Heute müsste die Frage eher lauten: «Schreiben Sie noch Briefe oder haben Sie schon einen Handy-Daumen?»
Ohne Witz: Die Dauertipperei und -wischerei auf den Smartphones hat eine neue Zivilisationskrankheit begründet, die sich mit schmerzhaften Symptomen in Händen und Unterarmen bemerkbar macht und sich – Handywahn sei «Dank» – gar zu chronischen Beschwerden entwickeln kann.
So verwunderlich ist das gar nicht, wenn man bedenkt, dass die Menschen täglich weltweit nur schon 42 Milliarden WhatsApp-Nachrichten verschicken. Dazu kommen ebenfalls Milliarden von SMS, etwa 500 Millionen Tweets (nicht alle von Donald Trump) sowie astronomische Mengen von Chats und Posts auf Facebook & Co. Mehr Kommunikation war nie!
Vorgegaukelte Nähe
Gut so, möchte man meinen, lautet doch das probate Mittel für zwischenmenschliche Verständigung seit Urzeiten: «Me mues halt rede mitenand!» Bloss reden wir ja gar nicht häufiger miteinander, sondern wir schreiben. Nichts gegen einen wohldurchdachten, schön formulierten Brief, in dem sich Dinge, die einem wichtig erscheinen oder einen bewegen, nachhaltig festhalten und mit dem Empfänger teilen lassen.
Doch damit hat die heutige verschriftlichte Kommunikation wenig zu tun. Im Dauerbetrieb werden mit wenigen Zeichen Nichtigkeiten ausgetauscht, für die niemand je zur Feder greifen würde. Garniert mit Fotos gaukeln solche Kurzmitteilungen Nähe vor, lassen uns vermeintlich täglich, stündlich, gar im Minutentakt am Leben der anderen teilhaben. Doch wo bleibt das Persönliche, Vertraute, das einer Beziehung zwischen zwei Menschen eigen ist, wenn dieselben Zeilen oder Bilder auf den sozialen Plattformen im Sammelmodus bei einem Heer von sogenannten Freunden landen?
Wird unser Bedürfnis nach menschlicher Nähe und nach Verständnis, nach dem Aufgehobensein in einer Gemeinschaft wirklich gestillt, wenn wir in einem Netzwerk gefangen sind, in dem es primär darum geht, sich selbst in einem möglichst guten Licht zu positionieren?
Freundschaftsbezeugung aus der Büchse
Kürzlich erhielt ich von einer langjährigen Freundin per Smartphone ein vorgefertigtes Video, in dem mir ein sprechender, mit kleinen Herzen verbrämter Smiley mit blecherner Konservenstimme die Bedeutung von Freundschaft im Allgemeinen und bezogen auf mich kundtat. War die Freundschaftsbezeugung der Absenderin auch lieb gemeint, sie liess mich kalt.
Viel lieber hätte ich ihre Stimme, ihre eigenen Worte gehört und sie gewiss auch erwidert. So aber blieb ihre Mitteilung ein anonymer, beliebig multiplizierbarer, dafür umso charakteristischerer Beleg des Wandels, der unsere Kommunikation prägt, seit die elektronischen Medien Einzug in unser Leben gehalten haben.
Wie umarmt man einander per SMS?
Zugegeben, sie sind praktisch, die kurzen Mitteilungen, wenn sie etwa dazu dienen, zu später Stunde eine dringliche Nachricht loszuwerden, den Freund vorzuwarnen, man stecke im Stau und komme später, die Mutter zu beruhigen, man sei wohlbehalten am fernen Ferienort angekommen. Nie und nimmer aber kann ein abgehacktes Hin und Her von Satzfragmenten ein Gespräch ersetzen, in dem man von Angesicht zu Angesicht Freuden und Sorgen teilt, Probleme zu lösen versucht, Mitgefühl und Anteilnahme zu erkennen gibt. Denn es sind nicht nur Worte, eingetippte Buchstaben, die uns einander näher bringen; dazu gehören auch die Mimik, die Intonation der menschlichen Stimme, die Gesten.
Wie will ich die von Sorgen geplagte Freundin per SMS umarmen? Wie die Empörung über eine Ungerechtigkeit ausdrücken, wenn ich sie nicht mit zorngerunzelter Stirne betonen kann? Wie einen Erfolg bejubeln, wenn meine Stimme nicht mitklingt?
Reden statt Emojis
Der beste Beweis dafür, dass uns der Kurzmitteilungsverkehr mit Worten allein nicht reicht, um Gefühle zu vermitteln, sind die allgegenwärtigen Emojis, der lachende Kothaufen etwa, der hochgereckte Daumen oder die Smileys in unzähligen Varianten. Ein kläglicher Ersatz für das, was ein Mensch in seiner leibhaftigen Präsenz auszudrücken vermag.
Dass Kommunikation Menschen und Völker verbinden soll, wird niemand bestreiten wollen. Ob aber jede Form diesen Anspruch gleichermassen einlöst? Und ob, wie so oft, Qualität nicht vor Quantität kommt? Auf den Handy-Daumen können wir alle verzichten. Deshalb plädiere ich dafür, das Smartphone auch mal wegzulegen und stattdessen das Mundwerk in Betrieb zu nehmen, ganz im Sinne von: «Me mues halt rede mitenand». Denn von Schmerzen in der Kieferpartie wegen zu viel Redens habe zumindest ich noch nie gehört.