François Hollande und die Sozialisten hatten schon vor Wochen angekündigt: Zum Pariser Wahlkampfabschluss wird es am Sonntag vor dem 1. Durchgang eine Grosskundgebung unter freiem Himmel am Rande der Stadt im Park von Vincennes geben.
In Sarkozys Lager reagierte man auf dieses Ansinnen, als handle es sich um eine Provokation. Man gedenke nicht, so hiess es, dem Gegner das Terrain zu überlassen, und blies im letzten Moment zur Gegenveranstaltung, zum Kräftemessen auf Distanz. Nicht am Stadtrand wollte sich der fast schon verzweifelt kämpfende Nicolas Sarkozy an die so genannte „schweigende Mehrheit“, an das immer wieder beschworene „Volk Frankreichs“ wenden, sondern im Herzen der Metropole. Unter dem Obelisken, die Nationalversammlung auf dem anderen Seineufer in Reichweite, die Tuillerien und den Louvre in der Ferne im Rücken und vor ihm die Champs Elysees. Der Blick hinauf nach Westen, wo am Ende das Konzern- und Geschäftsviertel La Defense thront, dazwischen der Nobelvorort Neuilly liegt, wo sich Nicolas Sarkozy zu Hause fühlten darf – all dies bot eine Kulisse, die dem wahlkämpfenden Noch-Präsidenten Sicherheit gab.
Erinnerungen an De Gaulle und 68
An Symbolen, so viel war klar, durfte es auch nicht mangeln an diesem Tag, an dem es ums Ganze ging. Egal, ob am Platz der Concorde einst die Köpfe gerollt sind, Sarkozys Rednertribüne exakt dort aufgebaut wurde, wo einst Ludwig XVI und Marie Antoinette unter der Guillotine starben - es ist in seinen Augen in erster Linie der Ort, an dem vor 5 Jahren Mireille Mathieu geträllert und er, Sarkozy, seinen Wahlsieg gefeiert hat, der Ort, an dem Frankreichs Konservative schon immer ihre Wahlsiege feierten – bewacht vom ehemaligen Marineministerium, vom Automobilweltverband, vom Luxushotel Crillon und … der verbarrikadierten, amerikanischen Botschaft.
Sarkozys Umgebung erinnerte während der Generalmobilmachung für diesen Tag sogar daran, dass die Gaullisten nach den Maiunruhen 68 ihre grosse patriotische Demonstration zur Rettung des Generals mit mindestens 300.000, vielleicht sogar einer Million Teilnehmern damals auf der Place de la Concorde beginnen liessen - die Demonstration, bei der De Gaulles langjähriger Premierminister, Michel Debré, damals wie in Trance, Arm in Arm mit dem Kokainkonsumenten, André Malraux und Maurice Schumann, der Stimme des Freien Frankreichs aus London, die Marseillaise so pathetisch falsch gröhlte, wie danach nur noch der im Singen ganz besonders unbegabte Premierminister Raymond Barre in den 70-er Jahren. „De Gaulle, Sie sind nicht allein“, hatten damals Hunderttausende gerufen. Sarkozy hätte das sicher auch gerne gehört. Doch Sarkozy ist eben nicht De Gaulle, für alte Gaullisten sogar das krasse Gegenteil.
Von wegen Eintracht
Dazu kommt, dass Sarkozy und Concorde, also die Eintracht, schlicht nicht zusammen passen. Erst als Innenminister und dann als Präsident hat Nicolas Sarkozy in der französischen Gesellschaft zehn Jahre lang eigentlich nur Zwietracht gesät, das Aufhetzen der einen gegen die anderen zum Prinzip seines Regierungsstils gemacht, den Zeigefinger immer drohend oder tadelnd ausgestreckt auf bestimmte Gruppen der Bevölkerung, wie auf bösen Buben, die sich haben etwas ganz besonders Schlimmes zu Schulden kommen lassen. Ein solcher Mann wählt den Platz der Eintracht als Ort für eines seiner letzten Gefechte. Kein Wunder, dass er letztlich, trotz des enormen Aufwands der UMP Partei, eher schlecht gefüllt war. Von wegen 100 000 Anhänger, wie man stolz verkündete. Sollten es 40 000 gewesen sein, waren es schon viele.
Wie auch immer: das grosse, das ewige Frankreich galt es zu beschwören an diesem Sonntag. Entsprechend tief war der Griff des Redenschreibers in die pathetische Mottenkiste ausgefallen. Von Napoleon bis De Gaulle, von Molière über Victor Hugo bis zu Charles Peguy wurden grosse Namen der französischen Geschichte bemüht. Auch einen gewissen Malaparte führte Sarkozy plötzlich im Mund.
Das ewige Frankreich
Malaparte ? Was zum Teufel hatte Malaparte an diesem Sonntag Nachmittag auf der Pariser Place de la Concorde in der Rede des konservativen Kandidaten verloren? Hatte ihm Ehefrau Carlita diesen italienischen Namen eingeflüstert und vergessen zu sagen, dass dieser als Kurt Suckert in Prato geborene Sohn eines Deutschen und einer Italienerin gleich 1920 Mitglied der Faschistischen Partei geworden, 1922 mit den Schwarzhemden auf Rom marschiert war und 1925 das Manifest der faschistischen Intellektuellen unterzeichnet hatte ? Oder war es, weil Malapartes bekanntester Roman den Titel „ Kaputt“ trägt, oder weil der Vorname „ Curzio“ nach kurz klingt? Oder weil Sarkozy daran denkt, wie Malaparte, sein angehäuftes Vermögen – 2,7 Millionen Euro laut Erklärung als Kandidat- am Lebensende der Volksrepublik China zu vermachen ? Waren Freudsche Fehlleistungen im Spiel?
Zu Hilfe
„Peuple de France - Volk Frankreichs“, rief Sarkozy beschwörend über den Platz und man fragte sich, ob er sich für den Papst hielt, „hab keine Angst! Sie, die Sozialisten werden nicht gewinnen, wenn du beschliesst, dass du siegen willst.“ Und er fuhr fort mit einer Syntax, die am Ende gründlich ausser Rand und Band geriet: „ Meine Freunde! Seit 30 Jahren hab ich mich in den Dienst Frankreichs gestellt, hab einen langen Weg hinter mir, der mich zu Euch geführt hat. Ich werde auf Euch zugehen, jede Sekunde, jede Minute, um Euch zu überzeugen, um von Frankreich zu sprechen und um das Volk Frankreichs zu erheben.“
Am Ende - bevor er die teure Armbanduhr abnahm, sie in der Hosentasche verschwinden liess und auf dem Weg zum gesicherten Auto Hunderte Hände seiner Anhänger schüttelte – glich seine Rede dem Ruf eines Ertrinkenden.
„ Volk Frankreichs, hör' auf meinen Appell! Französinnen, Franzosen, helft mir, helft mir, helft Frankreich.“
Hollande – der normale Präsident
Währenddessen hielt Francois Hollande im heftigen Wind vor dem Schloss in Vincennes am östlichen Stadtrand von Paris zwar keine berauschende Rede und doch dürften sich an diesem Tag nicht nur seine Anhänger gesagt haben: er kann durchaus einen Präsidenten abgeben. Mit Sicherheit hat man diesen Mann, auch in seinem eigenen Lager, all zu lange unterschätzt. Was er sagt, ist nicht sonderlich spektakulär, aber es wirkt aufrichtig und authentisch und passt zu Hollandes Ansinnen, über das man zunächst nur höhnisch gelächelt hatte, nämlich, im Falle seiner Wahl, „ein normaler Präsident“ sein zu wollen. Exakt dies scheint sich eine Mehrheit der Franzosen nach 5 Jahren Sarkozy jetzt zu wünschen.
48 Stunden nach dem Fernduell der Pariser Grosskundgebungen ist klar: Nicolas Sarkozy hat mit der Veranstaltung auf der Place de la Concorde das Ruder nicht herumreissen können - sein langsamer, aber stetiger Anstieg der vergangenen Wochen in den Meinungsumfragen ist definitiv gestoppt, in einigen der letzten Umfragen hat sogar Francois Hollande auch im ersten Wahlgang wieder zugelegt - und immer noch gilt, was die entscheidende Stichwahl angeht: Nicolas Sarkozy kommt im allerbesten Fall auf 47 Prozent.
Chiracs letzte Bösartigkeit
Und dann sind da auch noch einige grausame Kleinigkeiten, deren Auswirkungen in den letzten Tagen vor der Wahl nicht zu unterschätzen sind. Dazu gehört, dass Sarkozys Vorgänger Jacques Chirac und dessen gesamte Umgebung - mit Ausnahme von Ehefrau Bernadette - offiziell verlauten liessen, sie würden Francois Hollande wählen und Corine Lepage, einst unter Chirac Umweltministerin, rief gar dazu auf, gleich im 1. Wahlgang für Hollande zu stimmen. Das gleiche tat Martin Hirsch, der unter Nicolas Sarkozy als so genannter Hochkommissar 2 Jahre lang der Regierung angehört hatte. „ Les petits details qui tuent“, sagt da der Franzose.