Die guten Nachrichten zuerst: Indischen Ingenieuren ist es gelungen, eine riesige Metallstatue – die höchste der Welt – in einer Rekordzeit von 33 Monaten zu errichten. Das Resultat kann sich sehen lassen. Die Bronze-Skulptur von Vallabhbhai Patel steht auf Augenhöhe mit der Krone des Narmada-Staudamms, und sie trifft die historische Gestalt erstaunlich gut.
Kritiker nörgelten an der dargestellten Pose des Politikers aus der Zeit der Unabhängigkeitsbewegung, die herunterhängenden klobigen Hände, die plumpen Füsse. Es ist tatsächlich eine massige Gestalt, und so sehr sie in die Landschaft ragt, man spürt, wie das Gewicht sie herunterdrückt. Aber das kann auch für Patel sprechen. Er entstammte einer Bauernkaste, und die dargestellte Figur trifft genau deren Idealbild: ein markanter Kopf auf einem behäbigen Körper.
Founding Father
Man kann auch argumentieren, dass Patel ein Denkmal verdient hat. Neben Nehru und Mahatma Gandhi war er der dritte Founding Father des unabhängigen Indiens. Seinem Geschick als erster Innenminister verdankt die neue Republik die weitgehend friedliche Eingliederung der 562 Fürstenstaaten.
Patel starb bereits 1950, und danach dominierte die Nehru-Familie die nationale Politik so vollständig, dass seine Leistungen nur noch in den Archiven weiterlebten. Derweil übersäte die Kongresspartei das Land mit Gandhi- und Nehru-Statuen, den Namen von Strassen, öffentlichen Gebäuden und Armutsprogrammen, Ähnlich erging es anderen Politikern wie Subhas Chandra Bose und Bhimrao Ambedkar.
Gewaltige Ironie
Der hindu-nationalistische RSS, dessen Mitglied Narendra Modi ist, hatte praktisch keinen Anteil am Freiheitskampf genommen, der von der säkular-liberalen Ideologie Gandhis und Nehrus geprägt war. So kam es, dass die BJP kaum Freiheitshelden vorzuweisen hat. Doch sind solche in einem Land mit einem Bevölkerungsmedian von 25 Altersjahren überhaupt noch nötig? Modis Vorgänger A. B. Vajpayee schien sie nicht zu vermissen, und dennoch gewann er zwei nationale Urnengänge.
Modi ist aus anderem Holz geschnitzt. Er sieht sich in einer direkten Linie zu den Gründervätern, während er für lebende politische Gegner bestenfalls Geringschätzung übrig hat. Warum nicht die von der Kongresspartei marginalisierten Helden als politische Ahnen reklamieren? Was gibt es da Passenderes, als die Statue des grossen Gujerati-Landmanns zu errichten? Auf dessen hohen Schultern stehend lässt sich dann auch dessen abgehobene politische Statur einfordern.
Denn auch Modi rechnet damit, dass die meisten Inder – gerade jene unter Fünfundzwanzig – sich der gewaltigen Ironie nicht bewusst sind, auf die sie da hinaufschauen. Denn Patel war nicht nur ein Kongressmann, er war auch dafür verantwortlich, dass der RSS im Gefolge des Mords an Mahatma Gandhi verboten wurde. Obwohl (oder gerade weil) er ein praktizierender Hindu war, setzte er sich für ein friedliches Zusammenleben aller Religionsgemeinschaften ein.
Ausschreitungen gegen Wanderarbeiter
Modis Ziel dagegen ist nicht nur ein „kongressfreies Indien“, er sät auch Zwietracht zwischen den Religionen. Seine Definition von „Demokratie“ ähnelt immer mehr der einer Herrschaft der Hindu-Mehrheit, mit Subsidiärrechten für die religiösen Minderheiten. Dennoch taufte er den Koloss von Kevadia – dem Standort des Monuments – mit charakteristischem Doublespeak eine „Statue of Unity“.
Bei der Einweihungszeremonie rief er aus: „Wenn es Vallabhbhai nicht gegeben hätte, müssten Inder heute Visagesuche einreichen, um ihr Land zu bereisen.“ Das ist sicher wahr. Doch nur Wochen zuvor kam es ausgerechnet in Modis Gujerat zu Ausschreitungen gegen Wanderarbeiter aus Nordindien, weil sie angeblich den Einheimischen Jobs wegnehmen. Rund 70’000 Tagelöhner packten darauf ihre Siebensachen und gingen in ihre Dörfer zurück. Ein Spezialaufgebot der Polizei stellte sicher, dass die Unruhen nicht auf die Arbeiterkolonie in Kevadia übergriffen und damit das angekündigte Einweihungsdatum durch Modi gefährdeten.
Aber auch den Einheimischen, den Adivasi-Ureinwohnern im Projektgebiet, erging es nicht besser. Die Bewohner von 22 Weilern wurden im Interesse des einigenden Bauwerks umgesiedelt. Zu diesem zählte auch Land für einen kleinen Staudamm direkt unter dem riesigen Narmada-Damm. Dieser soll Wasser für die Tourismus-Infrastruktur rund um die Statue speichern, darunter einen kleinen See, in dem Besucher herumpaddeln können.
Protest gegen Umsiedelung
Das Informationsdetail zu diesem Stausee gab auch eine weitere Nebensache preis: Diese Stammesdörfer waren bisher nicht dem Verteilnetz der riesigen Wassermassen über ihnen angeschlossen (der Narmada-Dammsee hat eine Länge von über 200 Kilometern). Dieses Netz zieht sich inzwischen über 600 Kilometer bis nahe an die pakistanische Grenze. Es speist auch den Sabermati-Fluss in Ahmedabad, so dass Modis ehemalige Hauptstadt eine würdige Flanier-Promenade bekommen konnte. Nur die Adivasis im Schatten des Staudamms blieben bislang auf dem Trockenen.
Nun hat die Umsiedlung der Bauern der „Statue of Ironies“, wie sie der Ethnologe Shiv Vishvanathan nannte, noch eine weitere hinzugefügt. Zu den touristischen Attraktionen, die rund um den Koloss auf dem Boden der früheren Stammesdörfer entstehen, gehört auch ein ... „Tribal Museum“.
Am Tag vor der Einweihung nahm die Polizei über 300 Adivasis in Schutzhaft. Sie hatten eine Demonstration angekündigt, mit der sie gegen die Umsiedlung protestieren wollten. Eine solche Kundgebung hätte einen ungünstigen Newsfeed für die Einweihung der Statue of Unity geliefert. Sie hätte die zahlreichen TV-Kameras vom Blick auf den Premierminister abgelenkt, und auf die religiösen Rituale, die er zu Füssen – bzw. unter den Zehen – des grossen Vorgängers verrichtete.
„He converted India’s diversity into its strength“
Doch eine Ameisen-Perspektive ist nichts für Grosse Männer. So waren es denn nicht diese Bilder, die am folgenden Tag die Frontseiten der Zeitungen schmückten. Es waren jene Fotos, die, mit Modi im Vordergrund stehend, das Bauwerk aus einer Distanz von anderthalb Kilometern ins Visier nahmen; dergestalt dass der 182-Meter-Mann irgendwie kleiner im Bild steht als der Mann mit der geschwellten Brust (Umfang: 142 cm).
In seiner Rede sagte Modi auch: „Die ‚Statue der Einigkeit’ ist eine Antwort auf all jene, die Indiens Existenz in Frage stellen.“ Für einen Mann, der Selbstvertrauen und Stolz ausstrahlen will, ist dies ein seltsamer Satz. Denn welchem Dummkopf käme es in den Sinn, Indiens Existenz anzuzweifeln? Ist es die Opferrolle, in die Modi so oft schlüpft, um die Dominanz der Hindus zu kaschieren?
Oder gibt er vielleicht ein tiefsitzendes Gefühl der Minderwertigkeit preis, das mit Weltrekordmarken überspielt werden will? Doch dann machte der zungenfertige Premierminister eine Bemerkung, die Patels historische Rolle präzis traf: „He converted India’s diversity into its strength.“ Es ist ein Urteil, an dem sich auch Modi von nun an wird messen lassen.
Macho-Gehabe
Der Machtmensch Modi ist wahrscheinlich klug genug, um zu wissen, wie brüchig das Macho-Gehabe ist, das sich mit Weltrekorden zu übertrumpfen versucht. Umso mehr, als sich der nächste Challenger bereits buchstäblich am Horizont abzeichnet. Nur einige hundert Kilometer weiter südlich, vor der Küste Bombays, ist letzte Woche die Grundsteinlegung einer Reiterstatue von Shivaji, dem König der Mahratten aus dem 18.Jahrhundert, erfolgt. Shivaji soll seinen Säbel 212 Meter hoch in den Himmel stechen.
Doch bereits beim ersten symbolischen Spatenstich ins Wasser des Indischen Ozeans – die Insel ist noch gar nicht aufgeschüttet – spürte auch dieser den nächsten Verfolger im Nacken. Es ist der „Spring Temple Buddha“ in China, der bisherige Höhenrekordhalter. Kaum war bekannt geworden, dass China seinen Buddha ebenfalls in höhere Sphären heben will, wurde Shivajis emporgereckte Säbelspitze auf 208 Metern eilig um vier Meter verlängert.