Im zweiten Anlauf hat es geklappt. Der Kandidat des Mitte-Links-Bündnisses Frente Amplio, Ex-Präsident Tabaré Vázquez, setzte sich in der Stichwahl mit einem Stimmenanteil von gut 53 Prozent klar gegen seinen konservativen Herausforderer Luis Lacalle Pou durch.
Der 74-jährige Onkologe hatte schon zwischen 2005 und 2010 die Geschicke Uruguays gelenkt. Vázquez war der erste Staatschef seit über 150 Jahren, der nicht einer der beiden rechten Traditionsparteien Nacional und Colorado (Weisse und Rote) angehörte. Er betrieb – wie der damalige brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva - eine moderate Wirtschaftspolitik und schaffte es, Uruguay aus einer schweren sozialen und wirtschaftlichen Krise herauszuführen.
Vom Guerillakämpfer zum Staatschef
Nun tritt Vázquez die Nachfolge seines bodenständigen und volksnahen Parteikollegen José Mujica an. Er gilt als gemässigter als der noch bis Februar 2015 amtierende Präsident. Aber auch Mujica, der in den Sechzigerjahren Mitglied der Stadtguerilla Tupamaros war und während der Militärdiktatur (1972-1985) im Gefängnis sass, hat sich auf dem langen Weg des Frente Amplio zur Regierungsverantwortung geläutert. Früher, sagte er einmal, habe er die Bourgeoisie schlachten wollen. Ein intelligenter Mensch melke sie jedoch, anstatt sie umzubringen.
Seinen schlichten Lebensstil hat Mujica auch als Staatsoberhaupt nicht geändert. Er und seine Frau Lucía Topolansky wohnen seit beinahe drei Jahrzehnten in einem kleinen Landhaus ausserhalb der Hauptstadt Montevideo und verzichten auf die meisten Privilegien, die ihnen von Amtes wegen zustehen würden. Mit seiner einfachen, zuweilen auch ungehobelten Sprache, seiner Ehrlichkeit, dem trockenen Humor und dem stets bescheidenen Auftreten erwarb er sich weit über die Landesgrenzen hinaus Sympathien.
Marihuana legalisiert
Auch einige der Reformen, die Mujica durchsetzte, haben globale Aufmerksamkeit gefunden. Uruguay erlaubt als weltweit erstes Land den Anbau und Verkauf von Marihuana. Ferner legalisierte es, teilweise gegen massiven Widerstand in der Bevölkerung, Abtreibungen und Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren.
Im Übrigen setzte Mujica weitgehend die pragmatische Politik seines Parteikollegen Vázquez fort und sorgte damit dafür, dass das kleine Uruguay mit seinen 3,3 Millionen Einwohnern eines der wohlhabendsten Länder der Region blieb. 2013 wuchs das Bruttoinlandprodukt um 4,4 Prozent. In der Landwirtschaft, bei der Energieerzeugung und den neuen Technologien machte Uruguay während der Amtszeit von Mujica bemerkenswerte Fortschritte.
Doch der Ex-Guerillero hinterlässt seinem Nachfolger auch offene Baustellen. So ist es seiner Regierung nicht gelungen, der wachsenden Gewaltkriminalität einen Riegel zu schieben. Es überraschte deshalb nicht, dass der 41-jährige Oppositionskandidat Lacalle Pou im Wahlkampf immer wieder das mangelnde Engagement der Mitte-Linkskoalition auf diesem Gebiet anprangerte. Wieweit Vázquez hier neue Akzente setzen wird, ist nicht abzusehen.
Schliesst Vázquez die Bildungslücken?
Nachholbedarf besteht auch im Bildungssektor. In Tests schnitten Schüler in den Bereichen Mathematik, Wissenschaft und Leseverständnis weltweit mit am schlechtesten ab, und die Abbrecherquote an weiterführenden Schulen ist nach wie vor aussergewöhnlich hoch. Mujica war vor fünf Jahren mit dem Anspruch angetreten, die Schulen auf allen Ebenen umfassend zu reformieren. Er ist jedoch am Widerstand der Lehrergewerkschaften gescheitert. Vázquez hat in der Vergangenheit ebenfalls immer wieder betont, wie sehr ihm die Bildung am Herzen liegt. Auch ihm dürfte es aber nicht leicht fallen, die ehrgeizigen Pläne seines Vorgängers in die Tat umzusetzen.
Weitere Niederlage für die Rechte
Mit dem Wahlsieg von Vázquez hat sich in fünf der sieben lateinamerikanischen Länder, in denen 2014 Wahlen stattfanden, die Linke durchgesetzt. In El Salvador gewann im März der Kandidat der ehemaligen Guerillabewegung FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Marti) Salvador Sánchez Cerén, während in Costa Rica im April der Anwärter der PAC (Bürgeraktionspartei) Luis Guillermo Solís siegte. In Bolivien triumphierte vor ein paar Wochen abermals Evo Morales, in Brasilien lag bei der Stichwahl Ende Oktober Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei knapp vor dem Konservativen Aécio Neves, und jetzt konnte sich die Linke auch in Uruguay an der Macht behaupten. Einzig in Panama mit Juan Carlos Varela und in Kolumbien, wo der amtierende Präsident Juan Manuel Santos wiedergewählt wurde, gewann die Rechte.
Mögen die konservativen Parteien in den vergangenen Jahren auch stärker in die Mitte gerückt sein: Es ist es ihnen nicht gelungen, überzeugende Alternativen zu einer populären und nicht selten auch populistischen Linksregierung zu entwerfen. Ob in Venezuela mit seinen einem „Sozialismus des 21. Jahrhundert“ huldigenden Machthabern oder im eher sozialdemokratisch geprägten Brasilien: Weil die Wirtschaft in den vergangenen Jahren dank ungewöhnlich hoher Weltmarktpreise für Exportgüter wie Erdöl, Gas oder Soja kontinuierlich wuchs, konnten die Regierungen eine Reihe von Sozialprogrammen starten und damit die Armut massiv zurückdrängen. Auch wenn die rechten Parteien hoch und heilig versprechen, diese Leistungen nicht anzutasten, zieht es die Mehrheit der Wähler offenbar vor, keine Risiken einzugehen und trotz manchen Vorbehalten weiterhin auf mehr oder weniger progressive Kräfte zu setzen.
Wirtschaft kann mit den Linken leben
Kommt dazu, dass in manchen Ländern die Wirtschaftselite sich mit den Linksregierungen arrangiert hat und die politische Rechte damit einen ihren wichtigsten Wahlhelfer verlor. Das gilt im Grossen und Ganzen für Brasilien genauso wie für Peru und Bolivien. So radikal sich beispielsweise Evo Morales in seinen Reden gibt: Wenn es wirklich darauf ankommt, zeigt er durchaus Verständnis für die Interessen der Agrobusiness-Unternehmer.
Bisher haben die rechten Parteien in Lateinamerika auf die Erfolge der Linken ziemlich hilflos reagiert. Wie zuletzt die Wahlen in Brasilien und in Uruguay bewiesen haben, führt ihr Versuch, sich zu Wahlzeiten linker zu gebärden, als sie tatsächlich sind, nicht zum Erfolg. Ihre Chance für die Zukunft sieht Grace Livingstone, Autorin von „America`s Backyard: The United States und Latin America from the Monroe Doctrine to War on Terror“, in einer im Monde diplomatique veröffentlichten Analyse „eher darin, dass das Wirtschaftsmodell der Linken zu stark von den Unabwägbarkeiten der globalen Märkte abhängig ist und die Umverteilungspolitik auf diese Weise nicht sicher und dauerhaft finanziert werden kann.“