Verschlungen sind die Wege der Demokratie. Das sahen wir in den letzten Jahren im Mittleren Osten, wo der Frühling rasch in einen arabischen Winter zurückfiel. Das erleben wir nun in den beiden südasiatischen Ländern Nepal und Malediven. Einmal mehr fordern uns die Entwicklungen dort auf, unsere auf Stundentakt getrimmten Erwartungen – Democracy NOW! – zu dämpfen. Gesellschaftliche Prozesse laufen langsamer ab als die 24x7-Nachrichtenzyklen uns dies vorspiegeln.
Unsichere demokratische Fortschritte
In beiden Ländern fanden letzte Woche Wahlen statt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht? Vielleicht bringen die demokratischen Urnengänge wieder die alten autokratischen Akteure ins Spiel. Vor fünf Jahren hatten In den Malediven Wahlen und eine neue Verfassung die dreissigjährige Herrschaft von Abdul Gayoom beendet. Sie verhalfen mit Mohammed Nasheed einem langjährigen Dissidenten auf den Präsidentenstuhl.
In Nepal hatte 2006, nach zehn Jahren blutigem Bürgerkrieg, ein historischer Friedensprozess begonnen. Die Maoisten waren bereit, zu demokratischen Waffen zu greifen. Gottkönig Dharmendra musste abdanken, nahm gleich noch sein Herrschaftssystem mit ins Exil, und die korrupten politischen Parteien besannen sich auf ihre politischen Ideale. „Wir werden nie mehr die Fehler der Vergangenheit wiederholen“, sagten sie alle – Maoisten, Royalisten, Sozialdemokraten, Föderalisten. „Wir werden eine Demokratie errichten, die uns niemand mehr entreissen kann“. Zwei Jahre später wählte das Volk ein Gründungsparlament, das eine neue Verfassung ausarbeiten würde.
Wahlen auf den Malediven
Der südasiatische Frühling war angebrochen. Doch wie im Maghreb wurden die Demokraten auch hier auf die Strafbank geschickt, um ihre Hausaufgaben nochmals zu machen. Letztes Jahr wurde Präsident Nasheed von Polizei und Justiz gezwungen abzudanken, weil er die alten autokratischen Gerüste etwas zu rasch abtragen wollte. Nun fanden endlich Neuwahlen statt. Das Resultat? Trotz einer klaren Führung im ersten Wahlgang verlor Nasheed den Zweikampf in der Endrunde.
Stattdessen trat mit Abdulla Yameen ein bisher unbekannter junger Mann als Sieger vor die Mikrophone. Die meisten Augen richteten sich allerdings auf den älteren Mann neben ihm, der mit breitem Lächeln alten Bekannten in der Journalistenrunde zuwinkte. Er war selber ein alter Bekannter – niemand anders als Abdul Gayoom, der vor fünf Jahren vom Volk mit Schimpf und Schande in den Ruhestand geschickt worden war. Abdulla Yameen ist Gayooms jüngerer Bruder. Und in seiner ersten Stellungnahme sagte der neue Präsident, natürlich werde er in seiner Regierungsführung auf den weisen und erfahrenen Rat seines Bruders hören.
Was war geschehen? Bei der Entlassung von Präsident Nasheed vor einem Jahr hatte sich der alte Fuchs Gayoom noch der zahlreichen Vertrauensleute bedient, die er in den Gerichten, bei Polizei und Armee plaziert hatte. Nasheed musste gehen, als er versuchte, diesen Nexus zu brechen. Doch wie gelang es Gayoom, in der Neuwahl einen Sieg des populären Nasheed zu verhindern? In der ersten Runde hatte dieser eine absolute Mehrheit nur um drei Prozentpunkte verfehlt. Gayooms alte Volkspartei dagegen hatte nur ein Viertel der Stimmen erhalten.
Wahlgeschenke und Islam als politische Rezepte
Doch eine dritte Partei hatte annähernd gleichviele Stimmen gemacht. Die ‚Jamhooree Party’ gehört einem reichen Geschäftsmann namens Gasim Ibrahim, der neben üppigen Wahlgeschenken auf die Zugkraft des Islam setzte. Nach der Ausscheidungsrunde machten Ibrahim und Gayoom einen Deal: Die Jamhooree-Partei unterstützt Abdulla Yameen, und dieser verspricht Ibrahim im Gegenzug wichtige Kabinettsposten und dem Volk handfesten Islam.
So kam es, dass in der Endrunde aus dem geschäftsfreundlichen Abdulla Yameen plötzlich ein Talib, ein Islamschüler, wurde. Statt rosigen wirtschaftlichen Aussichten lauerten plötzlich überall Gefahren für die Staatsreligion. Er plädierte für das Kopftuch, warf dem Rivalen Nasheed Komplotte mit Ungläubigen vor, und erkannte das Heil in religiöser Schulbildung. Der Trick gelang. Nasheed blieb auf seinen 48 Prozent Stimmen sitzen, Yameen wurde Präsident, und Bruder Gayoom kann im Marionettenspiel der Macht wieder die Fäden in die Finger nehmen.
Wahlen in Nepal
Wird es Nepal ähnlich ergehen? Dort musste das Volk zum zweiten Mal eine Verfassunggebende Versammlung wählen. Noch sind erst die Stimmen der 240 Wahlkreise für die eine Kammer gezählt, deren Kandidaten direkt gewählt wurden; es fehlen noch die Resultate der 335 siegreichen Anwärter für die zweite Kammer, die im Proporzsystem ermittelt wurden. Im ersten Fall gingen die beiden sozialdemokratischen Parteien als grösste Parteien aus dem Rennen, während die Maoisten als abgeschlagene Dritte ins Ziel liefen.
Soweit so gut? Nicht ganz. Zum Einen ist noch nicht klar, wie viele Stimmen die Royalisten machen werden, die im Wahlkampf das Monarchie-Tabu gebrochen haben und bereits von der Rückkehr des konstitutionellen Monarchen und einer „Herrschaft der Hindus“ träumen.
Besorgniserregend ist aber die Niederlage der Maoisten. Es war nämlich nur die abgesplitterte Hälfte der ursprünglichen Partei, die sich den Wählern gestellt hat. Vor dem Urnengang war es zum Bruch zwischen Reformern und Revolutionären gekommen. Für die Radikalen war die Erfahrung der letzten fünf Jahre eine Bestätigung ihrer Doktrin, dass nur die Herrschaft des Proletariats dem Land Stabilität und Entwicklung bringen kann. Sie gründeten ihre eigene Kommunistische Partei und riefen zusammen mit 32 anderen Linksgruppen zum Boykott der Wahl auf.
Unfähige Parteien
Sie hatten nicht unrecht, denn der ersten ‚Gesetzgebenden Versammlung’ von 2008 war es in vier Jahren nicht gelungen, auch nur ein einzige Plenarsitzung zu halten. Statt über die neue Verfassung zu debattieren, wurde um Regierungsmacht gefeilscht. Fünf Regierungen lösten einander ab, bis 2012 keine Partei mehr willens oder fähig war, die Regierung zu stellen. Der Staatspräsident sah sich gezwungen, die Geschäfte dem Obersten Richter zu übergeben.
Falls die ‚Reform’-Kommunisten nun, wie zu erwarten ist, eine schwere Niederlage einfahren, ist nicht auszuschliessen, dass sich die radikale Linie bei den Maoisten durchsetzt und sie wieder den Weg in den Dschungel einschlagen. Dies wäre eine herbe Niederlage für die Demokratie, und auch für die internationale Gemeinschaft (namentlich die Schweiz), die den Friedensprozess seit bald zehn Jahren finanziert und vorwärts gebracht hat.
Aber denken wir nicht in zu kleinen Zeiträumen, wenn wir von Demokratisierung sprechen? Mao Tse Tung antwortete bekanntlich auf die Frage, was er von der Französischen Revolution halte: „Es ist noch zu früh, um darüber zu urteilen“. Und die Schweiz hatte ja bereits 681 Jahre des Wegs zur Demokratie hinter sich, als die weibliche Bevölkerungsmehrheit das Stimmrecht erhielt. Und in gewissen Dingen hinkt sie Nepal immer noch hinterher. Dort konnten bei dieser Wahl erstmals Personen für das Parlament kandidieren, die dem ‚Third Gender’ angehören, also Transsexuelle, Eunuchen, und Leute, die ihr Geschlecht geändert haben. 155 von ihnen haben sich als Parlamentskandidat/inn/en eingeschrieben.