Jedoch seine innenpolitischen Wurzeln auf beiden Seiten zu erkennen, ist wichtig, weil diese Komponente des Streits die Schwierigkeiten aufzeigt, die einer Schlichtung entgegenstehen.
Das Feindbild und seine Mechanismen
Es ist eine weit verbreitete und uralte Technik das Machterwerbs, eigene Gefolgsleute zu motivieren und manchmal zu fanatisieren, indem man ein Feindbild entwirft und ausmalt, um dann die eigene Gefolgschaft gegen diesen Feind anzuführen. Beispiele für diese Machttechnik sind Legion.
Manchmal wird diese Machttechnik aus kalter Berechnung angewandt, aber meistens konzentrieren sich die Machtaspiranten durch Instinkt und Erfahrung auf sie. Sie stellen fest, dass ihre Gefolgschaft an Zahl und mehr oder weniger blindem und fanatischem Glauben dramatisch zunimmt, wenn sie gegen einen möglichst bedrohlich wirkenden „Feind“ angeführt werden kann. Die nach Macht Strebenden sprechen daher gerne und scharf gegen den „Feind“. Ihr Erfolg dabei bestätigt sie in ihrer Technik und allmählich glauben sie selbst an die Realität der von ihnen proklamierten Gefahr und Verruchtheit des Feindes, weil diese Technik ja funktioniert, also richtig sein muss.
Auch in Demokratien funktionsfähig
Um im Nahen Osten zu bleiben: Präsident Sisi kam an die Macht, weil er die ägyptischen Muslimbrüder zu Terroristen erklärte, am 14. und 15. August 2013 das Feuer auf sie eröffnen liess und mindestens 595, wahrscheinlich bedeutend mehr, von ihnen erschiessen liess. Es gab auch gegen 4000 Verwundete. Seither führt Sisi die Ägypter im Kampf gegen die „terroristischen“ Feinde an.
Die Machttechnik funktioniert auch in Staaten, die sich an demokratische Regeln halten: Der tunesinische Altpolitiker, Beji Caid Essebsi, brachte eine Partei auf die Beine, die er „Nida Tunes“ nannte, indem er die säkular ausgerichteten Tunesier, anfänglich aus dem linken und aus dem rechten Spektrum der Politik, gemeinsam zum Kampf gegen die Islamisten aller Spielarten aufrief und anführte. Er wurde dadurch zum Präsidenten Tunesiens.
Junger saudischer Machthaber überspielt Konkurrenten
Im Falle von Saudi-Arabien ist der Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) zum zentralen Machthaber geworden. Er erreichte diese Position, indem er zahlreiche bisher an der Macht beteiligte Privilegierte aus dem Königshaus und aus der Geldaristokratie unsanft beiseiteschob und überspielte.
Vor seiner Zeit wurden die wichtigsten Beschlüsse im Königreich kollektiv von den Söhnen des Reichsgründers getroffen, unter Vorsitz des einen von ihnen, der jeweilig als König fungierte. Und die „Senior Prinzen“ hatten die Machtposten unter sich aufgeteilt: Armeechef, Sicherheitschef, Finanzminister, Provinzverwalter, Stadtoberhäupter usw. Diese Senior Prinzen hatten oft ihre Söhne als Untermachthaber in ihrem Machtbereich geschult und verwendet.
Doch nun hat MbS mit Zustimmung seines Vaters, des Königs, diese traditionelle Machtstruktur umgestossen und manche ihrer bisherigen Privilegierten unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung unsanft zur Kasse gebeten. Dies hat er verbunden mit gewaltigen, aber noch kaum in Angriff genommenen Plänen zum Umbau der gesamten wirtschaftlichen und sozialen Struktur des Königreiches.
Unvermeidliche Feinde des neuen Machthabers
Man hört darüber nicht viel, weil es in Saudi Arabien keine Meinungsfreiheit gibt. Es ist aber mit Sicherheit anzunehmen, dass der allmächtige, aktivistische Kronprinz in dem in seiner Grundstimmung höchst konservativen Königreich viele und immer noch mächtige Feinde in Schach halten muss. Ein äusserer Feind, den er verteufeln, gegen den er warnen und seine Anhängerschaft mobilisieren und anführen kann, kommt ihm daher gelegen.
Der Jemen-Krieg, den er ausgelöst hat und auch der Boykott, den sein Land gegen Qatar übt, sind Folgen des Feindbildes, das er von Iran kultiviert und der Führerrolle, die er und sein „sunnitisches“ und „arabisches“ Land gegen den „schiitischen“ und „iranischen“ Erzfeind zu übernehmen bestrebt sind. MbS kann sich davon die Zunahme einer Gefolgschaft versprechen, die er in erster Linie in der jüngeren Generation der saudischen Untertanen sucht.
Das Machtstreben der Revolutionswächter
Auf der Gegenseite in Teheran ist es nicht ein Individuum, sondern eine Gruppierung, welche Machtaufbau betreibt, indem sie die Konfrontation mit dem saudischen Königreich, mit anderen konservativen arabischen Mächten, und dazu mit Israel, sucht. Diese Gruppierung ist jene der Revolutionswächter, deren Oberhäupter nicht nur militärische Macht anstreben, sondern auch wirtschaftliche, politische und international ausgeübte –, indem sie Einfluss auf den Herrschenden Gottesgelehrten Khamenei zu gewinnen suchen. Auch sie setzen zu diesem Zweck Feindbilder ein.
Sie schildern die konservativen arabischen Königreiche und auch Israel als für Iran und die iranische Revolution gefährliche Knechte des westlichen Imperialismus und aggressive Feinde der schiitischen Revolution in ihrem Land. Sie verfügen sogar über eine Jugendorganisation, die Basiji, die sie in ihrem Sinne indoktrinieren.
Der Hizbullah-Arm in Libanon
Die Wächter wurden 1979 von Ayatollah Khomeiny umittelbar nach seiner Machtübernahme erfunden, um ein Gegengewicht gegen die reguläre iranische Armee zu bilden, deren Offiziere der Sympathien zur abgesetzten Pahlawi-Dynastie verdächtig waren. Sie trugen die Hauptlast das achtjährigen Krieges gegen den Irak (1980-88). Sie entwickelten schon damals einen internationalen Nebenarm, der seit 1982 in Libanon eingriff, um die dortigen Schiiten gegen Israel zu mobilisieren und zu organisieren, deren Land damals von den Israeli besetzt war und es, mindestens teilweise, 18 weitere Jahre lang blieb.
Woraus in Libanon die Hizbullah entstand. Nachdem der Hauptkrieg, jener gegen den Irak Saddam Husseins, erfolglos zu Ende gegangen war, und in Iran Ali Akbar Rafsanjani Präsident wurde, der um den Wiederaufbau des Landes besorgt war, nahm der Einfluss der Wächter in der iranischen Politik ab. Sie machten Hizbullah und seine Förderung gegen den Erzfeind Israel zum ihrem Hauptwerk, das ihnen erlaubte, einigen Einfluss in Iran aufrecht zu erhalten und diesen in späteren Zeiten aggressiver Konfrontation mit den USA weiter auszubauen.
Jede Konfrontation nützt den Revolutionswächtern
Alle Perioden der Konfrontation mit der Aussenwelt nützten dem Aufbau ihrer heute gewaltigen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Macht. Sie können in Perioden der Spannung und Konfrontation mit der Aussenwelt als die Verteidiger der iranischen Revolution, des Schiismus, und als die rettende Macht vor dem westlichen Imperialismus auftreten. Ihre Rolle im Staate nimmt gegenwärtig bedeutend zu.
Daher dient ihnen auch die Konfrontation mit Saudi-Arabien. Sie stilisieren sich selbst als die Triebfeder der angeblich rettenden Gegenkräfte und können als solche Anhänger mobilisieren und motivieren. Falls die Atomwaffenproduktion oder die Urananreicherung in dieser oder in jener Form in Iran wieder aufgenommen werden sollten, werden sie deren Betreiber sein. In dieser Hinsicht spielt ihnen Trump in die Hände.
Hochgefährliche Zuspitzung in Syrien
Die Wächter sind auch bestrebt, ihren libanesischen Arm, Hizbullah, zu verstärken. Dazu soll ihnen der Aufbau von Positionen in Syrien dienen. Den Preis dafür haben sie in Blut mit der Hilfe entrichtet, die sie Asad geleistet haben. Da Israel sich gewillt erklärt, den Aufbau iranischer Positionen militärischer Natur in Syrien um jeden Preis zu verhindern, und weil gleichzeitig Russland hinter Asad steht und für seine Machterhaltung Opfer erbracht hat, bahnt sich in diesem Bereich eine weitere schwere Nahostkrise an – sie könnte zu einem grossen internationalen Krieg eskalieren.