Der Festsaal des Palazzo Vendramin Calergi, der vielleicht prächtigste Palast am Canale Grande – heute das Casino Venedigs –war einer der Aufführungsorte der Giornate Wagneriane 2013. Wagner hatte hier die letzten Monate seines Lebens mit seiner Familie gewohnt.
«Eine Bleibe, die mir würdig ist»
Eine damalige Wagnerfreundin schrieb in ihrem Tagebuch: «Als er damals am Wassertor ankam, standen die Besitzerfamilien wie auch die Bediensteten rechts und links der Freitreppe, aufgereiht wie Orgelpfeifen, zur Begrüssung bereit. Wagner soll angesichts der fürstlichen Eingangshalle gerufen haben: ‚Endlich eine Bleibe, die mir würdig ist.’»
Gewohnt hat Wagner dann aber im Anbau, in der Mezzanin, deren kleine Zimmer für den kälteempfindlichen Wagner leichter zu heizen waren. Drei Räume hatte er dort für sich allein: Empfangs-, Arbeits- und Schlafzimmer. Diese wurden vor Jahren wieder als Wagners Wohnräume eingerichtet, komplett mit einer Kopie des Sofas, auf dem Wagner starb. Hier hat er seinen Hang zum Bombastischen ein letztes Mal ausgelebt. Auch heute stehen in den Räumen Sträusse herrlicher Seidenrosen von Bevilacqua. Diese liess Wagner mehrmals täglich mit einer schweren Essenz besprühen, die ihm eine Bewunderin aus Paris schickte. Für den Asthmatiker war dies nicht ungefährlich.
Opernhaftes Sterben
Am Morgen des 13. Februar 1883 schrieb er an einem Artikel «Über das Weibliche im Menschlichen», seinem letzten, wie er vielleicht in einer Art Vorahnung gesagt hatte, und begann sich unwohl zu fühlen. So verzichtete er auf die tägliche Gondelfahrt vor dem Mittagessen und nahm, statt wie üblich mit der Familie zu speisen, nur eine Suppe in seinen Räumen zu sich. Gegen 15 Uhr rief er seinen Kammerdiener: «Einen Arzt und meine Frau.» Doch dieser, per Gondel geholt, brauchte über eine Stunde und konnte nur noch Wagners Tod durch Herzversagen feststellen. Er war in den Armen Cosimas gestorben, die ihn weitere 26 Stunden umfangen hielt, bis sie vom Leichnam getrennt werden konnte.
Die Nachricht vom Tode des Meisters verbreitete sich per Telegramm in alle Welt. Ludwig II. von Bayern schickte den königlichen Zug, um Wagner und seine Familie «heim zu holen», zuerst nach München, dann nach Bayreuth. Die Gondeln mit dem Sarg des einbalsamierten Wagner und seiner Familie wurden von den Venezianern in festlichem Geleit zur Stazione Santa Lucia gebracht.
Wallfahrtsort für Wagnerianer
Wagner weilte sechs Mal in Venedig – im Hotel Europa, im Danieli oder an diversen Wohnsitzen – und hatte im Cafe Quadri am Markusplatz seinen Stammplatz. Es war der Treffpunkt der Donaumonarchisten; die italienischen Patrioten trafen sich im Cafe Florian gegenüber. Auch Franz Liszt, sein Schwiegervater und Förderer wohnte oft zur gleichen Zeit in Venedig und kam dann regelmässig nachmittags seine Enkelkinder besuchen.
Die Associazione Richard Wagner di Venezia, 1992 von Giuseppe Pugliese gegründet, stellt Interessierten Stadtpläne mit den Wagnerorten zur Verfügung. Sie unterhält Stipendien für Musiker, kooperiert mit der örtlichen Universität Ca Foscari, um Wagnerstudien voranzutreiben. Des weiteren fördert sie das literarische wie musikalische Werk Wagners durch Konzerte, Vorträge, Round-Table-Gespräche, Veröffentlichungen, Ausstellungen und Kongresse. In Zusammenarbeit mit dem Opernhaus La Fenice finden jährlich Wagnertage statt. Und die Wagnervereinigung hat es geschafft, vom Casino die drei Räume zu bekommen, in denen Wagner gewohnt und gearbeitet hat und wo er gestorben ist. Sie hat diese zu einem Wallfahrtsort für Wagnerianer gemacht.
Die Besucher bewegen sich andächtig in den nachempfundenen Räumen, auch wenn diesen der ursprüngliche Pomp fehlt. Die Augenzeugin Henry Perl beschrieb das Sterbezimmer Richard Wagners wie folgt: «Die ganze Mitte des Zimmers nahm ein Ruhelager ein, dessen kolossale Dimensionen nahezu verblüffend wirkten. Dieses nach antiker Art geformte Lager erhob sich kaum einen Schuh hoch von der Erde und war mit schwerem Atlas in der Farbe gefrorenen Tees überzogen. Sechs diesem Umfang entsprechende gewaltige Pfühle von gleicher Farbe und gleichem Stoffe umgaben nach orientalischer Sitte diese Riesenottomane. Die schweren roten Atlaszierraten, die in verschwenderischer Fülle darüber gebreiteten Goldbrokatdecken, machten dieses Möbel zu einem wahren Schaustück toller Pracht.»
Kritische Sicht auf Wagner
Ein Programmpunkt der diesjährigen Wagnertage war das zweitägige Symposium über Meyerbeer, Wagner und Verdi sowie über die Aufführungspraktiken im Paris des 18. Jahrhunderts. Die Beziehungen der Komponisten untereinander sowie Parallelen und Divergenzen wurden dabei von italienischen und deutschen Dozenten untersucht.
Es zeigte sich, dass Wagnerfreunde trotz aller Bewunderung nicht blind sind für die Schattenseiten seines Charakters. So O.G. Bauer, der über Meyerbeer als Vorbild Wagners referierte: «Als kleiner Musikdirektor in Dresden schrieb Wagner bewundernde Briefe an Meyerbeer. Er übernahm von ihm die Leitmotive, und viele der spektakulären Bühneneffekte, die Meyerbeers Opern in Paris so erfolgreich machten. Später äusserte er sich mit Verachtung über Meyerbeer. Das tat Wagner vor allem bei jenen, von denen er das meiste übernahm.» Und die Präsidentin der Wagnergesellschaft Venedig, Alessandra Althoff Pugliese: «Wagner wusste, was er wollte und setzte dies ohne Skrupel durch.»
Aber woher kommt dann diese Begeisterung für Wagner, diese Verehrung, wie sie Jünger ihren Meistern entgegenbringen? Allessandra Pugliese erklärt dies so: «Wagner hat verschiedene Kunstformen zu ungeahnten Höhen geführt: Die Musik natürlich, aber auch die Aufführungspraxis, die Dramaturgie, das Bühnenbild und die Kostüme. Er gestaltete in Bayreuth das Festspielhaus, den Bühnenbau und die Technik der Akustik im Theater. Auch die Bühneneffekte. Er war in allem gleichermassen ein Meister. Wenn Sie sich dem während einer Wagner-Aufführung ganz hingeben, werden Sie berauscht und wie in eine andere Dimension transportiert. Sie tauchen daraus am Ende bereichert auf, denn er hat die grundsätzlichen menschlichen Themen behandelt wie Liebe, Eifersucht, Machtstreben, Loyalität, Rache, Opfer, Tod. Er kannte sich da aus und erzählte sie durch eine Musik, die so vollkommen ist, dass die Entwicklung dieser Musikrichtung nachher abbrach und mit der Wiener Schule die Zwölftonmusik kam.»