Dabei sind offensichtlich die Leiden und Gefühle der Betroffenen für die Propagandisten blosse Nebensache. Ihnen geht es darum, mit allen Mitteln die Gegenseite zu diskreditieren.
Zainab, die Totgesagte vor dem Fernsehen
Das syrische Fernsehen zeigte am 5. Oktober eine junge Frau, die erklärte, sie sei Zainab al-Hosni. Sie wies ihre Identitätskarte vor, um dies zu belegen. Sie sagte, sie sei von Zuhause geflohen und habe sich versteckt gehalten, weil ihr Bruder sie geschlagen habe. Doch dann habe sie gehört, dass übers Satellitenfernsehen verbreitet worden sei, ihre Leiche ohne Kopf sei aufgefunden und ihrer Familie übergeben worden. Sie habe sich daraufhin der Polizei gestellt, um das "lügenhafte Satellitenfernsehen zu entlarven". Die Familie der jungen Frau soll sie als ihre Tochter erkannt haben.
Satellitenfernsehen ist - im Gegensatz zum staatlichen Fernsehen Syriens - das Fernsehen, über welches die Syrer Informationen darüber empfangen, was in ihrem Land vorgeht. Das staatliche Fernsehen ist seinerseits darauf aus, die offizielle Version der Geschehnisse zu verbreiten, nach welcher die Unruhen in Syrien durch das Ausland angestachelt würden und ihre Opfer stets solche von "bewaffneten Banden" sein sollen.
Der verstümmelte Leichnam
Amnesty International sagte im September: Die Vorgeschichte von der kopflosen Leiche Zainab al-Hosnis stamme vom 23. September. Damals hatte Amnesty International einen Bericht veröffentlicht, nach dem die Familie der 18 jährigen Zainab al-Hosni am 13. September aufgefordert worden sei, im Leichenschauhaus des Militärspitals von Homs die Leiche ihres Sohns Mohammed Deeb al-Hosni abzuholen. Dieser habe zu den Demonstranten gegen das Regime gehört. Er sei am 10. September verhaftet und im Gefängnis der Sicherheit von Homs festgehalten worden.
Als sie im Leichenschauhaus waren, habe die Mutter von Zainab "zufällig" die Leiche ihrer Tochter gefunden und identifiziert. Sie sei ohne Kopf und ohne Arme, gewesen, und es fehlten auch Partien der Haut. Die Behörden hätten der Mutter nicht erlaubt, den Leichnam mitzunehmen, ihr dies jedoch 4 Tage später, am 17. September, gestattet. Sie sei damals gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, in dem es geheissen habe, bewaffnete Banden hätten die junge Frau verschleppt und getötet.
"Anscheinend", so Amnesty, sei Zainab bereits am 27. Juli "entführt" worden, von Leuten in Zivil, vermutlich Sicherheitsagenten. Diese sollen Druck auf sie ausgeübt haben, dass sie das Versteck ihres Bruder verrate.
Wahrheit und Lüge
Amnesty hat auf den Fernsehauftritt reagiert und erklärt, die Organisation verfolge die Angelegenheit weiter. Falls in der Tat Zainab am Leben sei, bestünde für die syrischen Behörden die Notwendigkeit, aufzuklären, um wessen Leichnam es sich handele, der der Mutter von Zainab übergeben wurde.
Welche Version in wie weit der Wahrheit entspricht, lässt sich nicht ausmachen. Es könnte sich um einen Auftritt handeln, der einfach vom syrischen Fernsehen inszeniert wurde. Es könnte aber auch sein, dass Amnestie ein Opfer von falschen Erklärungen geworden ist. Man kann sich auch eine Mischung von verschiedenen Halbwahrheiten vorstellen, Die ganze Wahrheit wird man kaum je erfahren.
Jede Seite glaubt allein "ihren" Quellen
Doch mit Sicherheit lässt sich sagen: Jene Kreise in Syrien, die zur Regierung halten, werden der Darstellung "ihres" Fernsehens Glauben schenken und den Auftritt der vielleicht echten oder möglicherweise auch falschen Zainab als unumstösslichen Beweis dafür nehmen, dass die ausländischen Medien "lügen".
Umgelehrt aber werden all jene Kreise, die mit den Demonstranten sympathisieren, die offizielle syrische Version ablehnen und erklären, den syrischen Propagandadiensten sei jede Verdrehung der Tatsachen zuzutrauen. Ihren Behauptungen sei unter keinen Umständen Glauben zu schenken. Der Propagandakrieg bewirkt, genau wie der Krieg auf den Strassen, die Spaltung der Syrier in zwei feindliche Lager, die einander in keiner Hinsicht mehr trauen. Je länger, desto mehr.