgeküzt YDP) und politisch
unter der Leitung der syrisch-kurdischen Demokratischen Einheitspartei
stehen (kurdisch abgekürzt PYD). Diese steht ihrerseits der
türkisch-kurdischen PKK nahe. Sie gilt daher den Türken als ein Feind
der Türkei, jedoch den Amerikanern als ein Verbündeter gegen IS, weil
sie sich in Kobane im vergangenen Jahr und später in an deren Kämpfen gegen IS als harter und zuverlässiger Partner im Gelände ("mit Stiefeln" sagen die Amerikaner) erwiesen hat.
Einbeziehung der türkischen Interessen
So entsteht an der türkischen Grenze ein weiteres Kriegspolygon: die
amerikanische Luftwaffe kämpft gegen IS in Syrien mit Hilfe der
syrischen Kurden. Sie möchte dabei gerne die Nato-Luftbasis von
Incirlik in der Türkei benützen, was die Türken ihr neuerdings
zugesagt haben. Die Türkei jedoch bekämpft die Kurden und IS in Syrien (letztere bisher nicht sehr intensiv), die syrischen Kurden mehr im Verborgenen aber gegenwärtig anscheinend
schärfer.
Gleichzeitig sieht die Türkei die Regierung von Damaskus als ihren
Hauptfeind an, gegen den sie vorgehen möchte. Ihr Verbündeter, die
USA, jedoch sehen in IS den Hauptfeind, den es zuerst zu bekämpfen
gelte, während die Frage der Zukunft des syrischen Staates und seiner
Regierung zunächst zurückgestellt werden soll. Dies, weil nach der
amerikanischen Einschätzung die Gefahr besteht, dass IS seinen
Einfluss bis auf Damaskus ausdehnen könnte, falls die dortige
Regierung zusammenbricht.
Saudiarabiens eigene Stossrichtung
Wie die Türkei verfolgt auch Saudi Arabien eine Politik von "Damaskus
in erster Linie", und ähnlich wie neuerdings die Türkei hat auch Saudiarabien erst an einem späteren Zeitpunkt entdeckt, dass IS auch im eigenen Land gefährlich werden kann. Doch Saudiarabien hat
gleichzeitig Iran zu seinem Hauptfeind erklärt und versucht, einen
Feldzug aller arabischen Sunniten gegen Iran anzuführen.
Die Golfstaaten folgen grosso modo dem Takt, den Saudi Arabien vorgibt, jedoch nicht ohne ihre eigenen politischen Nuancen einzubringen. Eine Ausnahme bildet Oman. Das Sultanat wirkt als Vermittler zwischen Iran und dessen sunnitischen Gegnern, wenn immer sich eine Gelegenheit dazu ergibt.
Irak am Rande der Auflösung
Ein irakisches Polygon befindet sich gleich daneben: die irakische
Regierung, von Schiiten geleitet, kämpft gegen IS, das sich als ein
"sunnitisches Kalifat" ausgeben will. Die irakischen Sunniten sehen
sich hin- und hergerissen zwischen den beiden Übeln, dem sunnitischen Pseudo-Kalifat und der schiitischen Regierung. Die Amerikaner kommen als dritte Macht dazu und versuchen, mit der irakischen Regierung zusammenzuarbeiten - aber auch, die irakischen Sunniten als Kampfgenossen, genauer Kampfinstrumente, gegen IS zu gewinnen.
Iran unterstützt Bagdad gegen IS. Die Amerikaner versuchen, sich Iran
anzunähern, was nur gelingen kann, wenn der ausgehandelte Atomvertrag mit Iran auch in Kraft gesetzt wird.
Kurden - Feinde und Bundesgenossen
Die irakischen Kurden kämpfen erfolgreich gegen IS. Die Amerikaner und einige europäische Staaten sehen sie daher als wichtige Bundesgenossen und unterstützen sie. Doch zwischen der irakischen Regierung in Bagdad, die ebenfalls von den Amerikanern und ihren Bundesgenossen gestützt wird - aber auch von Iran - und den irakischen Kurden bestehen starke Interessenkonflikte und Misstrauen.
Iran - Hegemon oder Hauptfeind?
Noch einmal anders positioniert sich Iran, nun als tentativer Freund
der USA, falls der ausgehandelte Nuklearvertrag wirklich zum Tragen
kommt, aber auch als alternative Stütze an Stelle der Amerikaner für
die irakischen Schiiten und als entschiedener Feind von IS, jedoch
gleichzeitig als entschiedene Stütze des syrischen Regimes, das
seinerseits sowohl IS wie auch die Amerikaner als Feinde einstuft und
von ihnen so eingestuft wird.
Was zu den Zwielichtigkeiten um Saudiarabien hinführt. Das Königreich
ist ein enger Verbündeter der USA, fürchtet jedoch eine sich möglicherweise abzeichnende Zusammenarbeit der Amerikaner mit Iran, weil es Iran als seinen Hauptfeind einstuft. Auch die irakische Regierung, unterstützt von den USA, gilt den Saudis als suspekt, weil sie von Schiiten getragen wird. Doch IS, Feind der Bagdad Regierung und Irans, gilt dem Königreich ebenfalls als ein gefährlicher Feind. Iran bekämpft diesen Feind des Königreiches, gilt den Saudis jedoch selbst als ihr Hauptgegner. Die syrische Regierung wird von dem Königreich als ein Feind eingestuft, während Iran sie unterstützt.
Die Kriegswirren in Jemen und Libyen
Im Jemen gibt es eine Hauptfront: Saudiarabien mit seinen
Verbündeten, der jementischen Exilregierung al-Hadis und der
arabischen Koalition auf der einen Seite. Auf der Gegenfront die Huthi-
Bewegung und jene Teile der jemenitischen Armee die zu Ex-Präsident
Ali Saleh Abdullah halten. Doch dazwischen steht AQAP: Feind der
Huthis, der al-Hadi Regierung, Saudi Arabiens, Irans und auch noch der
Vorhut der IS Kämpfer, die neuerdings im Jemen erschienen sind. Diese wiederum sind Gegner aller der Aufgezählten.
Was Iran angeht, so wird der schiitische Staat von den Saudis
angeklagt, den Huthis zu Hilfe zu kommen. Nicht viel ist sichtbar
geworden, das diese Anklage rechtfertigte, doch mindestens
propagandistisch steht Iran in der Tat den Huthis nahe. Die Amerikaner
versuchen auf ihre Verbündeten, die Saudis, einzuwirken, dass diese
ihren Bombenkrieg im Jemen mässigen oder einstellen.
Doch das Königreich will ihn weiterführen in der Hoffnung auf einen Sieg über die Huthis und ihre Verbündeten, der endgültig schwer zu erringen sein dürfte und jedenfalls die Infrastruktur des fragilen Berg- und Wüstenlandes zu zerstören droht, bevor er zustande kommt. Was nur den Dritten und Vierten im Spiele Gewinn bringen kann, den beiden radikal islamistischen - und miteinander verfeindeten - Kräften AQAP und IS.
In Libyen hat sich die gleiche Grundmuster durchgesetzt: zwei
Hauptgruppen, die einander bekämpfen und IS mit beiden verfeindet,
jedoch Profiteur des Krieges der beiden Grossen.
Libanon als Vorläufer der aktuellen Kriegswirren
Der libanesische Bürgerkrieg (1975 bis 1990) hat im Kleinen ähnliche
Strukturen aufgewiesen, wie sie nun im grösseren Massstab grosse Teile des Mittleren Osten überziehen. Diese Fragmentierungen bewirkten, dass dieser Bürgerkrieg 15 Jahre lang dauerte.
Die zahlreichen miteinander ringenden Kampfgruppen konnten sich in stets neuen Kombinationen zusammenfinden. Sie konnten aber auch bloss teilweise zusammenarbeiten, indem sie die Kampfesfronten gegen den einen oder den anderen ihrer zahlreichen Widersacher einmal mehr und einmal weniger stark aktivierten. Mit dem Zweck, andere Gegner, die ihnen zur Zeit als bedrohlicher erschienen, energischer zu bekämpfen.
In der Gegenwart gilt IS den Amerikanern und den Nato Mitgliedern als
der Hauptfeind. Doch für die Türkei sind das eher die Kurden, und die Türken suchen die Amerikaner dazu zu veranlassen, ihren Krieg gegen "die Kurden" zu billigen, womöglich sogar zu unterstützen, obwohl die syrischen Kurden bisher eng und erfolgreich mit den Amerikanern gegen IS zusammenarbeiteten.
IS und das Asad-Regime – zeitweise Koexistenz
Zwischen IS und dem Regime von Damaskus gab es über längere Perioden eine stillschweigende Zusammenarbeit, weil Damaskus die Existenz von IS in entlegenen Teilen Syriens zu schätzen wusste. Sie diente zur Rechtfertigung seiner politischen Hauptthese, nach welcher die syrischen Aufständischen sämtlich "Terroristen" sind.
Die wachsende Macht von IS führte dann aber auch zu einer Art
stillschweigender Koexistenz des Asad-Regimes mit den Amerikanern, die ja dem Kampf gegen IS den Vorrang geben. -Koexistenz gibt es jedenfalls im Luftraum über Syrien, wo sowohl das Damaskus-Regime wie auch die Amerikaner und deren Koalition aktiv sind, sich aber gegenseitig in Ruhe lassen.
Später Kampf der Türkei gegen IS
Ihrerseits schonten die Türken drei Jahre lang IS, ähnlich - nur in
noch höherem Masse - wie Damaskus es tat. Die Türken jedoch in der
Absicht, den Krieg gegen Damaskus zu aktivieren und womöglich zu
bewirken, dass die Amerikaner diesen Krieg mittrügen. Nun hat sich das geändert. Die Türkei zeigt sich bereit, gegen IS einzuschreiten. Sie
hat dafür offensichtlich erreicht, dass die Amerikaner im Gegenzug
ihrem alten Projekt zustimmten, eine "Pufferzone" jenseits der
türkisch-syrischen Grenze zu errichten. Wobei es allerdings unbestimmt
bleibt, ob die Amerikaner oder die Türken gegen die Luftwaffe Asads
eingreifen würden falls diese die "Pufferzone" bombardierte.
Die syrischen Kurden sind der Ansicht, die türkische Pufferzone sei in
Wahrheit gegen sie gerichtet, weil sie sie daran hindern soll, die
syrischen Kurdengebiete an der türkischen Grenze zu einem
zusammenhängenden Streifen zusammenzufügen. Die Kurden nennen den Landstrich an der syrischen Grenze Rojava. Sie sagen, er sei weit
überwiegend von Kurden bewohnt.
Der amerikanische Verbündete, Saudi Arabien, gehört mit zu der
amerikanischen Koalition, die IS in Syrien bombardiert, aber nicht
gegen die syrische Luftwaffe einschreitet, zugleich aber dient die
saudische Monarchie als eine der wichtigsten Stützen für Geld und
Waffen der syrischen Rebellion, zur Zeit besonders der Nusra Front und ihrer Verbündeten.
Staaten verlieren ihr Waffenmonopol
Die Verzettelung der Kriegsparteien im Nahen Osten geht letzten Endes darauf zurück, dass die Staaten, die zu Kriegsschauplätzen geworden sind, grosse Teile ihres Waffenmonopols verloren haben. Es verschob sich in die Hände von zahlreichen Untergruppen, die eine jede ihre eigene Machtpolitik führen, und sie auch zu führen gezwungen sind, wenn sie gegenüber Rivalen überleben wollen. Die Randstaaten: Türkei, Iran, Saudi Arabien, sehen sich veranlasst, manchmal gezwungen, ihrerseits Allianzen mit den sub-staatlichen Kampfgruppen einzugehen, um ihre Sicherheit und andere Interessen zu gewährleisten.
Teilrückzug der USA
Die USA als bisherige Vormacht im nahöstlichen Raum spielt heute, nach den verlorenen - oder jedenfalls nicht gewonnenen - kostspieligen
Kriegen im Irak und in Afghanistan, eine vergleichbare Rolle wie die der
Nachbarstaaten. Vor der Alternative, die daraus bestünde, mit ihrer
vollen Heeresmacht in die zerfallenden oder zerfallenen Nahoststaaten
einzugreifen, scheuen nicht nur die Amerikaner sondern alle
aussenstehenden Staaten mit einigem Recht zurück. Doch sie gehen bis an den Rand solcher Eingriffe, wenn sie - wie die USA und einige Verbündete, Saudiarabien und Koalition, sowie nun auch die Türkei - ihre Luftwaffen einsetzen, um gewissen Kampfgruppen zu helfen und andere zu schädigen.
Andere Aussenseiter halten sich etwas weiter zurück und begnügen sich damit, ihre lokalen Klienten mit Geld, Waffen, Ratschlägen und
Diplomatie zu verstärken, wie es Iran und Russland zu Gunsten des Asad- Regimes tun.
Staaten vergehen, Stämme bestehen
Im Nahen Osten hat es immer Politik und gegenseitige Kämpfe der Stämme gegeben. Sie sind älter als die Staaten und zurzeit überleben sie sie. Manchmal wurden die Stämme von Imperien in Wüsten und in Gebirge zurückgedrängt, in anderen Zeiten dehnten sie sich aus bis tief in die Kulturlandschaften hinein. Ihre Politik und ihre gewaltsamen
Auseinandersetzungen tragen stets die Züge einer substaatlichen
Politik und substaatlicher Kämpfe.
Diese Kämpfe jedoch wirkten in der Vergangenheit sehr viel weniger zerstörerisch als heute, weil harmlosere Waffen verwendet wurden und auch weil sie selten ideologisch gefärbt waren. Oft wurden sie unter Gruppen verwandter Ideologien ausgefochten und konnten daher geschlichtet werden, bevor sie allzu zerstörerisch wirkten.
Schlichtungsmechanismen, die heute fehlen - es sei denn der meistens
gelähmte Sicherheitsrat der UNO - waren damals Teil der bestehenden
prästaatlichen Stammeskultur.
Nationalstaaten sind ein Importprodukt
Der Begriff des Nationalstaates fehlte ganz. Dieser wurde in Europa
erfunden und entwickelt. An seiner Stelle gab es im Nahen Osten
grössere oder kleinere Reiche von längerer oder kürzerer
Beständigkeit. Nationalstaaten wurden dem Nahen Osten aufgezwungen, durch den Umstand, dass sie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den damaligen Nah-und Mittelost Reichen als eine Notwendigkeit gesehen wurden, die man benötigte, um den eindringenden europäischen Nationalstaaten Widerstand leisten zu können.
Doch heute sehen sich viele der nahöstlichen Nationalstaaten vom
Zerfall bedroht, in erster Linie jene, deren Existenz nach dem Ersten
Weltkrieg von den Europäern auf Grund ihrer gegenseitigen
Interessenausgleiche geschaffen und abgegrenzt wurde. Man kann sie als
künstliche Nationalstaaten bezeichnen, weil sie auf Grund der
Interessenbalance von Aussenseitern in die Welt gesetzt wurden.
Zerfallserscheinungen gegen Ende des Kalten Krieges
Der Zerfall eines dieser Art Staaten konnte im Falle Libanons knapp
vermieden werden. Doch die Zerfallserscheinungen griffen um sich nach dem Ende des Kalten Krieges, weil die Weltmacht Amerika sich nicht mehr gezwungen sah, die bestehenden Staatsstrukturen zu stützen, um zu vermeiden, dass sie der sowjetischen Rivalenmacht in die Hände fielen.
Mit dem Ausklingen des Kalten Krieges übernahmen Gewaltherrscher als eine Art Vizekönige der - weitgehend amerikanischen - Globalisierung, gestützt auf ihre Geheimdienste, für Jahrzehnte die Staatsmacht. Abgelöst wurden sie durch substaatliche Mächte. Diese Ablösung wurde vorbereitet in Afghanistan durch den Stellvertreter-Krieg der Sowjetunion und der Amerikaner (1980-88) und durch Eingriffe der pakistanischen Nachbarn.
Ähnliches spielte sich in Somalia ab, durch vergleichbare Stellvertreter-
Kämpfe, gefolgt von Diktatur und durch sie provozierte Verhärtung der
Stammesgegensätze. Ebenso im Irak durch die Kriege des Diktators Saddam Hussein und die amerikanische Invasion. Schliesslich kam es 2011 zu einer Welle von Volksaufständen in der arabischen Welt, die ihrerseits zum Zusammenbruch von drei arabischen Staaten führte: Libyen, Syrien und Jemen. In Ägypten rettete die Armee den Staat vor dem Zusammenbruch. Doch der vorläufige Preis dafür war, dass die Armee ihn regiert.
Religionsgemeinschaftliche Waffenträger
Der Staatszerfall hat zu einer Zerstückelung der bewaffneten Mächte
geführt. Unter ihnen finden sich manchmal grössere Massen zusammen, die nicht auf nationalem Zusammenhalt beruhen, sondern sich auf Solidaritäten abstützen, die auf Religionszugehörigkeit beruht.
Religionsgemeinschaftliche Zusammengehörigkeit wird von bestimmten
Politunternehmern als Gemeinschaft schaffende Kraft ausgenützt,
radikalisiert und instrumentalisiert, um kriegerisch und politisch
einsetzbar zu werden.
Doch ob solche Kräfte in der heutigen Umwelt in der Lage sein werden,
dauerhafte Staatswesen zu begründen, bleibt fraglich. Um anzudauern,
müssten die heute kriegsführenden religionsgemeinschaftlich
umschriebenen Banden wirtschaftliche und soziale Strukturen schaffen,
die sich in der heutigen Zeit und Umwelt für die beherrschte
Bevölkerung als genügend fruchtbar und zufriedenstellend erweisen, um deren aktive oder mindestens passive Zustimmung zu erlangen.
Angst und Gewalt alleine, so grausam sie ausfallen mag, dürfte nicht in
der Lage sein, auf die Dauer innerhalb der heute gegebenen weltweiten
kulturellen Zusammenhänge überlebensfähige Staatengebilde zu schaffen, die darauf verzichten, sich auf nationale Grundlagen abzustützen.
Vor einer Zeit der Wirren
Was voraussehen lässt: langfristige und zähe Auseinandersetzungen der substaatlichen Kräfte, lokale oder religiöser Solidarität, mit
partiellen Einmischungen der Staaten der Nachbarn und der führenden
Aussenstehenden (das heisst USA, Russland und China - schwerlich
Europa) und mit inneren Wirren. Diese Zustände werden solange zerstörerisch andauern, bis neue Staatengebilde entstehen, in neu gezogenen oder bisherigen Grenzen, die sich als fähig erweisen, die Funktion von übergreifenden Staaten zu übernehmen, indem sie die heute agierenden bewaffneten Kleinstrukturen lokaler oder religionsgemeinschaftlicher Prägung entwaffnen und permanent einbinden.