In Bruno Breguets Leben spiegeln sich die Jahrzehnte des Terrorismus. Adrian Hänni zeichnet den Weg des jungen Tessiners vom Idealisten zum Berufskiller und zuletzt CIA-Agenten nach. In Griechenland will Bruno Breguet mit seiner jungen Familie ein neues Leben beginnen. Doch dazu kommt es nicht mehr. Er hat alle Warnungen in den Wind geschlagen, hat die Fähre bestiegen – und ist nie angekommen. Spurlos verschwindet er von der Fähre, die von Italien nach Griechenland fährt. Es ist der 11.November 1995.
Seither ist der damals 45-jährige Terrorist und CIA-Agent mit Schweizer Pass spurlos verschwunden – und bleibt es auch. Hat ihm der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA eine neue Existenz verschafft, lebt er längst unter neuem Namen in den USA? Oder hat der Terrorist «Carlos» Bruno Breguet aus dem Weg räumen lassen, zu dessen Verhaftung er massgeblich beigetragen hat? Ein Rätsel bleibt, auch Adrian Hänni, der jetzt seine unglaubliche Geschichte aufgezeichnet hat, kann es nicht lösen.
Aber sein jetzt bei NZZ Libro erschienenes Buch «Terrorist und CIA-Agent» lässt ein weitgehend vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte lebendig werden. In Gesprächen mit Verwandten und Freunden und in Dokumenten aus den Archiven ersteht ein Lebensweg, der vom arglosen Idealismus zum blutigen Terrorismus führt, der von Bombenattentaten und Flugzeugentführungen handelt und von der weitverbreiteten Angst der Siebziger- und Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts.
Mit Sprengstoffgürtel und Zünder auf dem Schiff
Ins Licht der Öffentlichkeit tritt Bruno Breguet am 23.Juni 1970. Der zwanzigjährige Tessiner Gymnasiast befindet sich auf einem Schiff, das im Hafen von Haifa anlegt. Die Polizei ist gewarnt, sie erwartet ihn. Und findet am Zoll einen weissen Stoffgürtel mit zehn Päckchen, von denen jedes 200 Gramm sowjetischen Sprengstoff enthält. Im Zigarettenpäckchen findet sich der elektrische Zünder, in der Uhr die Zündvorrichtung – alles, was er gebraucht hätte, um in Tel Aviv ein Hochhaus in die Luft zu sprengen. Den Auftrag hat er von der «Volksfront zur Befreiung Palästinas» (PFLP).
Stattdessen wandert er ins Gefängnis und bleibt dort sieben Jahre. Viele setzen sich für ihn ein, auch Prominente wie Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Günter Grass, Jean-Paul Sartre oder Umberto Eco. Und auch der Bundesrat führte Geheimverhandlungen, die im Buch ausgiebig ausgebreitet werden. Doch Israel bleibt hart. Bis der zu fünfzehn Jahren Haft verurteilte Breguet nach einem Regierungswechsel doch überraschend freikommt.
Bruno Breguet wächst in Minusio bei Locarno auf. Er geht beim Nachbarn, einem Gründungsmitglied der «Partei der Arbeit» (PdA) aus und ein, und wird als sanft, freundlich und konfliktscheu, aber auch als sehr verschlossen beschrieben. In der Schule ist er fleissig, intelligent und kreativ, sein Banknachbar gibt ihm das Buch «Der Partisanenkrieg» des kubanischen Revolutionärs Che Guevara zum Lesen.
Es ist eine Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs, und in Vietnam tobt jener Krieg der USA gegen eine – auf dem Papier, aber nicht in der Realität – weit unterlegene Guerillabewegung, der ganz wesentlich zu Bruno Breguets politischer Bewusstseinsbildung beiträgt. «Man kann die Gründe nicht verstehen, die dazu führten, dass ich so viel Zeit in israelischen Gefängnissen verbracht habe, wenn man sich nicht die politische Atmosphäre vergegenwärtigt, die in Europa gegen Ende der 1960er-Jahre geherrscht haben», schreibt er selber später in einer autobiografischen Skizze.
Terror – auch in der Schweiz
Doch ist es nicht Vietnam, sondern der Nahostkonflikt, der Breguets Radikalisierung herbeiführt. Im Gefolge des Sechstagekriegs von 1967 hat sich die palästinensische PFLP gebildet. Sie setzt den Konflikt auf fremdem Boden fort, ihre spektakulären Gewaltakte insbesondere gegen zivile Passagiermaschinen versetzen auch die Schweiz in Angst und Schrecken. Am Flughafen Kloten kommt es 1969 zu einer Schiesserei, drei Attentäter stehen in Winterthur vor Gericht. Und in Breguet festigt sich der Gedanke «dass ich etwas tun musste». Der PFLP schickt ihn nach Israel, nachdem er in Beirut die Flüchtlingscamps der Palästinenser kennen gelernt und eine militärische Ausbildung erhalten hat.
Doch die Mission steht unter einem schlechten Stern. Die von seiner Radikalisierung beunruhigte Schwester hat die Polizei verständigt und die findet in Bruno Breguets Zimmer Skizzen von Verkehrsflugzeugen. Am 21.Februar 1970 stürzt bei Würenlingen ein Flugzeug auf dem Weg nach Tel Aviv ab, alle 47 Passagiere kommen ums Leben. Bruno Breguet gerät in Verdacht, obwohl er nichts damit zu tun hat. Als er sich auf den Weg nach Israel macht, verrät ihn ein Maulwurf innerhalb der PFLP.
Das Gefängnis weckt den Hass in ihm
Die Jahre im Gefängnis sind hart, aber sie formen ihn, denn sie wecken in ihm jenen Hass, der ihn fortan weiter antreibt. Beim Prozess vertreten wird er von François Genoud, in der Zeit des Zweiten Weltkriegs einem überzeugten Nationalsozialisten, der später zum Vertrauten und Handlanger des Venezolaners Illich Ramirez Sanchez wird, der als «Carlos, der Schakal» die Welt in Angst und Schrecken versetzt.
Zu ihm in Kontakt kommt Bruno Breguet in Berlin. 1979 oder 1980 schliesst er sich der Carlos-Gruppe an, die schon bald zu einer der gewalttätigsten Terroristengruppen avanciert. Carlos ist politisch nicht wählerisch – wenn die Bezahlung stimmt. Er stellt Söldner ab für die syrischen, libyschen und rumänischen Geheimdienste. Im Auftrag der rumänischen Securitate wird unter anderem 1981 ein Anschlag auf das Sendegebäude von «Radio Free Europe» in München verübt, daran beteiligt ist Bruno Breguet.
Eine Begegnung in Bregenz
Dass die hehren politischen Ziele von einst längst degeneriert sind, entgeht ihm freilich nicht. Als mit dem Fall der Berliner Mauer die Welt aufhört zu existieren, in der Carlos’ Gruppe sich entfalten konnte, wechselt Bruno Breguet die Fronten. Irgendwann zwischen März und Juni 1991 läuft er in die US-Botschaft in Bern und bietet an, für die CIA tätig zu werden – was diese dankend akzeptiert. Jetzt erhält der Mann, der ein Jahrzehnt zuvor den vom US-Geheimdienst finanzierten Propagandasender «Radio Free Europe» in die Luft gejagt hat, als Agent FDBONUS/1 ein monatliches Salär von 3’000 Dollar dafür, dass er sein Wissen preisgibt und sich mit einstigen Freunden und Bekannten trifft.
Wie sehr Bruno Breguet sich verändert hat, das stellt im Jahr darauf in Bregenz der CIA-Agent Billy Waugh fest, der den jungen Idealisten im israelischen Gefängnis kennen gelernt hat. «Er hatte sich auffällig in Schale geworfen, und mir war sofort klar, dass ich einen aufgemotzten Schnösel vor mir hatte.» Der nun «aalglatte Annäherungsversuche» zu zwei Frauen unternimmt – so dass Waugh wortlos das Lokal verlässt.
Adrian Hänni: Terrorist und CIA-Agent. Die unglaubliche Geschichte des Schweizers Bruno Breguet. NZZ Libro 2023, 297 Seiten.