Der Besuch des Komplexes Ciutat de les Arts i les Ciències CAC in Valencia mit der überwältigenden Reihe von Monumenten, die alle von Santiago Calatrava entworfen wurden, gibt Anlass zur Auseinandersetzung mit dem Bauvirtuosen. Ein Urteil ist schwieriger als gedacht.
Die Chance, einen solchen Park zu gestalten, wie dies der schweizerisch-spanische Architekt und Ingenieur Santiago Calatrava in Valencia nach der Jahrtausendwende dargeboten bekam, bleibt eine absolute Ausnahme. Umgeben von einem Grüngürtel mit grossen Wasserbecken reihte Calatrava vier Hauptpavillons aneinander: einen Musikpalast, ein IMAX-3D-Kino, ein Wissenschaftsmuseum und einen überkuppelten Veranstaltungsplatz.
Zum Areal gehören ferner zwei Brücken und eine lange filigrane Pergola aus Parabolbögen über einem für verschiedene Freizeitaktivitäten nutzbaren Sockel. Es ist im Grunde unmöglich, sich einer vorbehaltlosen Bewunderung zu entziehen. Da war ein begnadeter Konstrukteur am Werk, der die gewaltigen Raumhüllen mit einer überbordenden Formenvielfalt versah.
Die Gesamtsilhouette zeichnet ein ständiges Auf und Ab, beginnend mit einer gewaltigen Strebe, welche zu den Schalen überleitet, die den Musikpalast einkleiden. Dabei scheint der oberste Bogen, der zum grössten Teil ohne Stützen auskommt, kühn über dem Gebilde und der ersten Brücke zu schweben. Das IMAX-Kino wurde hermetisch in eine Kugel verpackt und diese in ein lichtes Volumen gesteckt, das frei begehbar ist.
Verlässt man diese Halle, steht man vor dem langen Museumsgebäude, das aus einer geordneten Reihe mit amorphen, plastischen Stützen und Trägern besteht. Nach dem Unterschreiten der zweiten Brücke, deren Fahrbahn mit Stahlseilen an einem gebogenen Pfeiler aufgehängt ist, steht man vor der 70 Meter hohen blauen Agora, die ursprünglich innen leer blieb, inzwischen aber mit unvorteilhaften Einbauten verstellt ist.
Wo immer man steht, bieten sich die betörendsten Fotosujets an. Das Zusammenspiel zwischen den extravaganten Formen, dem Blau des Wassers und den blendend weissen Oberflächen ist einmalig. Haben wir es hier mit einem Meisterwerk der modernen Architektur zu tun?
Der Architekturkritiker zögert. Zwei Kritikpunkte werden immer wieder genannt: Die Werke Calatravas würden die vorgesehenen Kosten massiv überschreiten und sie würden schon nach kurzer Zeit auffällig viele Bauschäden aufweisen. Budgetüberschreitungen gehören bei Engagements von berühmten Baumeistern schon fast zur Tagesordnung (wie war das schon wieder bei der Hamburger Elbphilharmonie?), und für Schäden kann der Entwerfer meistens nicht verantwortlich gemacht werden. – Diese Einwände sind im Einzelfall zu prüfen. Für die Beurteilung der Architektur sind sie nicht entscheidend.
Blenden wir zurück. Die ersten Arbeiten Calatravas kamen dadurch zustande, dass dieser von Architektenteams als Ingenieur angefragt wurde, bestimmte formale Probleme an mehr oder weniger ausgereiften Projekten zu lösen. So zeichnete er 1985 das (inzwischen abgetragene) Vordach des damaligen Postgebäudes in Luzern und wenig später die wesentlich ambitioniertere Vorhalle des Luzerner Hauptbahnhofs. Für die neue Kantonsschule Wohlen entwarf er 1988 unter anderem das segelartige Schutzdach über dem Haupteingang sowie eine expressive Raumhülle für die Aula.
Erstmals deutlich erkennbar ist die Handschrift Calatravas, wenn etwa beim Schutzdach aus dem Hauptbogen aus Metall beidseitig Rippen wachsen und dadurch dem ansonsten nüchternen Hauptbau ein dekoratives, elegantes Element vorgesetzt wird.
Endgültig lanciert war die internationale Karriere 1990 mit dem Umbau des Bahnhofs Stadelhofen in Zürich, wo hinter einem Aufnahmegebäude der Gleisbereich nüchtern funktional angelegt war. Calatrava gelang das Kunststück, gerade hier mit plastisch geformten Stützen und Trägern ein Fest für die Augen zu veranstalten. Zudem wurde der Bahnhof auf drei unterschiedlichen Ebenen mit der Umgebung vernetzt und zu einem wichtigen Knotenpunkt in diesem Stadtteil aufgewertet.
Ähnlich wie bei den Abbas, die in den 1980er-Jahren in den Hitparaden mit stets neuen Songs dauerpräsent waren, baute und konstruierte Calatrava nach seinem verdienten Erfolg in Zürich weltweit Brücken, Bahnhöfe und Kulturzentren, wobei die Bauten immer bombastischer wurden. Und sie sind seit der preisgekrönten Brücke Pont Bac de Roda in Barcelona von 1987 fast ausschliesslich blendend weiss.
Das Formenvokabular für die komplizierten statischen Systeme entlehnte Calatrava der Natur, genauer den Skeletten von Fischen und Säugetieren wie auch den Adern von Blättern. Und nicht unerwähnt bleiben darf der Einfluss von Antoni Gaudí, dessen Werke in Barcelona – Parc Güell und natürlich die Sagrada Familia – deutlich genug Vorstufen der Konstruktionsmethode von Calatrava erkennen lassen. Auch die Gusseisenarchitektur des 19. Jahrhunderts, die im Eiffelturm gipfelte, hat Calatravas Architektur Pate gestanden.
Calatrava bereitet seine Lösungen am Zeichentisch vor und zwar mit zarten Aquarellstudien, die in Sachen Architekturzeichnungen zum Besten gehören, was es gibt. Sie sind als Kunstwerke so eigenständig wie die enigmatischen Skizzen von Renzo Piano und Frank Gehry.
Warum aber gelingt es dem Architekturkritiker nicht, auch den ausgeführten Bauten die gleiche Bewunderung entgegenzubringen, obwohl er ja seine Faszination vor Ort unumwunden zugegeben hat? Es hat wesentlich mit dem Umstand zu tun, dass Calatravas Artefakte etwas Divenhaftes haben. Sie ertragen keine nachbarschaftliche Konkurrenz. Sie verlangen, angehimmelt zu werden, sie setzen alles daran, sich so zu präsentieren, dass niemand einen Mangel entdecken kann.
Diese Bauten blenden mit Makellosigkeit und souveränem Auftreten. Aber sie sind auch höchst artifiziell. Eine humane Interaktion zwischen Mensch und Objekt will sich nicht einstellen. Die Gebäude bleiben unnahbar und sind unfähig, so etwas wie eine Beziehung zuzulassen.
Oberflächliche Perfektion reicht nicht, um ein Bauwerk spannend zu machen. Es braucht auch überraschende oder gar irritierende Elemente, damit eine Interaktion zwischen Betrachter und Gebäude in Gang kommt. Solche Anlässe, um zweimal hinzuschauen, sucht man an Calatravas Bauten vergeblich. Das Spektakel überdauert nicht den momentanen Effekt. Nachdem die erste Bewunderung verpufft ist, droht Langeweile.
Trotzdem: Valencia darf auf einer Spanienreise nicht fehlen. Wer die Ciutat de les Arts i les Ciències nicht besucht, hat die Hauptsehenswürdigkeit verpasst.
Alle Fotos: Fabrizio Brentini