Die Trump-Regierung hat das Pentagon ermächtigt, mehr Soldaten nach Afghanistan zu entsenden und gewährte den Generälen die Vollmacht, selbst zu bestimmen, wieviele zusätzliche Truppen notwendig seien. Das Pentagon hat beschlossen, 4‘000 würden zunächst genügen. Ob im Falle der Notwendigkeit weitere Truppen gesandt werden können und ob dies ebenfalls auf Beschluss der Militärs geschehen kann, ohne dass der Präsident die Verantwortung dafür übernimmt, blieb unbestimmt – wie bei vielen Beschlüssen und Massnahmen, die Präsident Trump anordnet.
8‘500 amerikanische Soldaten befinden sich noch in Afghanistan. Ihre Aufgabe ist in erster Linie, bei der Ausbildung der afghanischen Armee behilflich zu sein, doch können sie diese wenn nötig auch operativ unterstützen. Die afghanische Armee kämpft gegen die Taliban. Sie erleidet dabei bedeutende Verluste durch Gefallene und Verwundete. Die Gegner gewinnen in kleinen Schritten Gelände. Ausserdem führen sie blutige Anschläge durch, gegen Armeeposten und gegen die zivile Bevölkerung in den afghanischen Städten, einschliesslich Kabul. Dadurch erschüttern sie das Vertrauen der Afghanen auf ihre Regierung.
100‘000 Mann – und kein Erfolg
Als Präsident Obama in seinem ersten Mandat den Krieg in Afghanistan zum „guten Krieg“ der Amerikaner erklärte, im Gegensatz zum „schlechten“ im Irak und daher eine bedeutende Zunahme auf beschränkte Frist der dort engagierten amerikanischen Truppen anordnete, erreichten diese – zusammen mit den Soldaten anderer Nato-Staaten – eine Stärke von über 100‘000 Mann. Dazu kamen noch 90‘000 zivile Mitarbeiter der amerikanischen Streitkräfte. Doch der Erfolg war gering. Eine gross angelegte Aktion in Helmand, Südost-Afghanistan, lief nach Anfangserfolgen ins Leere. Die Hoffnung, dass verstärkter militärischer Druck die Taliban zu Verhandlungen zwingen könnte, erwies sich als Illusion.
Weil von vornherein ein Endtermin für den verstärkten Truppeneinsatz bekanntgegeben wurde, sahen sich die Taliban zum Durchhalten angeregt. Sie wussten im Voraus, die Amerikaner würden wieder abziehen, wenn sie nur Zeit gewönnen. Zeit zu gewinnen, ist für die Taliban relativ leicht, weil sie über sichere Rückzugsgebiete an der pakistanischen Grenze und in Pakistan selbst verfügen. Die Verhandlungsgesten, welche die Taliban damals in Qatar unternahmen, dienten wahrscheinlich ebenfalls einfach dem Zeitgewinn.
Schwache afghanische Armee
Vor den Wahlen von 2014 hätten die amerikanischen Truppen aus Afghanistan abziehen sollen. Doch Obama sah sich gezwungen, seine Pläne abzuändern. Er beschloss, doch noch 8‘500 Soldaten als Berater und Ausbildner der afghanischen Streitkräfte im Land zu belassen. Ohne dies, so befürchteten die amerikanischen Offiziere, würde die afghanische Armee Gefahr laufen zusammenzubrechen.
Seither haben die afghanischen Truppen ständig mit den Taliban gekämpft. Diese machten langsame Fortschritte gegen sie. Die Initiative war auf ihrer Seite, und die Regierungstruppen standen in einem Abwehrkampf. Die amerikanische Luftwaffe unterstützte sie dabei, und amerikanische Drohnen wurden in immer zunehmendem Masse in Afghanistan, aber auch in Pakistan gegen die Taliban und deren Führungspersonen eingesetzt.
Vor dem Senat sprechen die amerikanischen Generale von „Stillstand“ in Afghanistan. Doch dies ist ein Euphemismus, der die Tatsache zu verdecken sucht, dass in Wirklichkeit die Taliban langsame aber stetige Fortschritte machen. Zur Zeit beherrschen sie ein knappes Drittel des Landes, nicht in einem zusammenhängenden Gebiet, sondern in sechs grösseren Flecken und zusätzlich in kleineren territorialen Splittern, die leicht die Hand wechseln können.
Die diesjährige Frühlingsoffensive der Taliban hat Ende April begonnen. Gegenwärtig finden Kämpfe in der Region von Kunduz statt, deren Hauptstadt gleichen Namens im vergangenen Jahr vorübergehend von den Taliban besetzt worden war. Sie wurden durch eine Gegenoffensive vertrieben, haben aber im Juni zu den von ihnen beherrschten Bezirken rund um die Stadt einen neuen hinzugefügt. Er gilt als der 19. Bezirk unter den 70 des ganzen Landes, den sie in ihre Gewalt gebracht haben.
Verluste auf die Dauer untragbar
Die afghanische Armee soll in den letzten zwei Monaten 688 Gefallene verzeichnet haben. Im vergangenen Jahr zwischen Jahresanfang und dem 12. November zählte sie 6‘785 Tote und 11‘777 Verwundete, 35 Prozent über den Zahlen des Vorjahrs. Die Zahl der Deserteure wurde nicht veröffentlicht, doch sie soll bedeutend sein. Es kommt auch immer wieder zu Zwischenfällen, in denen afghanische Soldaten auf ihre amerikanischen Ausbildner schiessen.
Die Zahl der Zivilisten, die ihr Leben verloren, ist ebenfalls eine Höchstzahl. Zu den 3‘458 Toten kamen über 8‘000 Verwundete, über 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Davon seien rund 60 Prozent auf Angriffe der Taliban zurückzuführen, aber beinahe 40 Prozent auf Aktionen der afghanischen Sicherheitskräfte, die zivile Opfer verursachten. So die Statistiken der Nato.
Die Zahl der Gewaltaktionen zwischen dem 18. November 2016 und dem 14. Februar 2017 hat gegenüber der gleichen Zeit im Vorjahr auch um 10 Prozent zugenommen, sie belief sich auf 5‘160 Ereignisse.
Die wenigsten Afghanen glauben, dass die 4‘000 zusätzlichen amerikanischen Soldaten die Lage verbessern werden. Die 100‘000 Soldaten in der Zeit des ersten Obama-Mandats haben keine bleibende Verbesserung gebracht, so erinnern sie sich. Wie sollen da die 12‘500, die es nun werden sollen, eine grosse Wirkung haben. Fast alle sind der Ansicht, dass ein Frieden nur durch Verhandlungen zu erlangen sei. Manche finden, die Truppenverstärkung sei schädlich, da sie den Krieg zu verlängern drohe. Er hat in seiner gegenwärtigen Phase, dem Versuch der Amerikaner, der Taliban Herr zu werden, bereits 16 Jahre gedauert. Doch das Land Afghanistan steht schon seit 36 Jahren im Krieg. Er begann Weihnachten 1979, als die Russen in Kabul einzogen.
Entscheidende Rolle Pakistans
Die amerikanischen Generäle räumen ein, dass die geringe Truppenaufstockung allein keine Entscheidung bringen kann. Sie erklären, diese müsste einhergehen mit Massnahmen, die zu einem Einvernehmen mit Pakistan über Afghanistan führten, wenn nötig, so sagen sie, durch Druck auf Pakistan. Dies wird als Notwendigkeit gesehen, weil Pakistan der Taliban-Führung bisher stets Zuflucht und ihren Kämpfern die Möglichkeit bot, im Bedarfsfall über die pakistanische Grenze auszuweichen.
Doch auf Islamabad einzuwirken, ist auch schon oft versucht worden und hat nie zum Ziel geführt. Pakistan pflegt Washington zu versichern, die pakistanische Armee tue alles, was sie vermöge, um die afghanischen Grenzen zu sichern. Doch unter der Hand pflegt der pakistanische Geheimdienst ISI seine Verbindungen zu den Taliban seit der Zeit, als diese mit pakistanischer Hilfe entstanden und – in den Jahren 1994 bis 1996 – in Afghanistan zur Macht kamen. Auch später, nachdem die Amerikaner 2002 ihren Krieg gegen die Taliban einleiteten, entschlüpften die Oberhäupter der damaligen Taliban-Regierung (wie auch Osama Bin Laden) den Amerikanern. Die Taliban durften in der pakistanischen Stadt Quetta eine Exilregierung aufziehen.
Die Rechnung der Pakistani war damals und ist seither geblieben: Die Amerikaner werden früher oder später aus Afghanistan abziehen; wir benötigen dann einen Partner in Kabul, der bereit ist, mit uns gegen Indien zusammenzuarbeiten. – Dass diese Konstante durch Druck auf Pakistan von amerikanischer Seite geändert werden könnte, ist unwahrscheinlich. Schon darum, weil Washington von Pakistan für den Transit von Treibstoff und Kriegsmaterial für seine in Afghanistan stehenden Truppen abhängig ist.
Das Gesamtbild, das sich aus diesen Einzelzügen ergibt, ist: Trump will den Krieg in Afghanistan nicht verlieren. Doch er und seine Generäle, denen er die Initiative weitgehend überlässt, versuchen auch nicht ernsthaft, ihn zu gewinnen. Dafür wäre der Aufwand zu gross und das erreichbare Resultat dennoch ungewiss. Sie versuchen vielmehr, den Krieg weiter zu führen, vielleicht zunächst bis zum Wahltermin von 2020, weil es politisch schwieriger ist, den Krieg zu beenden und eine Niederlage einzugestehen, als dieses – in der amerikanischen Öffentlichkeit weitgehend in Vergessenheit geratene und gewissermassen Routine gewordene – Ringen auf unbestimmte Zeit hinaus zu verlängern.
Korruption statt Demokratie
Die innenpolitische Lage in Kabul ist desolat. Von den Hoffnungen des Jahres 2002, Afghanistan in eine funktionierende Demokratie zu verwandeln, ist nichts übrig geblieben. Nach den von den Nato-Staaten finanzierten und von den Afghanen gefälschten Wahlen von April 2014 dauerte der Streit darüber, wer sie gewonnen habe und daher Präsident werden dürfe, bis zum 19. September. Beide Seiten drohten, ihre Anhänger zu mobilisieren und ihre Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen.
Die Amerikaner mussten schlichten. Schliesslich entschieden sie, Ashraf Ghani werde Präsident, sein Rivale, Abdullah Abullah, „Chef der Exekutive“. Die Konkurrenz zwischen den beiden wurde dadurch gewissermassen institutionalisiert. Sogar wenn sie persönlich bereit gewesen wären, in Harmonie zu regieren, würde dies in der Praxis immer dadurch verhindert, dass jeder der beiden seine Parteigänger und Klienten hinter sich hat, die ihn drängen, ihre Loyalität durch Regierungspositionen oder andere Frucht bringende Ämter zu belohnen.
Die Korruption im Lande ist sprichwörtlich. Präsident Ashraf Ghani versuchte ihr Herr zu werden. Sie war durch die gewaltigen Dollarbeträge, die von der amerikanischen Armee ohne genügende Kontrollen ausgegeben wurden, ins Ungeheure gewachsen und erwies sich als dermassen allumfassend, dass die Versuche, sie beizulegen, bloss zu Zornesausbrüchen von Seiten des Präsidenten und zu abrupten Entlassungen von einzelnen Individuen führten. Am Gesamtsystem änderte das nichts.
Der Präsident hat seine Beliebtheit, die er anfänglich bei Teilen der Bevölkerung besass, verspielt. Die Afghanen tadeln ihn dafür, dass er ihre Sicherheit nicht zu gewähren vermöge. Die Arbeitslosigkeit in den Grossstädten wuchs, als der Hauptharst der Nato-Truppen und der Amerikaner das Land verliess. Aus Pakistan drängen gewaltige Flüchtlingsströme zurück, weil die dortigen Behörden, die über Jahrzehnte hinweg Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem Nachbarland beherbergten, neuerdings alles tun, um sie zurückzuschicken. Die Regierung sei wirkungslos, kritisieren viele Afghanen. Parlamentswahlen wären eigentlich 2016 fällig gewesen. Doch sie wurden vertagt auf 2018. Die Vorbereitungen dafür haben bereits begonnen. Doch niemand zweifelt daran, dass auch in diesen Wahlen die Korruption eine Hauptrolle spielen wird.
Washingtons Drohnenkrieg
Akhtar Mansour, der Anführer der Taliban, wurde am 21. Mai 2016 durch eine amerikanische Drohne getötet. Mansour war der zweite Anführer der Taliban, Nachfolger des Gründers, Mullah Omar. Er hatte lange Jahre als Vertrauter Mullah Omars gewirkt, war aber nur knappe zwei Jahre lang der offizielle Emir der Gruppierung. Mullah Omar war am 23. April 2013 in einem Spital in Pakistan an Tuberkolose gestorben. Er hatte in Pakistan unter dem Schutz des ISI (Geheimdienstes) gelebt. Doch sein Tod wurde beinahe zwei Jahre lang geheim gehalten. Akhtar Mansur regierte als sein „Bevollmächtigter Sprecher“.
Der Tod Mullah Omars wurde erst im Juli 2015 bekanntgegeben, gleichzeitig mit der Ernennung Mansurs zum „Emir“. Es gab Gruppen unter den Taliban, welche die Ernennung Mansurs ablehnten. Ihre Anführer entwickelten eine Verschwörungstheorie, nach welcher Akhtar Mansur Mullah Omar erschossen habe. Der Sohn Mullah Omars, Mullah Mohammed Jaqoob, dementierte dies. Doch es gab Anzeichen dafür, dass Mullah Jaqoob selbst der Machtübernahme Mansours nicht unbedingt zustimmte. Mansour war als der Finanzfachmann der Taliban zu seinem Einfluss gelangt. Er besass eine Wohnung im luxuriösen Dubai, und sein Lebensstil unterschied sich von dem ausgesprochen einfachen und asketischen seines Vorgängers.
Dies war nicht nach dem Geschmack gewisser Anführer der Taliban. Der Umstand, dass Mullah Mansour zwei Jahre benötigte, bevor er sich als offizieller Nachfolger Omars durchsetzen konnte, spricht auch dafür, dass es Widerstände gegen seine Führung gab. Seine Tötung durch die amerikanische Drohne fand in Pakistan statt , etwa 35 Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt. Die Amerikaner erklärten, der Angriff habe „im Grenzgebiet“ stattgefunden, ohne klar zu stellen, dass sie auf pakistanischem Boden geschehen war.
Mullah Mansour hatte sich geraume Zeit in Iran aufgehalten. Er befand sich auf der Rückreise nach Afghanistan und hatte an der iranisch-pakistanischen Grenze ein Taxi genommen, das ihn quer durch Pakistan nach Afghanistan hätte bringen sollen. Dem Taxichauffeur hatte er einen falschen Identitätsausweis vorgewiesen. Der Chauffeur und ein Taliban-Mitfahrer Mullah Mansurs verloren beide mit dem Emir ihr Leben. Die Familie des Taxichauffeurs, eine Witwe mit vier Kindern, erhob Klage in Washington und forderte Schadenersatz. Es hat Fälle gegeben, in denen die USA Schadenersatz für unschuldig durch Drohnenschläge ermordete Personen geleistet haben, doch bisher noch nie für solche, die in Pakistan umkamen, nur für nachweislich unschuldige Opfer der Drohnen in Afghanistan.
Die Taliban haben sofort einen Nachfolger für Mullah Mansour ernannt. Es ist Mullah Hibatullah Akhundzadeh, Emir seit dem 25. Mai 2016. Akhundzadeh ist ebenfalls ein alter Vertrauter und Mitarbeiter des Taliban-Gründers Mullah Omar. Doch er kommt von der geistlichen Seite. Sein ermordeter Vorgänger gehörte eher zur administrativen Hierarchie. Akhundzadeh, ein angesehener Gelehrter der radikal-fundamentalistisch ausgerichteten islamistischen Richtung, war unter Mullah Omar zuständig für die Ideologie der Taliban, und er wirkte als Oberster Scharia-Richter (Qadi). Die Taliban-Führer haben ihm zwei Stellvertreter zur Seite gestellt, Sirajuddin Haqqani, der offenbar als militärisches Oberhaupt dienen wird und Mullah Jaqoob, den Sohn des verstorbenen Gründers und ersten Emirs der Taliban, wahrscheinlich als Zeichen der politisch-religiösen Kontinuität.
Kein Freund des Friedens
Die Amerikaner haben die „Elimination“ Akhtar Mansours dadurch gerechtfertigt, dass sie erklärten, es sei erwiesen, dass unter ihm die Taliban niemals bereit sein würden, in Friedensverhandlungen einzutreten. Man habe ihn deshalb aus dem Wege geschafft. Auf den ersten Blick ein Erfolg. Doch ein Erfolg von der Sorte, wie sie eben die Drohnenaktionen bringen: Eine Führungsperson wird ausgeschaltet. Doch die erweist sich dann nicht als unentbehrlich. In vielen Fällen sind Nachfolger bereits vorgesehen, und es ist immer möglich, dass diese Nachfolger wirksamere Führer werden, als es ihre ermordeten Vorgänger waren. Dass sie noch radikaler als diese werden könnten, ist sogar wahrscheinlich.
Im konkreten Falle der neuen Taliban-Führung durch eine Troika spricht alles dafür, dass Sirajuddin Haqqani, aus der berüchtigten Haqqani-Gruppierung, noch härter auftreten und seinerseits morden wird, als man es von dem „Lebemann“ Mansour zu gewärtigen hatte. Den jüngsten Grossanschlag vom 31. Mai dieses Jahres im Diplomatenviertel von Kabul, dem über 150 Menschen zum Opfer fielen, führen die afghanischen Geheimdienste auf die Haqqani-Führung zurück.
Die Haqqani sind besonders eng mit dem pakistanischen ISI verbunden, und sie sind gleichzeitig unter allen afghanischen Kampfgruppen die grimmigsten Feinde der Amerikaner. Der Anschlag in Kabul war der grösste, den die afghanische Hauptstadt je erlitt. Er war von wütenden Demonstrationen der Bevölkerung in der Hauptstadt gefolgt. Sie richteten sich gegen die Regierung, der die Demonstranten vorwarfen, dass sie nicht in der Lage sei, die Sicherheit in der Hauptstadt zu gewährleisten. – Mit dem Drohnenmord an Mullah Mansour haben die Amerikaner sich selber geschadet.
Der IS als Konkurrent der Taliban
Die heutige Lage in Afghanistan wird weiter dadurch kompliziert, dass neben den Taliban auch Gruppen des IS, des „Islamischen Staates“ des „Khalifen“ al-Bagdadi, in Afghanistan aufgetaucht sind. Die Taliban haben die IS-Kämpfer zu ihren Feinden erklärt. Sie bekämpfen diese so energisch wie möglich. Die IS-Leute scheinen aus Pakistan oder aus den Grenzgebieten Pakistans nach Afghanistan gelangt zu sein. Wahrscheinlich haben sich Splittergruppen der Taliban, die mit ihrer Führung in Streit geraten waren, auf die Seite des IS geschlagen.
Die Mannschaften des IS im „Emirat Khorasan“, wie sie sich offiziell nennen, bestehen aus Pakistanis, zentralasiatischen Kämpfern und Afghanen. Sie wurden zuerst 2015 in Afghanistan aktiv. Doch sie konnten sich nur in der schwer zugänglichen Grenzprovinz Wardak dauerhaft festsetzen. Die afghanischen Sicherheitskräfte und die Amerikaner bekämpfen sie, auch die Taliban gehen aktiv gegen sie vor. Ihre Zahl wird auf bloss 600 bis 1‘000 Kämpfer geschätzt. Demgegenüber verfügen die Taliban über rund 25‘000 aktive Bewaffnete. Am 13. April 2017 hat Präsident Trump eine Grossbombe auf unterirdische Positionen des IS in der Region von Achin abwerfen lassen. Sie soll nach amerikanischen Schätzungen 36 IS-Kämpfer getötet haben. Ein Rückschlag für sie, aber keineswegs ihr Ende.
Taliban werden Freunde der Russen
Die wichtigste Folge der Präsenz des IS in Afghanistan ist wohl, dass die Russen und die Iraner sich den Taliban annäherten, weil sie in ihnen Feinde des IS sehen und sie als Abwehrkräfte gegen den IS ermutigen wollen. Dass die Taliban auch als Feinde der Amerikaner und der von ihnen gestützten Regierung von Kabul auftreten, ist ein zusätzlicher Vorteil für Moskau und Teheran.
Der amerikanische Oberkommandant in Afghanistan hat dem US-Senat im vergangenen Februar erklärt, Russland und Iran unterstützten die Taliban. Die Hilfe soll aus Waffenlieferungen und Geld aus Russland und aus Iran bestehen. Beiden Staaten dürfte daran liegen, in einer Zeit nach der amerikanischen Präsenz in Afghanistan Nachbarn zu finden, die sich nicht in ihre inneren Angelegenheiten einmischen. Dies können sie mit viel grösserer Wahrscheinlichkeit von den Taliban erwarten, als von einem Staat, der sich als Bestandteil des „Kalifates“ des IS sähe und in dessen Reihen auch islamistische Kämpfer und mögliche Selbstmordbomber aus Zentralasien und aus dem Kaukasus, Uiguren und Tschetschenen, vertreten sind.
Iran hat ein besonders nahes Verhältnis zu der schiitischen Minderheit in Afghanistan, deren Angehörige Hazara genannt werden. Die Hazara sind bittere Feinde der Taliban. Sie waren zur Zeit von deren Herrschaft schweren Verfolgungen ausgesetzt. Sie stehen daher auf Seiten der Kabul-Regierung und der Amerikaner. Wie Iran die Sorge um diese schiitische Minderheit, die in Zentalafghanistan lebt, mit einer Zusammenarbeit mit deren Feinden, den Taliban, vereinbaren kann, ist zur Zeit nicht absehbar.