Giorgia Meloni, die postfaschistische Regierungschefin, kann einem fast leid tun. Nach gut hundert Tagen im Amt zeigen sich tiefe Risse in der rechtspopulistischen Regierungskoalition.
Melonis sehr rechtsgerichtete Partei «Fratelli d’Italia» kann nicht allein regieren. Sie ist angewiesen auf ihre Koalitionspartner: die rechtspopulistische «Lega» von Matteo Salvini und die ebenso rechtspopulistische «Forza Italia» von Silvio Berlusconi.
Schon lange rechnete man damit, dass der Krieg in der Ukraine die Koalition belasten könnte. Jetzt ist der Kladderadatsch da.
Silvio Berlusconi, der 86-jährige Führer der Forza Italia, hat sich am Sonntag klar auf die Seite Putins gestellt und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Schuld am «Gemetzel» gegeben.
«Alles was Selenskyj hätte tun müssen, wäre gewesen, die beiden autonomen Republiken des Donbass nicht anzugreifen», sagte Berlusconi. «Dann wäre es nicht zu diesen Verwüstungen gekommen.»
«Süsse Worte»
Berlusconis Worte schlugen nicht nur in Italien, sondern auch im westlichen Bündnis wie eine Bombe ein.
Der vierfache Ministerpräsident gilt seit jeher als Freund Putins. Die beiden trafen sich oft in vertrauter Runde und tauschten auch kürzlich Geschenke (Wein, Wodka) und «süsse Worte» aus.
Neben Berlusconi ist auch Matteo Salvini, der Chef der Lega, dem russischen Präsidenten wohlgesinnt. Salvini kritisierte letzte Woche, dass am Festival von Sanremo eine Botschaft von Selenskyj verlesen wurde. Er zahle keine Fernsehkonzession, sagte Salvini, um Selenskyj anhören zu müssen.
Berlusconis und Salvinis Haltung stehen in krassem Gegensatz zur Regierungschefin. Giorgia Meloni hat sich seit Monaten ganz klar ins westliche Bündnis eingereiht und verurteilt Putins Krieg mit scharfen Worten. Damit verfolgt sie die Politik des früheren Regierungschefs Mario Draghi weiter.
«Dieser Herr» ist schuld
Meloni hatte vergangene Woche den ukrainischen Präsidenten in Brüssel kurz getroffen und ihn umarmt. Berlusconi sagte nun, dass er – wäre er Ministerpräsident – das nicht getan hätte. «Dieser Herr» sei schuld am Elend. Die Ukraine solle den Donbass an Russland abtreten. Dann sei der Krieg vorbei.
Berlusconi beurteilt das Verhalten Selenskyjs als «sehr, sehr negativ» und fordert ihn auf, sofort einen Waffenstillstand zu verfügen. Die USA sollten den ukrainischen Präsidenten dazu zwingen und ihm im Gegenzug einen Marschall-Plan über 6, 7, 8, 9 Billionen Dollar in Aussicht stellen.
Also: Schuld am Krieg ist nicht Putin, der – völkerrechtswidrig – in der Ukraine einmarschiert ist. Schuld sind die Ukrainer und Ukrainerinnen, die sich dagegen wehren.
Ermutigung zu Verbrechen
Kiew reagierte gelassen auf Berlusconis Worte. «Er versteht eindeutig nicht den Kontext des Krieges, den Russland in Europa führt», erklärte der ukrainische Präsidentschaftsberater Mychajlo Podoljak. Der Forza-Italia-Chef wiederhole die Worte der Kreml-Propaganda, die da lauten: «Mischt euch nicht in russische Angelegenheiten ein, während wir Ukrainer und Ukrainerinnen töten.» Berlusconi habe «noch nicht begriffen, dass die ‘Donbass-Republiken’ nie existiert haben». Sie seien im Frühjahr 2014 «auf ukrainischem Gebiet als kriminelle Konstrukte völlig illegal geschaffen worden».
Oleg Nikolenko, der Sprecher von Aussenminister Dmytro Kuleba, sagte: «Das italienische Volk muss erkennen, dass Berlusconi durch die Verbreitung russischer Propaganda Putin ermutigt, seine Verbrechen gegen die Ukraine fortzusetzen. Er trägt daher politische und moralische Verantwortung.»
Tränen in den Augen
Zerbricht nun die Regierungskoalition an der Putin-Frage? Wahrscheinlich nicht sofort. Auch innerhalb von Forza Italia gibt es starke Kräfte, die sich klar auf der Seite Selenskyjs und des Westens positionieren. Dazu gehört der italienische Aussenminister Antonio Tajani, Mitglied der Forza Italia.
Dennoch muss sich nun Meloni vermehrt mit ihren russlandfreundlichen Koalitionspartnern herumschlagen. Sie wird es immer schwerer haben, ihren pro-westlichen Kurs durchzusetzen. «Der Spass ist vorbei», sagt ein Beobachter.
Vor diesem Hintergrund sind auch die emotionalen Szenen zu verstehen, die sich vergangene Woche in Brüssel abgespielt haben. Meloni hatte fast Tränen in den Augen, als sie den ukrainischen Präsidenten begrüsste.
Zuvor hatte der französische Staatschef Emmanuel Macron den ukrainischen Präsidenten und den deutschen Bundeskanzler zu einem Dreiertreffen und zu einem Abendessen im Élysée-Palast eingeladen. Meloni war nicht dabei. Sie reagierte emotional und nannte Macrons Vorgehen «inopportun», was den Franzosen sauer aufstiess.
War das klug?
In Italien wurde die Nicht-Einladung als «Stich in die Volksseele» gewertet. Da tut die italienische Regierungschefin – gegen den Widerstand ihrer Koalitionspartner – alles, um die westliche Einheit zu stärken – und Macron lässt sie einfach links liegen. In Italien schlägt das bis heute hohe Wellen.
War das klug von Macron? Hätte er nicht wissen müssen, dass es Meloni angesichts eines Berlusconi und eines Salvini schwer hat, ihre klar pro-westliche Haltung durchzusetzen? Hätte er ihr – und damit der Ukraine – nicht einen Dienst erwiesen, wenn er sie zum Abendessen mit Scholz und Selenskyj eingeladen hätte?
Dann hätte man den italienischen Putin-Verstehern demonstriert, dass Italien fest im westlichen Bündnis verankert ist und dass ein Ausscheren auf Ablehnung stiesse.
«Unser Stärke muss die Einigkeit sein»
Jetzt haben in Italien die Berlusconis und Salvinis mit ihrer pro-russischen Haltung wieder Auftrieb. Bereits haben über hunderttausend Bürgerinnen und Bürger eine Petition unterschrieben, die den Krieg «nicht als geeignete Methode zur Lösung von Problemen» bezeichnen.
Natürlich kann man die Bedeutung des Pariser Dreiertreffens auch anders sehen. Die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland waren monatelang belastet. Jetzt hat man einen Modus Operandi gefunden. Und dieser Neustart wurde beim Abendessen im Élysée besiegelt. Hätte da Meloni nur gestört?
Trotzdem: Macron hat der italienischen Regierungschefin das Regieren nicht einfacher gemacht. Letztlich hat er damit auch dem westlichen Bündnis nicht geholfen. Man kann Meloni für vieles kritisieren und ihr auch nicht alles glauben. Doch in einem hat sie recht. «Unser Stärke muss die Einigkeit sein.»