Das «Rassemblement National» der Frontfrau Marine Le Pen hat mehr als doppelt so viele Stimmen erhalten wie die Liste der Präsidentenpartei «Renaissance». Emmanuel Macron zog daraus die innenpolitische Konsequenz. Für den 30. Juni und 7. Juli ruft er Neuwahlen zur Nationalversammlung aus.
Diesmal haben sich die Meinungsforschunsinstitute in ihren Vorhersagen nicht getäuscht.
Bei der erwartet niedrigen Wahlbeteiligung von 52% kamen auf die Liste des «Rassemblent National» mit dem neuen, erst 28-jährigen Parteichef und Ziehsohn von Marine Le Pen, Jordan Bardella, historische 31,5% der Stimmen, über 8% mehr als vor fünf Jahren. Und zählt man die 5,5% Stimmen für die von Jean-Marie Le Pens Enkelin, Marion Maréchal angeführte und noch weiter rechts stehende Liste «Reconquête» und die Stimmen für zwei kleine ultrarechte Parteien hinzu, so haben am Sonntag 4 von 10 französischen Wählerinnen und Wählern einen Wahlzettel für die extreme Rechte in die Wahlurnen geworfen.
Die Liste der Präsidentenpartei «Renaissance» mit der landesweit völlig unbekannten bisherigen Europa-Abgeordneten, Valérie Hayer, schaffte dagegen gerade mal 14,5%. Das heisst 7 Punkte weniger als 2019.
Nicht so tun, als wäre nichts geschehen
Noch nie hatte sich ein franösischer Präsident nach Europawahlen noch am Wahlabend in einem Fernsehauftritt an die Bevölkerung gewandt. Dass Macron es am Sonntag tat, hatte also seinen gewichtigen Grund. Die Wahlschlappe für ihn, den Europäer, war derart gewaltig, dass der Präsident praktisch nicht mehr anders konnte, als eine radikale Entscheidung zu treffen. Emmanuel Macron wörtlich: «Ich bin zutiefst beunruhigt über das Zulegen der nationalistischen und demagogischen Kräfte und kann nicht so tun, als wäre nichts geschehen.» Macron betonte jedoch, er vertraue den Franzosen, dass sie sich besinnen und eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen.
Präsident Macron, der im Parlament bislang schon nur über eine relative Mehrheit verfügte, geht mit seiner Entscheidung ein enormes Risiko ein. Auch wenn Europawahlergebnisse nur bedingt auf Ergebnisse bei nationalen Wahlen zu übertragen sind, so riskiert der Präsident nach dem 7. Juli, im Parlament keine relative Mehrheit mehr zu haben, und dass die Le Pen-Partei einige Dutzend weitere Sitze hinzugewinnt. Ein Vertreter der rechtextremen Partei sagte nach Macrons Ansprache im Jubel der Wahlparty: «Bald werden wir den Premierminister stellen. Merci Monsieur Macron.»
Er zieht schlicht und einfach nicht mehr
Geradezu erniedrigend für Frankreichs Präsidenten ist die Tatsache, dass er sich am Sonntagabend offensichtlich gezwungen sah, exakt das zu tun, was der Wahlsieger Jordan Bardella, Präsident des Rassemblement National, eine halbe Stunde vorher öffentlich gefordert hatte.
Das Ergebnis hat letztlich deutlich gemacht, dass Emmanuel Macron nach sieben Jahren im Amt ausgespielt hat, der Sonnyboy von einst zieht schlicht und einfach nicht mehr bei den Franzosen.
Dabei hatte der Präsident sich für diese EU-Wahlen engagiert wie keiner seiner Vorgänger, gab den Omnipräsenten, der sich letztlich um alles selbst kümmern muss, und sorgte dafür, dass er in den letzten Wochen fast täglich im Fernsehen erschien, drei Tage vor der Wahl noch mit einem Fernsehinterview zur besten Sendezeit im Rahmen der dreitägigen Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Landung der Alliierten in der Normandie vor 80 Jahren. Genützt hat seine allseitige Präsenz und Hyperaktivität ganz offensichtlich gar nichts, ja vielleicht war gar das Gegenteil der Fall …
Referendum zu Macron
Letztlich hat Macron mit seinem direkten und ergebnislosen Einsatz in den letzten zwei Wochen des Wahlkampfs dafür gesorgt, dass man das katastrophale Ergebnis seiner Liste auch als Referendum gegen ihn werten kann.
Genau dies hat die extreme Rechte während ihres gesamten Wahlkampfs immer wieder betont. Diese EU-Wahlen würden am Ende eine Volksabstimmung für oder gegen Macron werden, hiess es. Nach dieser Wahlschlappe für Macron und der Auflösung des französischen Parlaments als Konsequenz daraus sieht alles danach aus, dass die ihm verbleibenden drei Jahre im Élyseéepalast für Macron drei ganz besonders lange Jahre werden dürften.
Dabei ist er gezwungen, zuzusehen, wie die extreme Rechte nach dem Wahlergebnis vom Sonntag das Tor auf dem Weg zur Macht ganz eindeutig noch ein gutes Stück weiter aufstossen wird.
Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass Raphaël Glucksmann, hinter den sich die sozialistische Partei gestellt hatte, mit 14% als Drittplatzierter ein ordentliches Ergebnis erzielte. Die Linkspartei des grossmäuligen Jean-Luc Mélenchon kann nur knapp 9% verzeichnen. Die Grünen haben die 5% gerade noch überschritten. Wie ihre deutschen Kollegen haben sie gegenüber 2019 satte 8% eingebüsst.