Am 18. November 2014 wurden fünf Israeli bei einem Angriff in einer Synagoge in Jerusalem getötet. Die Angreifer waren zwei Cousins aus dem Jerusalemer Vorort Jabal Al-Mukaber, Ghassan und Uday Abu Jamal, der eine 22, der andere 27 Jahre alt. Während des Frühgottesdienstes griffen sie betende Israeli mit Messern und Pistolen an. Anschließend wurden sie von der israelischen Polizei erschossen. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas und die palästinensische Regierung verurteilten die Attacke. Zahlreiche palästinensische Gruppen wie Hamas und Jihad lobten den Angriff und bezeichneten die beiden jungen Leute als Helden. Ihren Tod sahen sie als einen Akt des Märtyrertums.
Die Umstände der Attacke sind eine abschreckende Erinnerung an ein eben schlimmeres Massaker, das als das Ibrahimi Moschee-Massaker bekannt wurde und in Hebron am 25. Februar 1994 verübt wurde. Dieses Massaker, das auch bekannt ist als Massaker am Grab der Patriarchen, wurde von dem israelischen Siedler Baruch Goldstein verübt. Er stammt aus der nahe gelegenen Siedlung Kirjat Arba und war ein Mitglied der rechtsradikalen Kach-Partei. Während der Frühgebete eröffnete Goldstein das Feuer auf eine Gruppe betender Muslime, tötete 29 von ihnen und verwundete 125. Der Angriff endete erst, nachdem Goldstein von den palästinensischen Überlebenden getötet worden war.
Akt des Märtyrertums?
Das Massaker löste Proteste in der Westbank aus, während derer innerhalb 48 Stunden noch einmal 19 Palästinenser von der israelischen Armee getötet wurden. Der israelische Premier Yitzhak Rabin verurteilte die Tat Goldsteins. Israelische Siedler in der Westbank dagegen lobten Goldstein als einen Helden und sahen seinen Tod als einen Akt des Märtyrertums.
Der Zirkel der Gewalt hat aber nicht mit den Morden Goldsteins im Jahre 1994 und auch nicht mit der grausamen Attacke auf eine Jerusalemer Synagoge am 18. November 2014 begonnen. Ursachen sind vielmehr die israelische Besatzung der Westbank und Gazas seit dem Jahr 1967 sowie der Siedlungsbau, der seinerzeit begann und sich in den letzten Jahren immer mehr verstärkt hat.
Natürliche Antwort auf israelische Gewalttaten?
Die jetzige Spirale der Gewalt begann am 12. Juni 2014, als drei israelische Jugendliche bei Hebron gekidnappt und schließlich getötet wurden. Kurz darauf, am 23. Juli 2014, wurde ein 16 Jahre alter palästinensischer Junge, Mohammed Abu Khudair, entführt und von drei israelischen Siedlern durch Feuer zu Tode gebracht. Am 8. Juli dann begann Israel seinen Krieg gegen Gaza. Der dauerte 51 Tage und forderte das Leben von mehr als 2‘200 Palästinensern, die meisten von ihnen Zivilisten. 73 Israelis starben, die meisten von ihnen Soldaten.
Der Krieg in Gaza ging zu Ende, aber die Spannungen in der Westbank und in Gaza blieben bestehen. Einen Tag vor dem Angriff auf die Synagoge in Jerusalem wurde der palästinensische Busfahrer Youssef Al-Rammouni in seinem Bus tot ausgefunden. Er stammte aus dem Osten der Stadt. Palästinenser glauben, dass er von israelischen Siedlern ermordet wurde. Den Angriff auf die Synagoge und den Attentatsversuch gegen die rechtsextremen jüdischen Siedler Yehjuda Glick vom 29. Oktober 2014 sowie andere Angriffe auf israelische Siedler, die mit Autos durchgeführt wurden, werten Palästinenser als natürliche Antworten auf israelische Gewalttaten gegen Landsleute in der Westbank, in Ost-Jerusalem und in Gaza.
„Grausamen Mord an Juden“
Angesichts vieler israelischer Repressionen wie Hauszerstörungen, Belagerungen der Westbank und Gazas und kürzlich Ost-Jerusalems werden diese Gewaltakte als verzweifelte Vergeltungstaten betrachtet. Während dieser Welle der Gewalt mussten arabische Einwohner Jerusalems, die zuvor ein wenig mehr Bewegungsfreiheit hatten als andere Palästinenser, erleben, wie ihre Wohnquertiere in wahrhafte Ghettos verwandelt wurden. Die Tötungen und die massiven Verhaftungswellen speziell gegen die Jugendlichen der Stadt erhöhten die Spannungen in den besetzten palästinensischen Gebieten. Ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht.
Israels Premier Benjamin Netanjahu versprach eine „harsche Antwort“ auf die jüngsten Attacken in Jerusalem, die er als „grausamen Mord an Juden“ bezeichnete – so, als ob es sich um einen religiös motivierten heiligen Krieg gegen die Juden handele. Weder erwähnte Netanjahu die Besatzung, noch den Siedlungsbau, noch die Angriffe auf Palästinenser. Dagegen ordnete er sogleich die Zerstörung der Häuser an, in denen die Attentäter wohnten, die, so stellte sich heraus, Mitglieder der marxistischen Organisation PFLP – „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ – waren. Sie handelten also nicht aus religiösen Motiven, sondern eher aus nationalen. Keine solche Maßnahme ordnete Netanjahu gegen jene Siedler an, die Abu Khudair entführten und jene, die im Laufe der Jahre Tausende von Palästinensern in Jerusalem, in der Westbank und in Gaza töteten.
Hamas gleich IS?
Viele Menschen auf der Welt haben die israelische Regierung vor den religiösen Dimensionen der Attacken israelischer Siedler in Jerusalem und auf der Westbank gewarnt. Die Siedlergewalt in Jerusalem und in den besetzten Gebieten nahm in den letzten Monaten drastisch zu. Die Lage verschlimmerte sich durch die Spannungen über einen religiösen Schlüsselort, der von Muslimen als „Heilige Stätte“ (Haram al-Sherif) verehrt wird und den die Juden Tempelberg nennen. Es scheint, als ob die gegenwärtige israelische Regierung den Kampf im Nahen Osten in einen religiösen Krieg verwandeln will. Sie sehen die Hamas als ein Äquivalent zum IS, dem so genannten „Islamischen Staat“ an. Und sie, die Israeli, gerieren sich dabei als einen Teil der westlichen Allianz, welche in der Region islamischen Extremismus bekämpft.
Diese Haltung hat ein Vorbild. Nach den Attacken auf die New Yorker Twin-Towers im September 2011 verkündete George W. Bush den „Krieg gegen den Terror“. Und sogleich schloss sich Ariel Sharon, damals Israels Premier, diesem Krieg an – mit dem fadenscheinigen Argument, auch die PLO unter Jassir Arafat sei eine Terrorgruppe.
Kein Kampf gegen die Juden – ein Kampf gegen die Besatzung
Doch alle diese Argumente beruhen ganz einfach auf einer verdrehten Logik. Denn der Kampf der Palästinenser ist in jeder Hinsicht ein nationaler Kampf - und keineswegs ein Kampf um des Terrors willen und auch kein Kampf gegen die jüdische Religion. Christliche und muslimische Palästinenser wehren sich ganz einfach gegen die Besatzung. Sie werden nicht rasten, bis die Besatzung besiegt und vollständig aufgehoben ist.
Der Staat Israel weigert sich, UN-Resolutionen anzuerkennen und ist nicht bereit, jenen historischen Kompromiss anzunehmen, der ihm durch die Initiative der Gipfelkonferenz der Arabischen Liga in Beirut seit 2002 angeboten ist: gegen den Rückzug aus den besetzten Gebieten hätte Israel Frieden nicht nur mit den Palästinensern, sondern mit der gesamten arabischen und muslimischen Welt bekommen können. Weiterhin bot die Konferenz Israel kulturellen und wirtschaftlichen Austausch an sowie die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen. Israel ist auf diese Friedensinitiative bis heute nicht eingegangen.
Die israelische Politik – eine Last für die ganze Welt
Stattdessen fördert die israelische Besatzung religiöse Spannungen in der Region. Die Besatzung spielt den Extremisten in der Region und in der ganzen Welt n die Hände. Die Politik Israels dient keinem guten Zweck, im Gegenteil, sie ist eine große Last für Europa und die gesamte westliche Welt.
Es gibt Anzeichen dafür, dass Europa willens sein könnte, seine Politik zum arabisch-israelischen Konflikt allmählich zu revidieren. Es bleibt abzuwarten, ob die EU tatsächlich den Mut und die Weisheit haben wird, einen neuen Weg einzuschlagen – oder ob sie sich amerikanischen und zionistischen Interessen beugen und ihre eigenen Interessen opfern wird.
*) Adil Yahya ist Gründer von PACE, der „Palestinian Association for Cultural Exchenge“, einer Nichtregierungsorganisation in Ramallah, die sich auf kulturellen Austausch auch mit Israel konzentriert. Adil Yahya war zudem einer der Organisatoren der ersten Intifada (1987-1993). Mehrfach saß er in israelischen Gefängnissen. – Übersetzung aus dem Englischen von Heiko Flottau.