An der südlichen Front, im Raum nördlich und westlich von Bagdad, ist die Lage weniger klar. Dort versuchen die irakischen Truppen und Milizen ebenfalls die Offensive zu ergreifen, doch die IS Kämpfer sind weiterhin fähig, in der strategischen Anbar Provinz Gelände zu gewinnen.
Der zweite Belagerungsring um Jebel Sinjar gebrochen
Der Berg Jebel Sinjar, die Zuflucht der Yeziden, ist zum ersten Mal im August von den IS-Kämpfern umstellt und belagert worden. Damals wurde er nach Angriffen aus der Luft von kurdischen PKK Kämpfern zurückerobert. Ihnen gelang es, eine Lücke in den Belagerungsring der IS zu schlagen und einen Teil der dortigen Flüchtlinge über syrisches Gebiet nach irakisch Kurdistan zu bringen. Die PKK errichtete ein Militärlager auf dem Berg und versuchte dort, auch yezidische Milizen auszubilden.
Doch im September und im Oktober schafften es die IS-Terroristen, weitere yezidische Dörfer zu besetzen und dadurch den Ring um den Berg wieder zu schliessen. Die Dörfer hatten ihre eigenen bewaffneten Wächter, doch diese waren den schweren Waffen der IS Angreifer unterlegen. Die Dorfbewohner und ihre Verteidiger flohen auf den Berg. Dort fanden sie sich mit den PKK Kämpfern isoliert. Auf dem Berg gibt es wenig Nahrung und sehr wenig Wasser.
Eindringlinge
Helikopter aus den irakischen Kurdengebieten kamen alle drei Tage einmal, um die Belagerten zu verproviantieren. Die Sympathie der Yeziden, die zuerst den PKK Kämpfern dankbar waren, verlagerte sich auf die Seite der irakisch kurdischen Peschmerga, als diese ihnen lebensrettende Hilfe brachten.
Zwischen den Angehörigen der PKK und den Peschmerga besteht eine scharfe Rivalität. Der Sinjar Berg und die kurdophonen Yeziden gehören zum Irak, und die Peschmerga sehen sie als Teil des irakischen Kurdistan, obwohl sie sich im August gezwungen gesehen hatten, die yezidischen Ortschaften zu räumen.
Die PKK ist eine Kampfgruppe der türkischen Kurden. Doch ihre syrischen Kämpfer der YPG (Kurdische Volksschutz Einheiten) wurden von der PKK ausgebildet und teilweise auch bewaffnet. Deshalb sehen die Behörden von Ankara und die irakischen Kurden sie als einen Arm der PKK an. Sie gelten ihnen als Eindringlinge in ihr irakisches Kurdengebiet.
Hilfreiche Luftschläge
Die Lage auf dem belagerten Berg hat sich erst mit dem jüngsten Grossangriff der Peschmerga in der vergangenen Woche geändert. Einer geballten Macht von 8000 Peschmerga, der grössten bisher eingesetzten kurdischen Streitmacht, gelang es, eine Kette von Dörfern am Fuss des Berges von den IS Leuten zu befreien und den Weg nach dem irakisch kurdischen Autonomiegebiet zu öffnen, diesmal direkt, nicht via Syrien. Der Hauptort der Yeziden, Sinjar, ist nach wie vor im Besitz des IS. Die Peschmerga-Führer sprechen davon, dass sie auch ihn zu befreien gedenken.
Auf der syrischen Seite der Grenze wird weiter um Kobane gekämpft. Dort widerstehen die Kämpfer der YPG und eine bewaffnete Gruppe von weniger als 200 Peschmerga gemeinsam der Belagerung durch IS. Die Türkei hat zweimal eine beschränkte Zahl von Peschmerga über ihr Territorium in die syrisch kurdische Grenzstadt Kobane gelassen, um den lokalen Milizen zu helfen.
Sie tat dies unter dem doppleten Druck des Auslandes und der türkischen Kurden, jedoch offensichtlich ungern. Ankara sieht die PKK und die YPG als praktisch dieselbe Macht an, und die türkischen Strategen sehen in der sich ausbreitenden Selbstständigkeit und Bewaffnung der syrischen Kurden an ihrer Südgrenze die Gefahr einer neuen Aktionsbasis der PKK , diesmal nicht nur, wie schon seit Jahren, an der irakischen Hochgebirgsgrenze zur Türkei, sondern auch an der langen, flachen und schwer zu verteidigenden syrisch-türkischen Grenze. Trotz der türkischen Einschränkungen sagen die Kurden, sie machten in Kobane langsam Fortschritte bei der Zurückeroberung der besetzten Teile der Grenzstadt. Auch dabei helfen die Luftschläge der Alliierten.
Belagerungsmentalität in Mosul
Der IS reagiert auf diese ersten Rückschläge mit verdoppelter Grausamkeit. Es gibt Berichte aus Mosul, nach denen die islamistischen Terroristen dort versuchen, eine Aushebung unter den jungen Leuten der Stadt durchzuführen. Sie haben die digitalen Telefonverbindungen unterbrochen, um den Kontakt mit der Aussenwelt zu unterbinden. Das irakische Ministerium für Menschenrechte will wissen, sie hätten über 100 fremde Jihadisten durch Hinrichtungen ermordet, weil diese Miene gemacht hätten, den IS wieder zu verlassen.
Solche Absichten werden vom IS als Verrat eingestuft. Es ist auch die Rede von über 150 Frauen, die bei Ramadi ermordet und verscharrt worden seien, weil sie sich geweigert hätten, den Jihadisten als "Bräute" zu dienen. Das gleiche wird auch von yezidischen Frauen und Mädchen berichtet, die im August in die Gewalt der Terroristen gelangt waren.
Aus Mosul verlautet, dass manche der Bewohner der Stadt versuchten, nach Raqqa, der zweiten Hauptstadt des IS, auszuweichen, weil in Mosul offenbar bereits eine Belagerungsmentalität herrscht. Der IS versuche, in Mosul Verteidigungspositionen aufzubauen und einen Verteidigungsgraben rund um die Stadt zu ziehen.
Furcht und Misstrauen
Die Bewohner beginnen zu fürchten, dass ihre Stadt zum Schlachtfeld werden könne - so wie Homs und Aleppo in Syrien. Auch in Raqqa haben sie Luftangriffe zu fürchten, sowohl von amerikanischer Seite wie auch durch die Luftwaffe von Damaskus, die sich als rücksichtsloser gegenüber zivilen Gebäuden und Einrichtungen erweist. Doch Raqqa droht zur Zeit nicht zum Schlachtfeld zu werden. Raqqa hat auch den Vorteil, dass es zum "Kalifat" gehört, so dass Personen aus Mosul, die dorthin reisen, nicht die Beschlagnahme ihrer Häuser und Repressalien gegen Verwandte zu fürchten haben. Dies ist der Fall, wenn die Bewohner "des Kalifates" versuchen, zu den Feinden der IS in die Gebiete zu fliehen, wo die kurdische oder die irakische Regierung herrschen.
Weiter im Süden, an den Fronten nach Bagdad hin, ist die Lage dadurch kompliziert, dass die sunnitischen Bewohner der Provinz Anbar nach wie vor mit Furcht und Misstrauen auf die irakische Armee und die schiitischen Milizen schauen, die versuchen, dort gegen den IS voranzukommen. Es gibt immer wieder Berichte über angebliche Übergriffe der schiitischen Milizen gegen sunnitische Zivilisten, wenn diese die Macht über sunnitische Ortschaften erlangen.
Die Vorsicht al-Abadis
Es gibt aber auch massive Mordaktionen vom IS gegenüber Stämmen, die sich entschliessen, die Waffen zu Gunsten der Regierung und gegen den IS zu ergreifen. Bestätigte Berichte über Massenmorde am Stamm der Al Bu Nimr in Ramadi und Umgebung durch IS sind ernst zu nehmen. Dieser sunnitische Stamm hatte sich für die Regierung entschieden. Die IS-Terroristen haben nicht nur seine männlichen Mitglieder, sondern auch ihre Frauen und Kinder ermordet, wo sie in ihre Hände fielen.
Die amerikanischen Berater versuchen, den irakischen Ministerpräsidenten al-Abadi dazu zu bringen, den sunnitischen Stämmen, die sich auf seine Seite schlagen wollen, mehr und bessere Waffen zukommen zu lassen. Doch al-Abadi hält sich dabei zurück. Er und seine schiitischen Mitarbeiter fürchten, dass die Stämme ihre Bewaffnung dazu nutzen könnten, nach dem Vorbild der Kurden die Unabhängigkeit ihrer sunnitischen Landesteile zu fördern.
Erfolgsmeldungen aus Amerika
Hohe amerikanische Offiziere haben ihre Einschätzung der Resultate der Luftaktion bekannt gegeben. Bis heute haben über 2000 Luftschläge stattgefunden. Die amerikanischen Generäle zeigten sich davon überzeugt, dass die IS-Kämpfer empfindliche Verluste erlitten hätten und dass einige wichtige Befehlshaber Baghdadis den Luftangriffen zum Opfer gefallen seien.
Als die wichtigste Personen, die den Luftschlägen zu Opfer gefallen ist, gilt Abu Muslim at-Turkmani, der Befehlshaber Bagdadis für den Irak. Doch die amerikanischen Einschätzungen sind mit Vorsicht aufzunehmen. Sogar wenn sie zutreffen, ist unklar, in wie weit die betreffenden Führungspersonen rasch durch andere ersetzt werden können. In Afghanistan hat die Guerilla der Taliban viele gefallene Führer und untere Ränge relativ leicht zu ersetzen vermocht. Die Militärsprecher wiederholen auch regelmässig, dass der Krieg noch lange Zeit andauern werde. Drei Jahre, bevor ein Wende einträte, sagen sie oft.