Ronny Kanter ist 35 Jahre alt und Mineur im längsten Tunnel der Welt. Seit fünf Jahren arbeitet er tief im Berg unterhalb von Sedrun. Die meisten Mineure stammen hier aus Deutschland und Österreich, aber auch aus der Schweiz, Italien, Slowenien, Spanien, Kroatien und Portugal.
Ronny Kanter ist einer von zweitausend Neat-Kumpels. Er ist gelernter Maurer und Vorarbeiter. Er arbeitet - wie alle hier - zehn Tage lang, dann hat er vier Tage frei. Einen Tag braucht er für die Fahrt in den Norden, einen Tag zurück. Es bleiben ihm zwei richtige Freitage. Kanter gefällt diese Arbeit. Der Mann aus der früheren DDR ist fröhlich und lacht viel.
Früher lebte auch seine Freundin mit ihm in Sedrun. Sie arbeitete im Gastgewerbe. Doch dann kriegte sie ein Baby und zog zurück in den Spreewald.
“Der härteste Beruf, den es gibt“
Kanter hat am 27. Oktober 2005 mit seiner Arbeit im Neat-Tunnel begonnen. Das Datum kennt er ganz genau. Wieso ist er hier in der Schweiz? „Der Arbeitsplatz ist sicher und besser bezahlt“. Er verdient hier etwa einen Drittel mehr als in Deutschland oder Österreich; auch die Steuern sind tiefer. Die Gotthard-Röhre ist nicht sein erster Tunnel, in dem er bohrt. Immer wieder zieht es ihn unter den Berg. Früher arbeitete er in Tunnels in Österreich und Deutschland.
Er ist mit Kollegen in die Schweiz gekommen. „Zehn Mann waren wir und wurden hier angestellt“. Hat er noch engen Kontakt mit ihnen? „Eher nicht, die sind alle hier verzettelt eingesetzt“.
Moritz Leuenberger lobt die Neat-Arbeiter in höchsten Tönen: Sie „bauen nicht nur einen Tunnel, sie versetzen ganze Berge“. Kennt Kanter unseren Verkehrsminister? „Natürlich kenne ich den Moritz, ein sympathischer, witziger Mensch“.
„Mineur ist und bleibt der härteste Beruf, den es gibt“, sagt Renzo Simoni, der oberste Chef der Bauherrschaft. Als zwischen 1872 und 1882 der erste Gotthardtunnel gebaut wurde, starben 290 Menschen. Heute wird Sicherheit grossgeschrieben. Die Arbeitsbedingungen werden von der SUVA regelmässig kontrolliert. Dennoch sind sieben Arbeiter im neuen Gotthardtunnel gestorben und einer in der neuen Ceneri-Röhre.
Ein Leben im Container-Dorf
Die Arbeitszeiten sind geregelt. Gearbeitet wird in drei Schichten rund um die Uhr, auch am Wochenende. Die Frühschicht dauert von 06.00 Uhr bis 14.00 Uhr. Die Spätschicht beginnt um 14.00 Uhr und endet um 22.00 Uhr. Die Nachtschicht dauert von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr. Der Arbeitsweg bis tief in den Berg kann bis zu einer Stunde dauern. Im orangen Overall fährt Kanter zunächst einen Kilometer weit in den Berg hinein, dann mit einem riesigen Lift 800 Meter in die Tiefe. Dort, auf 540 Metern, befindet sich das Tunnel-Niveau, dort ist sein Arbeitsplatz. Über ihm türmt sich über 2443 Meter Gestein.
Beim Bau des alten Gotthard-Tunnels zwischen Göschenen und Airolo hausten die Arbeiter in riesigen Massenschlägen. Oft waren die hygienischen Bedingungen miserabel. Seither hat sich viel geändert. Die meisten Arbeiter wohnen in einem Containerdorf in Sedrun. Jeder hat Anrecht auf ein Einzelzimmer. Es gibt auf jeder Etage eine zentrale Dusche mit WC und Waschküche . Ronny Kanter ist einer der wenigen, der eine private Unterkunft hat. Er hat die kleine Wohnung, die er mit seiner Freundin bewohnte, behalten.
Viel schlafen, viel Fernsehen schauen
Vielleicht wird man zum Einzelgänger, wenn man hier in der Fremde tief unter dem Piz Vatgira arbeitet. Ronny Kanter geht selten aus. Was tut er in seiner Freizeit? „Viel schlafen und Fernsehen schauen.“ Vor allem Fussball. Doch das bringt ihm im Moment kaum Freude. Er ist ein Bayern-Fan, und Bayern liegt auf dem zwölften Platz.
Die meisten Kumpels verbringen einen Moment ihrer Freizeit in der Kantine. Manchmal trifft man eine kleine Gruppe im nahen Restaurant Mira. Auch im kleinen Wirtshaus beim Bahnhof tauchen sie auf – oder in der nahen „Peanuts“-Bar. Manchmal erhalten die Arbeiter auch Besuch von ihren Angehörigen.
Die Schweiz kennt Ronny Kanter schlecht. Manchmal mache ich einige Touren hier. Stolz erzählt er von einem Ausflug auf den nahen Oberalp-Pass. „Wir waren auch in Luzern und haben auf dem Vierwaldstätter-See eine Schifffahrt unternommen.“
Und sonst? Das Matterhorn? „Nein, kenne ich nicht“. Bern? „Nein, auch nicht“. Zürich? „Ja, ich war schon am Flughafen“. Und Skifahren? „Ja, das habe ich ein bisschen gelernt, ein bisschen“.
Ob er denn stolz sei, im längsten Tunnel der Welt zu arbeiten. „Am Anfang schon ein wenig, doch das hat sich mit den Jahren gelegt“.