Ursprünglich hatte Teufel seine Thesen vor der Seniorenunion vorgetragen. Sie wären wohl weitgehend unbeachtet geblieben, wenn sie nicht die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" vom 31. Juli 2011 im Wortlaut abgedruckt hätte. Das löste heftige Reaktionen aus. Ganz offensichtlich stiess Teufel in ein Vakuum.
„Ich glaube, die Menschen müssen spüren, dass Wirtschaft kein Selbstzweck ist, sondern von Menschen für Menschen gemacht wird.“ Wie er das meinte, machte Teufel ganz konkret an der Situation der Familien klar. Dabei bezog er sich auf den Nationalökonomen Friedrich List, der vor 160 Jahren gesagt hat, dass die Aufzucht von Schweinen in das Bruttosozialprodukt eingehe, die Aufzucht von Kindern aber nicht. „Wir sind 160 Jahre später keinen Schritt weiter.“
Der Wert der Familie
Was nicht in Geldwert ausgedrückt werden könne, sei nichts wert. „Und deswegen ist die Erziehung in einer Familie nichts wert, obwohl von ihr alles abhängt und für alles der Grund gelegt wird. Ein Kind wird zum Leser in der Familie oder nicht. Ein Kind gewinnt Sprachkompetenz in der Familie. Das kann gar nicht mehr in der Grundschule nachgeholt werden oder im Kindergarten. Ein Kind lernt spielen, ein Kind lernt teilen, ein Kind lernt streiten und versöhnen, ein Kind lernt ein Urvertrauen in der Familie – oder nicht.“
Fast schon bitter verwies Erwin Teufel darauf, dass nach neuerer Gesetzgebung für diese Tätigkeiten ein Erziehungs-Urlaub vorgesehen ist. Erziehung sei kein Urlaub, sondern Arbeit. Die CDU bewegte sich in einer völlig falschen Richtung, wenn sie auf diese Weise die Bedeutung der Familie herabwürdige. Das geschehe, weil sie sich kurzatmig immer nur an aktuellen Notwendigkeiten orientiere, anstatt langfristiger auf der Basis ihrer Grundsätze zu denken.
Gedankenloser Opportunismus
Am schärfsten ging er mit der Europa- und Finanzpolitik der Kanzlerin ins Gericht: „Wie soll man von den Bürgern Rechtstreue verlangen, wenn sich ihre Staats- und Regierungschefs nicht an das Recht und an abgeschlossene Verträge halten?“ Dieser gedankenlose Opportunismus sei der tiefste Grund für die hohen Wahlverluste der CDU. „Die CDU liegt derzeit weit unter ihren Möglichkeiten. Die CDU sollte deshalb ihre Stammwählerschaft wieder zu Anhängern machen durch eine weitsichtige, berechenbare, vertrauenswürdige, wirklichkeitsnahe und werteorientierte Politik.“
Ein Raunen ging durch die Republik, und in der CDU wurde vereinzelt gefordert, dass die Frage nach den Grundsätzen auf einem Parteitag diskutiert werden solle. Andere Politiker wiederum versuchten, die Rede Teufels als die wirklichkeitsferne Ansichte eines alten Mannes abzutun. Es ist nicht ohne Ironie, dass diese Meinung besonders von jenen Karrierepolitikern vertreten wurde, die Teufel bei seinen Ausführungen im Blick hatte.
Die Rede Erwin Teufels hat weit über die CDU und Deutschland hinaus Bedeutung. Denn der Zusammenbruch der sozialen Ordnung, wie er derzeit besonders krass in England, dem Land der Disziplin, hervortritt, hat mit dem Werteverlust in der Politik unmittelbar zu tun. Leicht abgewandelt kann man Teufels Frage auch so stellen: Wie sollen Politiker Werte vermitteln, wenn sie selbst ganz offensichtlich ihre persönliche Karriere als allerhöchsten Wert ansehen? Wie sollen Politiker von den Bürgern Opfer verlangen, wenn sie selber ganz offensichtlich ziel- und kopflos handeln?
Der Nihilismus politischer "Eliten"
Werte werden gerne als „weiche Faktoren“ im Gegensatz zu den „harten Fakten“ der Wirtschaft angesehen. Dass es sich hierbei um einen fatalen Irrtum handelt, zeigt sich an der Tatsache, dass bei der Auflösung des gesellschaftlichen Konsenses sich auch die Staatsgewalt an marodierenden Gruppen die Zähne ausbeisst.
Und es gibt einen weiteren Punkt, der fahrlässig übersehen wird: Wenn „bürgerliche“ Politiker keine Werte mehr vorleben und vermitteln, überlassen sie das den populistischen und rechtsradikalen Parteien, die in simplifizierender und fundamentalistischer Form Ideale wie den Zusammenhalt beschwören. Sie springen in eine Lücke, die durch den praktizierten Nihilismus der politischen "Eliten" gerissen wird.
Politiker müssen jedem Einzelnen vermitteln, dass er gebraucht wird in dieser Gesellschaft. Das klingt wie ein unerreichbar hohes Ziel, aber dieses Ziel ist nicht unerreichbar hoch. Aber es ist anspruchsvoll. Denn es ist sehr viel leichter, taktisch zu denken. Taktisches Denken instrumentalisiert die Menschen: Wer ist für mein Ziel nützlich, wer nicht? Das Denken auf der Ebene der Werthaltigkeit der Menschen fragt anders: Wie muss ich schauen, um die Potentiale aller zu erkennen?
Am Ende die Destruktion
Das ist kein Idealismus. Das ist Realismus. Ein banales Beispiel: Jugendzentren werden aus Geldmangel geschlossen, wie kürzlich in einigen „Problemvierteln“ Englands geschehen. Die darauf folgende Kriminalität der sich als nutzlos empfindenden Jugendlichen ist zwar kostspieliger, wird aber aus einem anderen Etat finanziert. Das mag in der Logik von Administratoren sinnvoll sein, nicht aber in der Logik von uns allen, denn wir alle zahlen materiell und immateriell immer wieder dieselben Rechnungen für Versäumnisse, egal, wo sie gerade verwaltungstechnisch verbucht werden. Das ist eben auch die Logik Erwin Teufels, der seine Parteifreunde genau auf diese Tatsache hinweist.
Menschen sind viel stärker zu Opfern bereit, als die umfragegläubigen Politiker meinen. Es ist eine Schande, dass Politiker nicht mehr den Mut haben zu sagen: „Wir brauchen Euch. Denn die Zeiten sind schwer und die Ziele sind hoch.“ Die Würde des Menschen liegt darin, unersetzlich zu sein. Das heisst konkret: Jeder Mensch, der leichtfertig übergangen wird, fehlt, weil er seine Kräfte nicht für die Gesellschaft einsetzen kann. Man mag zynisch über den Einzelnen hinweg gehen, aber am Ende hat man nicht nur Defizite, sondern Destruktion.