Es war ein heisser Augusttag in New York City, und im Madison Square Garden tagte der demokratische Parteitag des Jahres 1980. Ted Kennedy, der Senator aus Massachusetts, versuchte, dem amtierenden Präsidenten Jimmy Carter die Nominierung als Präsidentschaftskandidat zu entreissen. Da kam aus dem Waldorf Astoria Hotel eine überraschende Nachricht: Kennedy hatte knapp und ohne Angabe von Gründen seine Kandidatur zurückgezogen und für den Abend eine Rede angekündigt. Die 30 000 akkreditierten Medienleute und dreimal so viele Delegierte lauschten vollzählig dem Mann mit der Kennedy-Haartolle.
Nach den üblichen Wahlkampf-Appellen an seine Partei kam unvermittelt ein ganz neuer Ton in die Rede. Ted Kennedy zitierte ein kämpferisches Gedicht von Tennyson, den auch seine Brüder geliebt hätten. Und zum Schluss rief er mit dieser wohlbekannten hellen Kennedy-Stimme, mit diesem leicht affektiert klingenden Neu-England-Sound in die Runde: «...the work goes on, the cause endures, the hope still lives, and the dream shall never die.»
Das tönte sehr vertraut. Wortwahl und Ton weckten Jugenderinnerungen. Am nächsten Tag rief ich das Büro von Ted Sorensen an. Als er sich meldete, sagte ich ihm, ich sei eine Journalistin aus der Schweiz und glaube, er habe Ted Kennedys Rückzugsrede geschrieben. Ob ich ihn sehen könne? Sorensen lachte, gab mir aber für den gleichen Nachmittag einen Termin in seinem Büro an der Park Avenue (heute residiert sie an der Avenue of the Americas).
Die Anwaltsfirma Paul, Weiss, Rifkind, Wharton & Garrison war nicht eine Kanzlei, wie wir sie kennen. Sie muss sich über einen ganzen Block erstreckt haben. Ich erinnere mich an endlose Korridore, eng wie in einem Labyrinth, und an emsige junge Menschen in ernsthaftem Schwarz. Verglichen mit den Ausmassen dieses Anwaltsimperiums war Sorensens Büro sehr klein, obwohl er Senior-Partner war. Eingerichtet im englischen Stil, viel Mahagoni und Leder, viele Bücher, ein aufgeräumter Schreibtisch, davor zwei Besucherstühle. Auch der Mann war eher klein, mit der charakteristischen Intellektuellen-Brille der Zeit, leise, mit humorvollem Lächeln in um Augen und Mund. Er schenkte mir eine ganze Stunde, in der er von den Kennedys erzählte und sein eigenes Licht unter den Scheffel stellte.
Ted Sorensen tat, was er immer getan hatte: Er spielte seine Rolle herunter. Er habe Ted Kennedys Rede nur durchgesehen, sagte er zuerst, gab dann aber zu, dass er hier und dort ein wenig bei den Formulierungen mitgeholfen habe. Jaja, richtig, vor allem am Schluss. Sorensen, der in die Entscheidung zum Rückzug der Kandidatur einbezogen worden war, bedauerte sehr, dass nicht zum dritten Mal ein Kennedy nach der Präsidentschaft strebte. Auch vom jüngsten Bruder schien er sehr viel zu halten. Obwohl dieser ihn ein hohes Amt gekostet hatte, das ihm Jimmy Carter anbot, gleich nachdem er zum Präsidenten gewählt worden war: Die Führung der CIA. Als sich wichtige Senatoren gegen ihn stemmten, weil er Ted Kennedys unglückseliges, unverständliches Verhalten nach dem tödlichen Auto-Unfall von Chappaquiddick schöngeredet hatte, zog Sorensen seine Kandidatur zurück. Für Robert, den zweiten Bruder, hatte er den Wahlkampf mit geleitet. Aber berühmt wurde der Jurist, weil er John F. Kennedy beraten hatte.
Theodore Chaikin Sorensen kam 1928 in Lincoln, Nebraska, zur Welt, als Sohn eines dänisch-stämmigen Vaters und einer russisch-jüdischen Mutter. (Er selber bezeichnete sich immer als Unitarier und Universalisten.) Der Vater war vier Jahre lang Generalstaatsanwalt des Staates und nannte seinen Sohn nach Theodore Roosevelt. Der kleine Teddy ging beinahe täglich an der Lincoln-Statue vorbei, hinter der die gesamte Gettysburg-Rede des 16. US-Präsidenten in Stein gemeisselt war. An ihr orientierte er sich zum Teil, als er für den gewählten Präsidenten John F. Kennedy die Antrittsrede schrieb. Kennedy hatte den 25jährigen Juristen aus der tiefen Provinz als Berater engagiert, nachdem er Senator von Massachusetts geworden war. Bald avancierte das Landei zu einem seiner engsten Berater.
Sozusagen die ganze Welt horchte auf, als der junge Präsident am 20. Januar 1961 in seiner Antrittsrede vor dem Kapitol in Washington sagte: «Let the word go forth from this time and place, to friend and foe alike, that the torch has been passed to a new generation of Americans—born in this century, tempered by war, disciplined by a hard and bitter peace.» Und eine ganze Generation Jugendlicher war elektrisiert von Kennedys Aufforderung: «Ask not what your country can do for you—ask what you can do for your country.» Sorensen war auch verantwortlich für Kennedys Worte in Berlin im Jahr 1963: «Ich bin ein Berliner.» Ein Jahr zuvor hatte der Berater für seinen Präsidenten den Brief an Nikita Chruschtschew entworfen, in dem Kennedy den Sowjetchef zum Frieden mahnte und ihn aufforderte, die sowjetischen Raketen aus Kuba abzuziehen.
Nach Kennedys Ermordung im November 1963 blieb Sorensen noch eine Weile im Weissen Haus, obwohl es nun nicht mehr Camelot und er kein Ritter der Tafelrunde mehr war. Er schrieb noch ein paar Reden für Präsident Lyndon B. Johnson. Dann nahm er seinen Abschied und publizhierte 1965 eine Kennedy-Biografie, die ein internationaler Bestseller wurde. Es sei das Buch, das Kennedy mit ihm nach Ende seiner zweiten Amtszeit schreiben wollte, sagte er mit Galenhumor. Ein Anlauf, Senator von New York zu werden, scheiterte 1970. So praktizierte er als Anwalt und Berater von Politikern wie Nelson Mandela, Staaten und Unternehmen. Er doziete an Universitäten, war Mitglied hochkarätiger Think Tanks, schrieb mehrere Bücher.
2001 erlitt Theodore Sorensen einen Schlaganall, der sein Augenlicht beeinträchtigte. Dennoch gelang es ihm, bis 2009 an einer viel gerühmten Autobiografie namens «Counselor» zu arbeiten, in der seine gesammelten Erfahrungen stecken. Diese kamen auch noch Barack Obama zugute, den er beriet und den er beim Formulieren seiner Antrittsrede vom Januar 2009 unterstützte. Die Resultate des voraussehbaren Wahldebakels seiner demokratichen Partei bei den Zwischenwahlen sind ihm erspart geblieben.
Vor einer Woche erlitt Ted Sorensen, dreimal verheiratet und vierfacher Vater, einen zweiten Schlaganfall, dem er am Sonntag erlag. «Er war ein Gigant», schrieb der Präsident seiner Anwaltsfirma auf der Homepage in einer Würdigung. «Seine Wirkung auf die Nation war enomr. Einen wie ihn wird es nie mehr geben.» Über solche Nachrufe hätte sich Sorensen wohl mit ironischem Lächeln amüsiert.