Obama selbst sprach es aus, als er die Luftangriffe gegen die IS-Milizen (Islamischer Staat) ankündigte, und seine obersten Generäle bestärkten die Aussage. Jahre, so erklärten sie, werde es dauern bis IS "reduziert und überwunden" sein werde. Von "besiegt" war vorsichtshalber nie die Rede.
Woher kommen die notwendigen „Stiefel“?
Auch der Grund für die lange Dauer wurde klar bezeichnet: mit der Luftwaffe allein sei IS nicht zu besiegen. Die notwendigen "Stiefel", das heisst Infanteriesoldaten, müssten anderswoher kommen als aus Amerika, letztlich aus den betroffenen Ländern. Gemeint waren damit Syrien und der Irak, vielleicht darüber hinaus weitere muslimische Staaten der Nachbarschaft, wie die Türkei, die Golfstaaten einschliesslich Saudis Arabiens - und "die Kurden".
Diese letzteren, die einzigen, die bisher wirklich am Boden kämpfen, haben keinen eigenen Staat, nur ein Autonomiegbiet im Irak, das etwa ein Viertel ihres Volkes umfasst und dazu ein kleines Anhängsel an der syrischen Nordgrenze, das drei Jahre lang in der Lage gewesen war sich selbst zu regieren und zu verteidigen, aber zur Zeit von IS überrannt zu werden droht.
Ein Anfangserfolg der Luftschläge
Dies war die Ausgangslage, als am 8. August die amerikanischen Luftstreitkräfte ihre Aktionen begannen. Am Anfang stand ein Erfolg. Der bedrohte Staudamm von Mosul konnte durch die kombinierten Eingriffe der amerikanischen Kriegsflugzeuge und kurdischer Bodentruppen, die von einigen Einheiten der irakischen Armee unterstützt worden seien, vor einer Besetzung durch IS gerettet werden.
Auch der Vormarsch der Islamisten Richtung Erbil wurde gestoppt. Die in die Berge über Sinjar geflohenen Yeziden wurden mit Nahrung und Wasser versorgt und schlussendlich weitgehend gerettet dank dem Eingreifen der kurdischen Kämpfer aus den syrischen Kurde-Enklaven.
Ausdehnung auf Syrien
Einen guten Monat später, am 23.September, dehnten die Amerikaner ihre Luftangriffe auf das von IS beherrschte syrische Gebiet aus. Sie bombardierten Raqqa und sandten Raketen aus ihren Kriegsschiffen im Mittelmeer in die syrische Provinz Idlib, um dort eine schattenhafte Gruppierung, die sie Khorasan-Gruppe nannten, zu zerschlagen. Diese, so sagten die amerikanischen Sicherheitsfachleute, seien im Begriff Pläne für einen direkten Angriff auf die USA zu schmieden. Die Gruppe scheint allerdings nicht zu IS gehört zu haben sondern wohl eher zur Nusra-Front, die in Idlib aktiv ist.
Koalition mit arabischen Erdölstaaten
Die Amerikaner brachten eine weite Koalition zustande, arabische Erdölstaaten meldeten sich als dazu gehörig: Saudiarabien, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Qatar, am Rande für geheimdienstliche Mitarbeit auch Jordanien. Die ersten zwei wollten auch ihre Luftwaffen einsetzen. Europäische Staaten schlossen sich an: Grossbritannien, Frankreich, Belgien, Dänemark und Holland entsandten Kampfflugzeuge, die allerdings nur im Irak nicht in Syrien eingesetzt werden sollten. Alle folgten dem amerikanischen Vorbild und erklärten Bodentruppen würden sie nicht entsenden.
Teilweiser Wandel in Bagdad
Der Irak erhielt eine neue Regierung unter Ministerpräsident al-Abadi. Sie versprach sunnitische Politiker mit einzubeziehen, und sie machte Anstalten, auch sunnitische Offiziere in die Streit- und Sicherheitskräfte des Irak zurückzuführen. Diese waren zuvor unter Maleki allzu sehr unter schiitische Führungsmonopole geraten. Die USA sandten Beratergruppen, die beim Wiederaufbau der irakischen Streit-und Sicherheitskräfte mithelfen sollten. Es gibt auch amerikanische Agenten, die im Gelände die Leitung der Kriegsflugzeuge auf ihre Ziele hin übernehmen.
Diese Amerikaner wirken nun in einer stillschweigenden aber widersprüchlichen Parallele zusammen mit den iranischen "Quds Kräften" (das heisst dem militärischen Geheimdienst für Auslandszwecke der iranischen Revolutionswächter, kurz der iranischen CIA) am Um- und Wiederaufbau der irakischen Streitkräfte und Sicherheitsorgane. Es scheint eine Art von Arbeitsteilung zu geben.
Die "Quds Kräfte" (Quds= Jerusalem) beschäftigen sich in erster Linie mit den schiitischen Milizen, die zusammengerufen wurden, als Bagdad bedroht schien. Sie scheinen diese auch im Einsatz anzuführen und zu beraten, wenn sie die – immer noch völlig unbrauchbare - irakische Armee bei deren Aktionen unterstützen. Das heisst, Iraner greifen auch in die Kämpfe am Boden ein, was die Amerikaner und ihre Koalition vermeiden.
Iran als Gegenpartner der USA
Der politische Einfluss der Iraner in Bagdad gilt nach wie vor als bedeutend stärker als der amerikanische. Die Iraner verfügen über Parteigänger unter den irakischen Schiiten, darunter sind auch bewaffnete Milizen, und sie üben einen grossen Einfluss auf die irakischen schiitischen Parteien aus, die nach wie vor, die wichtigsten Positionen in der Regierung innehaben.
Die Iraner haben den Amerikanern Zusammenarbeit im Irak und gegen IS angeboten. Doch die Amerikaner lehnten sie ab. Die irakische Regierung hingegen hat offiziell um Luftunterstützung durch Aussenmächte ersucht und diese nun auch erhalten. Allerdings mit einer Nuance: Abadi hat erklärt, die Saudis und die anderen arabischen Staaten sollten nicht im Irak bombardieren, nur in Syrien. Wie weit diese sich daran halten werden, ist unklar.
Die Bedenken des irakischen Ministerpräsidenten beruhen auf dem Umstand, dass es einen kalten und manchmal heissen Krieg zwischen Schiiten und Sunniten gibt, wobei die Saudis und die anderen Golfstaaten Vorkämpfer der Sunniten sind, die schiitische Regierungsmehrheit des Iraks jedoch auf der schiitischen Seite dieses kaltheissen Krieges steht - zusammen mit Iran, mit dem libanesischen Hizbullah, mit den jementischen Huthis und mit dem alawitisch dominierten Regime von Damaskus.
Fünf Kampfparteien in Syrien
In Syrien ist die politische Einbettung des langen Krieges gegen IS noch komplexer und prekärer als im Irak. Dort gibt es IS, Damaskus, die zahlreichen Gruppen von Widerstandskämpfern gegen Damaskus, die syrischen Kurden und nun auch noch die Lufteingriffe der Amerikaner und ihrer Koalition. IS und das Asad Regime sind Feinde, doch Feinde von IS sind auch einige der gegen Asad kämpfenden Gruppen. Andere schwanken in ihrer Haltung, manchmal mit IS manchmal dagegen.
Asad hat den Amerikanern Zusammenarbeit gegen IS angeboten. Doch die Amerikaner haben sie abgelehnt. Stillschweigende Zusammenarbeit zur Vermeidung von Zusammenstössen zwischen der amerikanischen Luftwaffe und jener Asads oder dessen Luftabwehr scheint es dennoch zu geben. Jedenfalls sind Zusammenstösse bisher vermieden worden.
IS und Asads Truppen sind bitter zusammengestossen, als IS - kurz bevor die amerikanischen Luftangriffe in Syrien begannen - die letzte Luftwaffenbasis der syrischen Luftwaffe im Osten Syiens bei Rutba (nördlich von Raqqa) nach langen und blutigen Kämpfen eroberte. Gefangene alawitische Soldaten scheinen in grösseren Zahlen von IS ermordet worden zu sein. Seither konzentriert sich Asad auf Beherrschung und Rückeroberung der westlichen Teile Syriens. IS sucht seine Herrschaft im Osten weiter auszubauen. Beide vermeiden Zusammenstösse.
Asad bleibt vorläufig an der Macht
Der Widerstand gegen Asad befindet sich in einem Dreifrontenkrieg zwischen Asad,IS und den Amerikanern. Innerhalb des Landes gibt es nur wenige Kämpfer, die bereit sind, mit den Amerikanern gegen IS zusammenzuarbeiten. Die Grosszahl ihrer Gruppen fordert vielmehr, dass die Amerikaner und ihre Koalition (einst gingen diese unter dem Namen der "Freunde Syriens") mit ihnen gegen Asad kämpfen sollten. Sie glauben, falls Asad zu Fall käme, würde IS "absterben", das heisst zerfallen, ohne grosse Kämpfe zu fordern. Dies wäre in der Tat denkbar.
Jedoch Asad fällt vorläufig nicht. Die Russen und die Iraner stützen ihn weiterhin, und seine Armee befindet sich auf einem langsamen Vormarsch in kleinen Schritten zurück in die Gebiete, die der Widerstand bisher beherrscht hatte. Die Amerikaner hoffen darauf, dass es doch noch möglich werde, ihnen zuneigende syrische Kämpfer auszubilden, die in der Lage wären, den Vormarsch Asads aufzuhalten und seine Macht soweit zu untergraben, dass er sich bereit fände, einem neuen Regime in Damaskus zuzustimmen, das nicht mehr unter seiner Oberherschaft stünde.
Nebelhafte pro-amerikanische syrische Truppen
Als erster Ansatz sollen nun 5000 syrische Kämpfer in Saudi Arabien ausgebildet werden, die als Kerntruppe für diese erhoffte pro-amerikanische syrische Streitmacht dienen könnten. Die Ausbildung wird jedenfalls lange Zeit dauern, gegenwärtig sind noch nicht einmal die Kandidaten für diese zukünftige Armee ausgewählt. Möglicherweise werden keine wirklich verwendbaren Truppen zustande kommen.
Gleich unwahrscheinlich ist es, dass die sogenannte FSA (Freie Syrische Armee) nocheinmal ins Leben zurückgerufen werden könnte. Falls man annehmen will, dass diese FSA jemals viel mehr war als eine Gruppe von syrischen Offizieren im türkischen Exil, die untereinander zankten.
Andere Islamisten gegen und mit IS
Die meisten heute noch kämpfenden Teile des syrischen Widerstandes sind Islamisten. Ihr Streit mit IS geht darauf zurück, dass IS sehr brutal und entschlossen auf die Schaffung eines eigenen Territoriums ausging. Raqqa wurde von mehreren Islamisten Gruppen gemeinsam erobert. Doch IS hat später die anderen Gruppen aus der Stadt verdrängt, die heute so etwas wie die zweite Hauptstadt des IS "Kalifates" bildet. Die erste Hauptstadt ist Mosul.
Im Falle der Nusra-Front versuchte IS die Unterordnung der Front unter die eigene Hoheit durchzusetzen. Die Nusra-Front verweigerte den Gehorsam. Ihre Zielsetzung ist der Sturz von Asad, danach die Bildung eines "islamischen Staates". IS hat seinen Staat schon vor dem Sturz Asad gegründet.
Wenn es um konkrete Aktionen geht, gibt es oftmals Zusammenarbeit von Kämpfern von IS mit solchen anderer Gruppen. Es kommt auch zunehmend vor, dass Gruppen oder Teile von anderen Gruppen zu IS überwechseln. Weil IS Geld und Waffen besitzt und Erfolge vorweisen kann. Ausserdem noch das Prestige besitzt, die Amerikaner anscheinend erfolgreich herausgefordert zu haben.
Die punktuelle Zusammenarbeit und die punktuellen Übertritte werden natürlich dadurch erleichtert, dass es sich in fast allen Fällen um Gruppen islamistischer Ideologie handelt, das heisst solche denen ein "Islamischer Staat" als Endziel ihres Einsatzes vorschwebt.
Der Irak zwischen USA und Iran
Man kann zusammenfassen: im Irak haben die Amerikaner einen halben Stiefel im Gelände, weil sie am Wiederaufbau der irakischen Armee mitarbeiten. Doch es ist nur ein halber Stiefel, weil auch die Iraner am Aufbau von irakischen bewaffneten Kräften arbeiten, ohne Zusammenarbeit mit den Amerikanern. Sie haben also die andere Hälfte des Stiefels. In Syrien haben die Amerikaner keinen brauchbaren Stiefel weder im Gelände noch in absehbarer Zeit in Vorbereitung.
Die IS-Taktik gegen Bombenangriffe
Was die Bombardierungen aus der Luft betrifft, so zeichnet sich bereits ab, dass die IS Kämpfer lernen, ihnen aus dem Wege zu gehn. Sie haben aufgehört untereinander zu telefonieren und ihren Kämpfern verboten ihre Mobiltelefone zu verwenden. "Telefoniere und du bekommst eine Bombe ! " warnen sie sich untereinander. Sie vermeiden Konzentrationen der leichten Lastwagen (Pick-ups), von denen aus sie zu kämpfen pflegen. Sie suchen den Schutz der bewohnten Agglomerationen.
Vor den amerikanischen Bombardierungen ihres Hauptquartiers in Raqqa haben die IS-Kämpfer dieses geräumt und sich ausserhalb Raqqas versteckt. Es scheint ihnen gelungen zu sein, vor Kobane an der syrisch türkischen Grenze 27 Tanks einzusetzen und zur Beschiessung der Stadt zu verwenden, ohne dass die amerikanischen Luftangriffe diese Beschiessung hätten beenden können. Vermutlich geschah dies durch Tarnung und häufige Verschiebung der Tanks.
Zivile sunnitische Bomben-Opfer
Die amerikanischen Fachleute hatten vorausgesehen und vorausgesagt, dass IS sich an die Luftangriffe anpassen werde. Die strengen Regeln, die theoretisch in Amerika gelten, um zu vermeiden, dass Drohnen- und Bombenangriffe zu viele zivile Opfer fordern, wurden für Syrien und für den Irak gelockert. Obwohl offensichtlich ist, dass zivile Opfer unter der in beiden Staatsgebieten weit überwiegend sunnitischen Bevölkerung die politische Zielsetzung schwer schädigen.
Ziel ist es, die sunnitische Bevölkerung von der Zusammenarbeit mit IS zu trennen und sie auf die Seite der Regierung im Irak und des Widerstandes in Syrien zu bringen. Opfer unter der sunnitischen Bevölkerung soll es auch nach den Aussagen von "Human Rights Watch" in Aussenquartieren und Vorstadtortschaften im Gürtel von Bagdad geben. Dort sind es offenbar schiitische Milizen, die sich erlauben, sunnitische Zivilisten zu massakrieren.
Unerlässlich: Sunnitische Einbindung in Bagdad
Die immer noch unvollständige neue Regierung al-Abadis in Bagdad hat zwar Sunniten auf Ehrenposten eingesetzt, doch in den zentralen Machtpositionen, Armee, Sicherheitskräfte, haben vorläufig noch immer Schiiten das sagen. Die Besetzung des Armee- und des Innenministeriums steht noch immer offen. Erst wenn dies grundlegend anders wird besteht Hoffnung, dass sich Teile der sunnitischen Bevölkerung von IS abwenden und der Regierung von Bagdad zuwenden könnten.
Nur falls die Sunniten dies wirklich tun, kann die Koalition hoffen, innert nützlicher Frist Streitkräfte zu formieren, die in der Lage wären, IS aus seinen Herrschaftsgebieten im sunnitischen Teil des Iraks zurückzudrängen und die Initiative Richtung Mosul zu ergreifen. Solange keine gesamtirakische Armee, zusammengesetzt aus Angehörigen beider Konfessionen zustande kommt, wird der Luftkrieg andauern und besten falls einer weiteren Ausdehnung der Macht von IS Einhalt gebieten.
Weitere IS-Geländegewinne im Irak
Zur Zeit ist dies nicht der Fall, Geländegewinne für IS sind sowohl in Kobane wie auch am Euphrat in Hit zu verzeichnen. Die irakischen Truppen mussten am 21. September eine weitere Niederlage, einmal mehr mit Flucht der verantwortlichen Offiziere und fehlenden Nachschüben an Nahrung und Munition, im Militärlager Saqlawiya, unweit von Falluja, hinnehmen.
Dabei sollen "zwischen 300 und 500" Soldaten und Offiziere "vermisst oder verlorengegangen sein". Die Überlebenden berichteten, IS habe zuerst die Zufuhr zu dem Militärlager abgeschnitten und eine Woche später das Lager mit Selbstmordanschlägen und Humvee Angriffen gestürmt. "Wir hatten kein Wasser, keine Nahrung und die Munition ging zu Ende", erklärte ein Leutnant, der sich retten konnte. "Wir riefen unsere Anführer an, viele Male, unsere Kommandanten, sogar Parlamentsabgeordnete, doch sie liessen uns dort, um zu sterben." Die ganze Aktion dauerte über eine Woche, und auch keine Luftschläge der Amerikaner wurden gemeldet. Ein hoher Ofizier der irakischen Armee erklärte, die Insassen des Lagers von Saqlawiya hätten sich "gelangweilt" und seien daher aus dem Lager ausgebrochen.
Politik wichtiger als Bomben
Die ersten zwei Monate dieses langen Krieges kann man mit dem vorläufigen Fazit abschliessen. Der Luftkrieg alleine wird den langen Krieg nicht entscheiden. Truppen, die wirksam gegen die IS-Terroristen kämpfen könnten, gibt es noch keine, ausser den Kurden. Ob es später einmal solche Truppen geben wird, vielleicht in einem, zwei oder drei Jahren, steht noch offen.
Angesichts der verworrenen politischen Lage in Syrien und im Irak, den beiden Ländern, aus denen diese Streitkräfte kommen sollen, ist es ungewiss ob solche Truppen überhaupt aufgebaut werden können. Letzten Endes wird die Entwicklung des langen Kriegs und sein Ausgang daher mehr von politischen Voraussetzungen abhängen als von militärischen Massnahmen. Gerade diese Voraussetzungen sind jedoch bisher nicht geschaffen.