Moskau und Teheran bestreiten, dass die russischen Streitkräfte mit iranischen Drohnen Tod und Zerstörung in ukrainische Städte bringen. Doch vor kurzem hat ein russischer Militärexperte am Fernsehen bestätigt, dass diese Drohnen tatsächlich iranischer Herkunft sind. «Wir alle wissen es, aber die Regierung will es nicht zugeben», sagte er unmittelbar vor einer Talk-Sendung am 19. Oktober zu den Moderatoren des Kreml-hörigen TV-Kanals RBK. Der Experte war bei diesen Bemerkungen offenbar der Meinung, dass die Mikrofone für die Übertragung noch nicht geöffnet waren.
Über diesen für die Kreml-Propagandisten zwar peinlichen, aber kaum erschütternden Zwischenfall berichtet die englischsprachige Ausgabe der oppositionellen Website «Meduza», die von russischen Journalisten gemacht wird. Wegen der russischen Zensur betreiben sie ihre Redaktion aber in der lettischen Hauptstadt Riga. «Meduza» verfügt offenbar über eine Kopie der am vergangenen Mittwoch vom russischen Sender RBK ausgestrahlten Talkshow «Was heisst das?», denn auf der RBK-Website ist die fragliche Sendung inzwischen nicht mehr abrufbar.
«Wir müssen alles zusammenkratzen, was wir bekommen können»
Im von «Meduza» verbreiteten Ausschnitt dieser Sendung sind zuerst die beiden russischen Moderatoren zu sehen, die die RBK-Talkshow ankündigen. Dann tritt der Moskauer Militärexperte Ruslan Puchow auf. Und der sagt, offenbar im Glauben, dass die Mikrofone für die Übertragung noch nicht geöffnet sind, zu der neben ihm sitzenden Modaratorin laut «Meduza»-Übersetzung wörtlich Folgendes: «Wir sollten nicht zu hohe Wellen machen. Ich bitte Sie, diese iranischen Dinge sind wie der klassische Witz: Es ist ein Arschloch da aber man gebraucht das Wort nicht. Nicht wahr? Wir alle wissen, sie sind iranisch, aber die Regierung will es nicht zugeben.» Die Moderatoren unterbrechen den Experten und signalisieren, dass die Mikrofone bereits offen sind.
Die Moderatoren haben den Rat des Militärexperten Puchow offenkundig verstanden. Während der ganzen Talkshow kommt laut dem Bericht von «Meduza» das spezifische Thema der iranischen Drohnen nicht mehr zur Sprache. Puchow sagt während des Gespräch nur, dass Russland selbstverständlich auch Waffen importieren müsse, das sei angesichts der aktuellen militärischen Situation notwendig. «Und daran ist nichts Peinliches – wir müssen alles zusammenkratzen, was wir können, nicht wahr?», fügte er in der Sendung hinzu.
Puchow ist laut den Angaben von «Meduza» ein Berater des russischen Verteidigungsministeriums und Mitbegründer eines militärischen Think Tanks in Moskau. Er soll später nach seinem Fernseh-Auftritt von Journalisten gefragt worden sein, ob er sich an seine nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Äusserungen zu den iranischen Drohnen erinnern könne. Er soll erwidert haben: «Vielleicht habe ich das gesagt, vielleicht nicht. Ich kann mich traurigerweise nicht erinnern. Das ist schon ein Weilchen her, und nach Covid leide ich unter Gehirn-Nebel.»
Warum bestreiten Moskau und Teheran ihr Waffengeschäft?
Wie gesagt, die von «Meduza» berichtete und dokumentierte RBK-Sendung ist keine weltbewegende Enthüllung. Auch in Russland dürften sich inzwischen grosse Teile unter den Fernsehzuschauern wenigstens ansatzweise bewusst sein, dass in den staatsnahen Kanälen zum Ukraine-Krieg nur Meinungen und Versionen verbreitet werden, die nicht gegen die gerade gültigen Leitlinien und Sprachschablonen der Kontrolleure im Kreml verstossen.
Eher stellt sich die Frage, weshalb sich die Machthaber in Moskau und in Teheran darauf versteifen, den Einsatz iranischer Drohnen im Krieg gegen die Ukraine zu leugnen. Diese von Iran gelieferten Waffen haben in letzter Zeit die ukrainische Gesellschaft schwer getroffen. Ihr Einsatz hat wesentlich dazu beigetragen, dass laut Kiewer Informationen in den vergangenen Tagen bis zu 40 Prozent der ukrainischen Stromversorgung zerstört oder beschädigt worden sind und Millionen von Menschen ohne Strom und mit eingeschränkter Wasserversorgung leben müssen. Die ukrainische Seite verfügt über eindeutige Beweise, dass es sich bei diesen sogenannten Kamikaze-Drohnen um iranische Waffen handelt. Die von ihnen abgeschossenen Exemplare vom iranischen Typ Shahed-136 sind zwar mit russischen Namen und Farben bemalt und beschriftet, aber damit soll nur über ihre Herkunft hinweggetäuscht werden.
Wird Putin militärisch von Teheran abhängig?
Möglicherweise will man in Moskau den Einsatz dieser iranischen Kriegsgeräte deshalb nicht offen einräumen, weil damit die von einigen Experten im Westen verbreitete These gestützt würde, die russische Armee verfüge nur noch über ein sehr begrenztes Potential an eigenen Raketen und Fernlenkwaffen. Und sicher will der Kreml weder nach innen noch nach aussen den Eindruck aufkommen lassen, Russland könnte in militärischer Hinsicht in gewisser Weise ausgerechnet vom iranischen Mullah-Regime abhängig geworden sein. Das würde dem von Putin so lange mit viel Aufwand inszenierten Bild von der hochmodern, rundum hervorragend gerüsteten militärischen Supermacht mit angeblich unerschöpflichen Reserven diametral widersprechen.
Aber auch den Machthabern in Teheran liegt offenkundig viel daran, die enge Zusammenarbeit mit dem russischen Aggressor im Ukraine-Krieg zu dementieren. Vielleicht versucht man damit einen offenen Bruch mit der Ukraine zu vermeiden. Wahrscheinlich haben Russland und Iran auch gemeinsam vereinbart, ihre engere militärische Kooperation nach Möglichkeit zu bestreiten, um das rüstungsmässig hochentwickelte Israel nicht enger an die Seite der Ukraine zu treiben.
Die ukrainische Regierung hat angesichts der jüngsten verheerenden russischen Angriffe mit Fernlenkwaffen mit grösserer Dringlichkeit an Israel appelliert, ihr moderne Abwehrsysteme zur Verfügung zu stellen. Die israelische Regierung verurteilt zwar den russischen Überfall auf das Nachbarland, hat sich bisher aber nicht dazu durchringen können, sich den westlichen Sanktionen gegen Moskau anzuschliessen und Kiew mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Wenn Russland den Einsatz iranischer Waffen im Ukraine-Krieg weiter vorantreibt – laut neuen westlichen Geheimdienst-Informationen soll neben Kampfdrohnen auch die Lieferung iranischer Raketen vereinbart worden sein – so wird Israel seine bisher lavierende Position gegenüber Kiew überdenken müssen.