Russland baut eine militärische Luftbasis nah bei Lattakiya. Das dazu nötige technische Material wurde eingeflogen und kleinere Zahlen von russischen Soldaten mit technisch hoch entwickeltem Kriegsmaterial befinden sich im Umfeld dieser neuen Luftbasis, wahrscheinlich mit der Aufgabe, deren Sicherheit zu gewährleisten. Gegenwärtig sollen sich nur ein paar hundert russische Marinesoldaten in der Umgegend der neuen Basis aufhalten, doch Wohnungen für – laut den amerikanischen Einschätzungen - 1500 Mann würden errichtet.
Russische Sodaten oder bloss Instrukteure?
Gleichzeitig hat Russland seine Waffenlieferungen an Syrien erhöht und der syrischen Armee neues, moderneres Material geliefert. Die syrischeArmee gab bekannt, dass dieses neue Material sich schon im Einsatz befinde. Sie erklärt, syrische Soldaten seien bereits für dessen Handhabung ausgebildet worden. Meldungen von neuen Bombardements, welche die syrische Armee in Palmyra gegen IS und in Idlib gegen Nusra und mit Nusra verbündete Rebellengruppierungen durchführte, machen deutlich, dass in der Tat Bomben und Raketen eingesetzt wurden, die zielsicherer sind als die früheren. Das gleiche gilt offenbar auch von der syrischen Artillerie.
Dass mit diesem neuen an die syrische Armee gelieferten Material auch russische Instrukteure einhergehen, ist anzunehmen, und wird weder von den Russen noch von den Syrern bestritten. Ob russische Soldaten aktiv an den Kämpfen und Bombenflügen teilnehmen, ist ungewiss und umstritten. Man kann sich Situationen vorstellen, in denen der Unterschied zwischen "Instruktion" und "Teilnahme" verwischt und praktisch bedeutungslos werden kann.
Es handelt sich bei den neuen russischen Einsatz offenbar um eine Aktion mit zwei Armen: einerseits Stärkung der syrischen Armee, andrerseits Aufbau einer Luftbasis, von der aus, wenn nötig, russische Kampfflugzeuge über Syrien, und möglicherweise auch über dem Irak, insofern er von IS besetzt ist, agieren können.
Die Botschaft: Russland bleibt in Syrien
Beide Aktionen übermitteln eine politische und diplomatische Botschaft. Sie lautet: "Russland ist in Syrien, um dort zu bleiben." Sowie, möglicherweise etwas weniger unumstösslich: "Russland gedenkt das gegenwärtige Regime in Syrien aufrecht zu halten." Bei der zweiten Aussage könnten Nuancierungen möglich sein. In dem Sinne, dass "das Regime" und die Person Asads unter gewissen Voraussetzungen voneinander getrennt werden könnten.
Zurzeit jedoch stellen sich die Russen hinter die Person und das Regime. Die wichtigste Komponente "des Regimes" ist nicht die Person Asads sondern die politische "Ordnung" auf dem es beruht. Sie besteht im Wesentlichen aus den zahlreichen von alawitischen Spezialisten kontrollierten Geheimdiensten (es soll 15 davon geben) und aus der in ihren wesentlichen Bestandteilen ebenfalls von alawitischen Offizieren kontrollierten Elite-Einheiten der Streitkräfte. Man könnte sich in der Zukunft eine Lage vorstellen, in der Asad zurücktritt, das Regime jedoch bleibt - und weiterhin mit den Russen zusammenarbeitet.
Schlauer Schachzug
Bisher sind allerdings alle Versuche der Uno-Diplomatie und der Amerikaner, eine mögliche Abdankung Asads nach einer Übergangsfrist anzuregen, auf scharfe russische Ablehung gestossen.
Die Einrichtung eines eigenen Militärflughafens in der politisch sichersten Provinz Syriens (Lattakiya ist alawitisch dominiert) ist ein meisterhafter Schachzug der Russen. Sie eröffnet ihnen sowohl politische wie militärische Vorteile. Sie zeigt unmissverständlich: "Wir bleiben in Syrien". Sie unterstreicht: "Unsere Rolle in Syrien wächst". Sie macht klar: "Wir haben alle Arten von Handlungsmöglichkeiten. Sie gehen von der Unterstützung unserer Freunde in Syrien bis zur Möglichkeit eines direkten Eingriffs in diesem Land, entweder nur mit den Luftstreitkäften oder auch, wenn nötig, mit eigenen Soldaten, die wir nun reibungslos einfliegen können."
Lattakya als Gegenstück zu Inçirlik
Man kann auch sehen: Die im Bau befindliche russische Basis bei Lattakiya wird ein strategisches Gegenstück gegen die amerikanisch-türkische Luftbasis von Inçirlik, bei Adana, bilden. Dass ein solches Gegenstück zustande kommt, in einem Weltteil, der bisher von den USA dominiert war, zeigt den Rang dieser Neuentwicklung.
Die syrische Diplomatie hat in Erklärungen des Aussenministers Walid al-Muallem deutlich gemacht, dass sie die Funktionsbreite der russischen Möglichkeiten ihrerseits anerkennt und zu würdigen weiss. Der syrische Aussenminister sagte am syrischen Fernsehen: "Zur Zeit gibt es keine an den Kämpfen beteiligten russischen Truppen. Unsere Armee beherrscht die Lage dank dem neu gelieferten russischen Kriegsmaterial." Aber er fügte hinzu:"Wir werden jedoch nicht zögern, um Hilfe zu bitten, falls sich dies als notwendig erweisen sollte".
Gegendruck zum Boykott wegen der Ukraine
Die neue Luftbasis, hat eine Bedeutung im gegenwärtigen Spiel der internationalen Kräfte, die weit über Syrien hinausgeht. Nach dem Ausbruch der Krise um die Ukraine brachen die Amerikaner ihre Kontakte auf militärischem Niveau mit Russland ab. Doch nun, angesichts der Lage in Syrien, wurden sie wieder aufgenommen. Der amerikanische Staatssekretär für Verteidigung, Ash Carter, sprach zum ersten Mal seit 18 Monaten eine Stunde lang übers Telefon mit seinem russischen Kollegen, Verteidigungsminister Sergei Shoigu. Dies wurde von beiden Seiten bestätigt.
Der russische Sprecher sagte, es sei dabei um "militärische Kooperation" gegangen. Der amerikanische war etwas ausführlicher aber auch vorsichtiger. Er sagte es handelte sich um" die Notwendigkeit multilateraler und auch bilateraler Koordination bei den Bombardierungen vom IS".
Gegner zusammen auf engem Raum
Dies bedeutet: Es gibt nun eine amerikanische und Nato Präsenz im Luftraum über Syrien, es gibt auch eine solche der syrischen Luftwaffe und offensichtlich im Kommen auch eine potenzielle Präsenz der russischen Luftwaffe über Syrien. Alle drei mit dem Ziel, IS-Verbände zu bombardieren, aber auch mit anderen widersprüchlichen Zielen: nämlich das Asad Regime aufrecht zu halten - im Falle von Syrien und Russland. Sowie im Gegenteil, dieses Regime zu Fall zu bringen im Falle der USA und Verbündeten aus Nato Staaten und aus konservativen arabischen Staaten wie Saudi Arabien, den Arabischen Emiraten, Jordanien und anderen.
Die Notwendigkeit zu vermeiden, dass die russischen und von Russland beschützten Kampfflugzeuge mit denen der amerikanischen Koalition "gegen IS" zusammenstossen, ist offenbar auch den Amerikanern klar geworden und hat bereits gegenwärtig dazu geführt, dass die Kontakte zwischen den Armeeführern der beiden Staaten wiederhergestellt wurden. Da diese Kontakte über der Krim und Ukraine abgebrochen worden waren, gibt ihre Wiederaufnahme - ohne russische Konzessionen in der Ukraine - einen Hinweis darauf, welchen weltpolitischen Stellenwert die Stationierung der russischen Luftwaffe in Syrien einnimmt.
Syrien wird zum Hebel russischer Weltpolitik
Die Russen werden ohne Zweifel versuchen, weiteren Profit aus ihrer aufgewerteten Lage in Syrien zu ziehen - nicht nur in Syrien selbst, sondern auch weltpolitisch in ihrem Ringen mit den USA und verbündeten Staaten Moskau stellt seine Gegenspieler vor die Alternative: Entweder ihr arbeitet mit uns zusammen, in Syrien und anderswo - zum Beispiel in der Ukraine - oder ihr habt es mit uns zu tun, nicht nur im europäischen Osten sondern gleichzeitig auch in Syrien.
Oder in anderen Worten: Entweder ihr Amerikaner steigert euren Einsatz in Syrien soweit, dass es zu direkten Konfrontationen in Syrien mit uns Russen kommt, oder ihr sucht unsere Zusammenarbeit in Syrien und vergesst euren Ärger über die Ukraine.
Anspruch auf Mitherrschaft im Nahen Osten
Dass die Amerikaner in Syrien einen Krieg gegen Russland und Syrien in Kauf nehmen könnten, nachdem sie einen Krieg gegen Syrien alleine vermieden haben, dürften die Russen als ein minimales Risiko einschätzen.
In der engeren Nahostdiplomatie zeigen die Russen, dass sie Anspruch darauf erheben, zusammen mit der bisherigen amerikanischen Vormacht oder auch gegen sie, in den Geschicken der Region mitzusprechen. Sie nehmen dabei gegen Saudiarabien und für Iran Partei, und sie werben gleichzeitig um Ägypten, indem sie Präsident Sissi Hilfe für den Fall verspechen, dass die Amerikaner Druck auf ihn ausüben.
Gemeimsam aber getrennt gegen IS
Was den "Islamischen Staat" betrifft, liegt auch Russland daran, ihn zu bekämpfen. Dies nicht nur, um Asad vor ihm zu schützen, sondern auch, um zu vermeiden, dass er beginnt, in Zentralasien und im Kaukasus - Tschetschenien und Nachbarstaaten - eine Rolle zu spielen. In dieser Hinsicht besteht offenbar ein Interesse, gemeinsam mit den USA - genauer in Parallele – Macht mit den USA und ihren Verbündeten einzusetzen. Das kann den Russen nur recht sein, denn dadurch bekommt auch ihr Einsatz für das Asad-Regime einen gewissen Flankenschutz.