Imran Khan ist Pakistans neuer Premierminister. Am letzten Freitag gewann die Koalition rund um seine „Wohlfahrtsbewegung“ (PTI) 51 Prozent der Stimmen im Nationalen Parlament. Am Samstag wurde er vereidigt und am Montag folgte die Präsentation seines Kabinetts.
In seiner Ansprache an die Nation am Sonntagabend versprach Khan ein Naya Pakistan – aber es ist eher ein Tal von Schweiss und Tränen als eines, in dem Milch und Honig fliessen. Er zeichnete ein schonungsloses Bild der nationalen Wirtschaft. Mit einer Schuld von 2800 Milliarden Rupien (rund 25 Mia. $) müsse sich das Land neu verschulden, nur um jeweils seine Zinsen zu zahlen.
In beinahe allen Kriterien im Human Development Index der Uno rangiere Pakistan unter den schlechtesten zehn Ländern; bei Kinder- und Müttersterblichkeit sei es sogar Spitzenreiter. 45 Prozent der Kinder seien missgestaltet wegen Mangelernährung oder genetischen Defiziten. Ein grosser Teil der Wohnstätten seien schlechter ausgestattet als Hundehütten im Westen. Derweil „leben unsere Reichen wie die Kolonialherren es einmal taten“.
„Respekt vor dem Gesetz“
Khans Antwort war die Rückbesinnung auf das Medina-Modell, mit dem es dem Religionsgründer des Islam einmal gelungen sei, die Stämme auf der arabischen Halbinsel zu einen und eine der mächtigsten Nationen der damaligen Welt zu schaffen.
Khans Kernsätze im Geist Mohammeds lauten: der Respekt vor dem Gesetz, speziell in Sachen Korruption, eine progressive Besteuerung (so interpretiert er den Zakat), Mitgefühl als Antrieb für die Überwindung der Armut, persönliche Austerität, Meritokratie bei Verwaltungsjobs, Investitionen in Bildung und Gesundheit.
Er selber wolle mit dem guten Beispiel sagte Khan medienwirksam: Von den 524 Dienern in seiner Residenz werde er nur zwei behalten, von den 80 Fahrzeugen (darunter 33 gepanzerten) im Wagenpark des Premierministers ebenfalls nur zwei. Die Residenz würde in eine Universität umgewandelt; er selber werde in ein Drei-Zimmer-Haus einziehen.
Bekannte Gesichter
Khans Rede, das zeigen sowohl der Rückgriff auf den Propheten wie seine Umzugspläne, war noch voll von Wahlkampfrhetorik. Man war daher gespannt, wie seine ersten Schritte für das Management des 200 Millionen-Staats aussehen würden. Die Wahl seines Kabinetts am Montagmorgen zeigte dann allerdings, in der Meinung der Tageszeitung Dawn, dass er und seine Parteigenossen, trotz einer langen Kampferfahrung in der politischen Arena, immer noch administrative Novizen sind.
In der langen Reihe der Kabinettsminister, die vor den Kameras ihren Amtseid schworen, erblickten die pakistanischen TV-Zuschauer meist bekannte Gesichter. Dies hatte nicht nur mit dem Umstand zu tun, dass die diversen Kleinparteien ebenfalls mit Ministerpfründen bedacht werden mussten. Zahlreiche Politiker hatten bereits in den Regierungen von Bhuttos PPP, der Muslim-Liga Nawaz Sharifs oder gar von General Musharraf als Minister gedient.
Wie üblich hatten Establishment-Politiker bereits frühzeitig den Stimmungswandel in der Gunst sowohl der Armee wie des breiten Publikums gewittert und ihre Fahne danach ausgerichtet. Ein typischer Fall ist der neue Aussenminister Mehmood Qureshi, früher einmal Aussenamtschef in der PPP-Regierung und Finanzminister der Provinz Punjab in Sharifs Partei. Er gehört der Schicht der Grossgrundbesitzer an, die im Verein mit der Armee die Geschicke des Landes seit eh und je in ihrem Sinn gelenkt haben.
Kein Kriechen vor dem IWF
Ein wichtiger Grund für die Kabinettsauswahl ist aber auch fehlende Führungserfahrung der jungen PTI-Kerntruppe, die mit der Leitung riesiger Ministerialbürokratien hoffnungslos überfordert wäre. Der einzige enge Berater, dem Khan ein Schlüsselministerium anvertraute, ist der neue Finanzminister Asad Umar, ein Geschäftsmann und während einiger Jahre der bestbezahlte CEO Pakistans.
Umars unternehmerischer Brillanz wird sich in den nächsten Wochen und Monaten auch im Flagship-Unternehmen namens Pakistan bewähren müssen, wenn Pakistan mit der Bettelschale beim Internationalen Währungsfonds anklopfen muss. Dies umso mehr, als Imran Khan in seiner Sonntagsrede bereits antönte, dass es ihm der Stammesstolz als Pathane nicht erlauben würde, vor dem IWF zu Kreuz zu kriechen.
Dabei sind gerade die Verhandlungen mit dem Fonds von kritischer Bedeutung. Pakistan will einen Strukturkredit von 25 Mia. $; es wäre der 14. Bailout des Währungsfonds für das Land. Bisher waren diese Zuschüsse erfolgreich nur in dem Sinn, dass sie Pakistan vor der Zahlungsunfähigkeit retteten; sie waren aber nicht die (angestrebten und auch so genannten) Strukturhilfen, die Pakistan auf eine langfristige Wachstumsschiene gehoben hätte.
Eingefrorene UIS-Militärhilfe
Der IWF ist daher auch wenig populär im Land. Diese Einschätzung ist allerdings gegenseitig, und sie hat sich bei den USA als wichtigstem IWF-Mitglied unter der Trump-Administration noch verhärtet. Trump hat einen Teil der Militärhilfe bereits eingefroren, weil diese Gelder laut ihm via die Taliban gegen US-Militärs in Afghanistan eingesetzt werden.
Nun hat sich die Kritik Washingtons noch um ein weiteres Argument verschärft. Ein Teil des IWF-Kredits würde zur Bedienung der Schulden gebraucht werden, mit denen China seinen Allianzpartner beglückt hat. Es sind die teuren Milliardenkredite, die Beijing im Rahmen der Belt&Road Initiative ins Land pumpt. Warum sollen die USA (und die internationale Gemeinschaft) ein Unternehmen subventionieren, das Pakistan industrielle Entwicklung bringen mag, aber vor allem Chinas Grossmachtambitionen dient?
Imran Khan hatte sich in der Opposition gegen das „vergiftete Geschenk“ von Chinas Mammutprojekt ausgesprochen. Als er im Wahlkampf plötzlich den Sieg witterte, dämpfte er seine Kritik, zweifellos auch auf Rat der Armee. Kurz nach dem Wahltag signalisierte auch China mit dem Angebot eines Stützungskredits von 2 Mia. $, dass es seine ursprüngliche Wahlpräferenz für die Sharif-Partei zugunsten der neuen PTI-Regierung aufgegeben hatte.
Da griff er plötzlich zum Zweihänder
Aber wie beim IWF wird es Khans Stammesstolz nicht ohne weiteres zulassen, sich weiterhin vom vermeintlichen Füllhorn aus Beijing einweichen zu lassen, zumindest nicht nach aussen. Pakistanische Beobachter argwöhnen ohnehin, dass sich Khan, stolz auf seine Führungsstärke als Pakistans früherer Cricket-Captain, schwertun wird mit politischem Feilschen und diplomatischen Finessen.
Sie sahen ein Indiz dafür bereits beim ersten Parlamentsauftritt Khans am letzten Freitag. Die lautstarken Zwischenrufe von den Oppositionsbänken brachten ihn sichtlich aus dem Konzept. Statt weiterhin auf staatsmännische Versöhnlichkeit zu setzen, wie er dies seit dem Wahlsieg geübt hat, griff er plötzlich zum Zweihänder. Die Schreier hätten bloss Angst vor ihm, rief er aufgebracht, weil ihre Tage als korrupte Politiker nun gezählt seien.
Es wird interessant sein zu beobachten, welchen Ton Khan im Duett mit den kaltblütigen Profis in der Militärführung anschlagen wird. In einem Interview mit dem indischen TV-Kommentator (und Freund aus Londoner Zeiten) Karan Thapar erklärte er im Jahr 2011: „Niemand hat mich jemals kontrolliert.“ Sei er einmal an der Macht, werde die Armee ihm unterstellt sein, „keine Frage. Und der ISI wird mir rapportieren“.
Doch das war in einer Zeit, als King Khan von einer Thronbesteigung erst träumen konnte. Vielleicht hat er inzwischen vom ausgefuchsten militärischen Geheimdienst gelernt, dass süsse Worte ein wirksameres Gift sein können als Brandreden. Bereits im Wahlkampf übte er sich darin, als er mit seiner Bewunderung für General Bajwa, den Oberkommandierenden der Streitkräfte, nicht zurückhalten konnte. Er ist, sagte er, „der demokratischste Mann, den wir je gesehen haben“.