Kann man schreibenden und malenden Computern «Autorschaft» attestieren, wie man dies bei Schriftstellern und Malerinnen ganz selbstverständlich tut? Der Kunstmarkt jedenfalls hat die neueste Tendenz schon absorbiert. Computergenerierte Erzeugnisse erreichen Verkaufswerte in Millionenhöhe.
Etwas geht vor. Um beim Beispiel Malerei zu bleiben: Der Pinsel malt mit. Das heisst, die Utensilien der Malerin prägen ihre Arbeit immer bis zu einem gewissen Grad. Bisher war es relativ leicht, Künstler und Mittel zu trennen. Wenn nun diese Mittel zunehmend autonomer – «origineller» – werden, neigen wir dazu, sie selber zu «Künstlern» zu erklären. Der Pinsel malt selbst. Was soll man von diesem kreativen «Selbst» halten?
Aus der Geschichte der Fotografie
Die Frage stellte sich schon in den Anfängen der Fotografie. Als es einem ihrer Pioniere, dem Briten Henry Fox Talbot, um 1830 herum gelang, seinen Landsitz fotografisch abzubilden, erklärte er triumphierend, sein Apparat sei das erste Gerät, das «von selbst» sein Haus porträtierte. Diese Einschätzung weist der Fotografie einen Ort in der Geschichte der Automation zu – und Automation bedeutet Emanzipation der Technik vom Menschen. Sie wird selbständig, «handelt» in eigener Regie.
Genau dies verhalf der Kamera zu ihrem «unique selling point». Sie liess das künstlerische Geschick in der Wiedergabe von Objekten als entbehrlich erscheinen. Die Verfechter der neuen visuellen Technik betonten, dass das Gerät die Wiedergabe nicht nur präziser und «realistischer», sondern auch schneller und billiger machte als die Hand des Künstlers. Obwohl die Fotos oft unscharf waren, schien ihnen allein die technische Herkunft eine Aura von Verlässlichkeit, sprich Menschenunabhängigkeit zu verleihen.
Ist der Fotograf ein Künstler?
Dadurch geriet aber ein Problem in den Brennpunkt, das uns heute die KI stellt: der künstlerische Wert des künstlich erzeugten Bildes. Wenn die Fotografie eine automatisierte Form des Zeichnens oder Malens ist, kann man dann Fotografen als Künstler betrachten und nicht eher als Operateure eines technischen Vorgangs? Die Frage hatte eine ganz praktische Bedeutung. Die unaufhaltsame Kommerzialisierung der Fotografie schuf den Anreiz des Kopierens. Nicht Originalität war das Kriterium, sondern Profitabilität. Wenn aber Fotografien wirklich als eigentümliche Kunstform gelten sollten, dann musste man ihnen logischerweise das Recht auf Eigentum und seines Schutzes zubilligen.
Einer der ersten Fälle in dieser Legitimitätsfrage ereignete sich in den 1860er Jahren. Mayer et Pierson, renommierte französische Fotografen, gingen erfolgreich gegen den Verkauf von retouchierten Porträts durch die Konkurrenz vor. Bisher war ihre Klage vor Gericht mit der Begründung abgewiesen worden, es handle sich beim Fotografieren «bloss» um einen automatisierten physikalischen Vorgang, der das Bild eines Objekts auf lichtempfindlichem Material fixiere. Der juristische Sieg war auch ein Sieg des fotografischen Blicks: In den «Zeichnungen mit Licht» («dessins photographiques») galt der Fotograf nun als «Autor». Fotograf und Kamera bildeten eine Einheit, die künstlerische Eigenständigkeit einklagen konnte – ein Hybrid aus Mensch und Apparat. «Schwer zu sagen, wo Sie aufhören und die Kamera beginnt (…) Alles funktioniert so selbstverständlich, dass die Kamera Teil Ihrer selbst ist» – so warb Minolta in den 1970er Jahren.
Die «Disruption» der digitalen Kunst
Und heute: Wer ist eigentlich «Autor» im Hybrid aus Mensch und Computer? Die aktuellen KI-Bildgeneratoren sind nicht nur fähig, herkömmliche Kamerabilder zu emulieren, sie können weit mehr. Sie modifizieren die Bilder «selbst», nach Regeln, die sie aus immensen Datenmengen lernen, Regeln, von denen der Softwaredesigner oft keine Ahnung hat. Das weckt sogleich den Eindruck der Spontaneität, mehr noch: eines künstlichen «kreativen Agenten».
Bereits ist von der «disruptiven» digitalen Kunst die Rede. Und wie die Fotografie im 19. Jahrhundert fordert das computergenerierte Werk heute die menschliche Kreativität heraus. KI-Bildgeneratoren sind wie jede neue Technologie typisch ambivalent. Man dämonisiert sie, indem man das Ende herkömmlicher Kunst durch Automatisierung heraufbeschwört; man vergöttert sie, indem man den Auftakt eines Zeitalters nie dagewesener Kunstformen zelebriert.
Der Blick zurück verhilft zu etwas Nüchternheit. Die neue Technik der Fotografie hatte im späten 19. Jahrhundert den realistischen Stil obsolet gemacht, und sie ebnete dadurch das Feld für die impressionistische Malweise. Gleichzeitig eroberte die Fotografie (und später der Film) den Status eines eigenständigen ästhetischen Genres. Und Maler wie Gerhard Richter machen heute aus der Fotografie ein neuartiges künstlerisches Objekt.
Eine neue Gattung von Bild
Verfechter computergenerierter Bilder sehen sich durchaus als Ausübende einer kreativen Tätigkeit: mittels Texten («text prompts») Bilder gestalten – «Prompt-Engineering». Und sie betonen die kreative Komponente in der geschickten Eingabe origineller Prompts zur Erzeugung von Texten, Bildern, ja, ganzen Programmen. Sie synthetisieren aus disparaten Elementen etwas Neues, weshalb man auch von «Synthografie» spricht. Die generative KI ermöglicht also ein erweitertes Konzept der Kreativität. Jüngst nahm der Fotograf Boris Eldagsen einen renommierten Preis für seine KI-generierte Fotografie nicht an, weil es sich seiner Meinung nach um eine neue Gattung von Bild handele.
2016 zerlegten Informatiker von Microsoft und der Technischen Universität Delft 346 Gemälde von Rembrandt in rund 150 Gigabytes an Pixeln. Mithilfe von lernenden Algorithmen analysierten sie akribisch die Details der Bilder. Die Aufgabe, die sie der Maschine stellten, lautete, ein Bild auf der Grundlage der analysierten und interpretierten Daten zu malen. Im April 2016 präsentierten sie den «nächsten Rembrandt» in Amsterdam. Täuschend echt. Der britische Kritiker Jonathan Jones erging sich in heiligem Zorn über das Sakrileg des digitalen Werks. «Welch eine schreckliche, geschmacklose, gefühllose und seelenlose Travestie all dessen, was kreativ in der menschlichen Natur ist.»
Artefakt oder Quasi-Künstler?
Die Eruption des Kritikers verrät ein Kunst- und Technikverständnis, das durch die KI zunehmend veraltet erscheint: Kreativ ist allein der Mensch, er garantiert die Einzigartigkeit des Kunstwerks. Natürlich hat die Maschine keine «Seele». Die Programmierer wollten ihr auch gar keine «einhauchen». Vielmehr ging es ihnen um die Frage, inwieweit sich der kreative Prozess durch KI-Systeme simulieren lässt.
KI-Systeme brechen dem menschlichen Künstler keinen Zacken aus der Krone. Ohnehin verhält auch er sich oft «maschinell». Er lernt Routinen, übt sich ein in Techniken, imitiert andere Künstler, kopiert Stile. Das Maschinelle im Kreativen und das Kreative im Maschinellen sind komplementäre Seiten des gleichen Prozesses. Im Internet findet heute die generative KI eine immense Sammlung von Bildmaterial, von menschlichen Wahrnehmungsweisen und -konventionen. Und indem der Künstler sie zum Beispiel mit dem Programm «Midjourney» variiert und rekombiniert, schafft er im besten Fall etwas Originelles, verändert er konventionelle ästhetische Erwartungen und Evaluationen – er mit der Maschine, die Maschine mit ihm oder beide zusammen, auf gleicher «Schöpfungshöhe»? Der Mensch gibt der Maschine Material ein, die Maschine liefert ihm neues Material, das er wiederum der Maschine zur Verarbeitung einspeisen kann. Je mehr Material, desto besser womöglich die Performance. Input-Output-Input-Output … Ein experimenteller Kreisprozess der digitalen Produktion zeichnet sich ab.
Sprechen wir hier noch vom Menschen als Autoren und dem Automaten als Assistenten? Ist «Midjourney» ein Artefakt oder ein Quasi-Künstler? Verlernen wir, wenn automatisch kreierte Kunst uns en masse umgibt, den Unterschied? Müssen wir eine Art von Wasserzeichen erfinden: «human made»? Vorerst sind das spekulative Fragen. Seien wir nur nicht vorschnell mit der Antwort.