Schon wieder Wahlen, schon wieder Modi. Wird diese Kolumne zu einem Modi-Blog? Ist sie das ohnmächtige Opfer der subtilen Kontrolle dieses Mannes über alle Kanäle und Inhalte dieses sonst so lärmigen, vielstimmigen Landes?
Wohin ich schaue, wo immer ich hinhöre, ‚NaMo is the name of the game’, wie es der ‚Indian Express’ formulierte – in einer Filmkritik! Ob Diwali-Party oder Talkshow, Schlagzeilen oder Randnotizen, überall taucht er auf, angehimmelt, geachtet, verteufelt. Soll man sich diesem Sog entziehen, kontrafaktuell über Sumpflilien im Brahmaputra erzählen. Darf man das?
Fakt ist, dass in Indien wieder zwei Landtagswahlen stattfanden. Na und? Bei 29 Bundesstaaten, jeder mit seiner unterschiedlichen Legislaturperiode, kommt dies statistisch fünfmal im Jahr vor. Nicht einmal die NZZ-Auslandredaktion hatte jemals erwartet, dass ich dafür in die Hermes-Tasten greife. Wen interessiert schon, wer in Tamil Nadu ans Ruder kam (oder in Transvaal, oder Minas Gerais, oder in Mittel-Finnland)? Ist mein Schreibimpuls an diesem Wochenende mehr als der übliche Reizreflex eines News-Junkie
17 Mal flog er nach Maharashtra
Im Bundesstaat Haryana hat die BJP die absolute Mehrheit errungen, in Maharashtra die relative. Auch das ist nicht weltbewegend, nach dem überragenden Wahlsieg im Mai. Sind sie es wert, notiert zu werden? Ein kleines Detail zeigt an, dass mehr dahinter stecken könnte. Wie üblich waren die Parteien, meist Regionalparteien und der lokal eingefärbte Kongress, mit den jeweiligen Parteigrössen als Anwärter auf den Chefposten in die Schlacht zogen. Nur die BJP hatte sich geweigert, einen präsumptiven Regierungschef zu nominieren.
Ihr Spitzenkandidat war, Sie haben es erraten, Narendra Modi. Nicht weniger als siebzehnmal flog er nach Maharashtra, gekleidet je nach Publikum in Turban oder Nehru-Käppchen, im rustikalen weissen Hemd oder der patentgeschützten strammen Kurta-mit-hochgerollten-Ärmeln. In Nagpur plädierte er für regionale Autonomie, in Bombay war er der Champion für die Schaffung von Industrie-Jobs, im regenarmen Marathwada der verständnisvolle Landesvater, der seine Geldbörse lockermacht.
NaMo-Stern
Die Gegner schäumten. Was will er eigentlich? Maharashtra in einen Ost- und Westteil spalten? Beabsichtigt dieser Gujerate, Bombay zu einem eigenen Bundesstaat zu machen? Schliesslich wollten die Gujeraten dies schon vor fünfzig Jahren, um die Kontrolle über die Wirtschaftsmetropole zu behalten. Seht her, liess sich die Kongresspartei verächtlich vernehmen, der grossmäulige Befürworter von ‚Minimum Government’ verspricht den Armen wieder staatliche Fördergelder!
Es nützte alles nichts. Die BJP, in zwanzig Anläufen nie auf fünfzig Sitzgewinne gekommen, heimste 123 Mandate ein. Der ‚Shiv Sena’, die chauvinistische Mahrattenpartei (und während 25 Jahren der lokale Seniorpartner der BJP), kam auf knapp die Hälfte davon; und kam dabei noch gut weg. Die Kongresskoalition – der Sonia-Kongress und jener des Lokalfürsten Sharad Pawar – hatte den Staat die letzten fünfzehn Jahre regiert. Zusammen kamen sie nun auf etwas über achtzig Sitze, für ein Haus mit 288 Abgeordneten. Selbst in Shiv Sena-Hochburgen und den Kulaken-Distrikten von Sharad Pawar ging der NaMo-Stern auf.
Aus dem Tiger wurde ein Schosshündchen
Denn natürlich war es ein Modi-Sieg. Die lokalen BJP-Kandidaten waren Kulisse. Wiederum hatte sein Wahlkampfleiter Amit Shah diese bestimmt, hatte dabei weder auf Ideologie, Erfahrung, Ruf geachtet. Nur ‚Winnability’ war gefragt. Überläufer waren willkommen, denn ohne Wurzeln in der Mutterpartei ist ihre Loyalität für (und Abhängigkeit von) Modi nahezu absolut. Korruption? Kein Thema. Zwei ehemalige Kongressminister, beide suspendiert (nicht zuletzt dank der Kampagne von BJP und Shiv Sena, als sie in der Opposition sassen), erhielten von Shah ein ‚Ticket’ – und gewannen.
Modi brachte nicht nur korrupte Kandidaten durch, er stutzte auch den Regionalfürsten die Klauen. Aus dem Shiv Sena-Tiger wurde ein Schosshündchen. Den gewieften Kämpen Sharad Pawar, mit der grössten Schwarzgeld-Schatulle des Landes der König von Bombay, liess er ohne Kleider dastehen.
Verfassungsänderungen durchbringen
Soll das heissen, dass der Premierminister nun auch Regierungschef in Maharashtra (und womöglich Haryana) werden will? Natürlich nicht, das wäre verfassungswidrig und höchst unpopulär. Aber Modi hat im Wahlkampf immer wieder gesagt: ‚Wenn Ihr mir Eure Stimme gebt, dann werde ich in Delhi besser regieren können; und die BJP in Bombay wird dank dem guten Draht zu mir effizienter arbeiten’.
Das ist sicher richtig. Im Oberhaus verfügte die BJP bisher nur über ein Sechstel der Stimmen. Da die meisten ‚Raja Sabha’-Vertreter durch die Bundesstaaten nominiert werden, und dies aufgrund der lokalen Machtverhältnisse, ist es wichtig, in möglichst vielen und grossen Staaten eine Regierungsmehrheit zu haben. Erst dann kann Modi Gesetze, und, wer weiss, Verfassungsänderungen ungestört durchbringen.
Erosion der regionalen Autonomie
Er erhielt dafür breite Zustimmung, auch von den Medien. Aber sie kam aus der Erwartung, dass die föderalistische Struktur eines Gleichgewichts zwischen Zentrum und Peripherie besser austariert würde; sie sollen sich nicht gegenseitig lahmlegen. Denn in wichtigen Bereichen – Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Wirtschaftspolitik – reden die Bundesstaaten ein gewichtiges Wort mit.
Was sich nun allmählich abzeichnet, ist das Gegenteil davon. Es ist, so fürchten Kommentatoren, eine Erosion der regionalen Autonomie. Hinter dem Argument von effizienterer Abstimmung verbirgt sich ein Wille zu mehr Zentralmacht. Mehr noch: Zentralmacht heisst in diesem Fall nicht noch mehr Macht dem Parlament, noch mehr Macht den zentralen Ministerien. In Delhi ist gleichzeitig ein weiterer Zentralisierungsprozess in Gang gekommen. Die Minister drohen Wasserträger eines allmächtigen ‚Prime Minister’s Office’(PMO) zu werden. Und wer dieses lenkt, muss man nicht fragen.
Autokratischer Landesvater
Nach den beiden Regionalwahlen steht diese Entwicklung jedenfalls im Raum. Das Erstaunliche dabei ist nicht so sehr, dass Modi dies will – man hat in Gujerat während zwölf Jahren beobachten können, wie er einen demokratischen Staat autokratisch regieren kann. Es erstaunt auch nicht, dass er diese Rolle nun auch für ganz Indien übernehmen möchte. Modis Stil und Körpersprache sind deutlich genug, auch wenn er sich vorsichtig ausdrückt.
Wirklich erstaunlich aber ist, dass ein immer grösserer Teil des Volks kein Problem damit zu haben scheint, einen autokratischen Landesvater zu haben. Ethnische Herkunft und Kastenkoalitionen galten bisher als der Goldene Weg zu Macht und Machterhalt. In beiden Staaten setzte Modi ein alternatives Paradigma auf: Was zählt, sind nicht Jobquoten für ‚Sons of the Soil’. Was zählt sind Jobs für die Besten, ein effizienter Staat. Und ein fairer, strenger Landesvater.