Der Sommer in Peking ist lang und heiss. Während fünf Monaten schwanken die Temperaturen zwischen 25 und 42 Grad. Ein kühles Bierchen zusammen mit knackigen, marinierten Erdnüsschen, kalten Broccoli an Soyasauce oder scharfen, fein geschnittenen Gurken an weissem Essig im Freien genossen, das ist ganz die feine Pekinger Art. Draussen am Strassenrand von moslemischen Uiguren gegrillte Lammspiesschen vervollständigen das kulinarische Glück. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses launige Sommer-Ritual zusammen mit Freunden und Bekannten vor einem feinen Restaurant oder in improvisierten Garküchen am Strassenrand stattfindet. Der Duft der Spiesschen, das kühle Bier, die Hitze, das Lachen, das sind die wahren Freuden des langen Pekinger Sommers.
Kalte Gerichte sind tabu
Das alles soll jetzt ein Ende haben oder zumindest eingeschränkt werden. Schon einmal wurden die Pekinger Sommerfreuden von den Behörden stark limitiert. Während den Olympischen Spielen 2008 und anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung der Volksrepublik 2009 durfte überhaupt nicht herausgestuhlt werden. Nicht Hygiene oder Luftverschmutzung waren damals der Grund, sondern simpel und einfach „Sicherheit“. Warum diese Massnahme mehr Sicherheit hätte bringen sollen, ist dem Laobaixing – dem Mann und der Frau auf der Strasse – bis heute ein Rätsel. Polizisten freilich sehen das, aus was für Gründen immer, etwas anders.
Doch im eben angebrochenen Sommer geht es nicht um Sicherheit im Allgemeinen sondern um Sicherheit im Besondern. Da hat China, wie die Lebensmittelskandale der letzten Jahre überdeutlich gezeigt haben, tatsächlich ein Problem. Die Pekinger Gesundheitsbehörden haben deshalb einen bunten Strauss von Massnahmen angeordnet, um die „Hygiene zu verbessern“. Kalte Gerichte, ob nun Gemüse, Erdnüsschen, Meerfrüchte, Fisch oder Fleisch, sind fortan im Freien auf dem ganzen Stadtgebiet tabu. All jene, die an der mehr oder weniger frischen Pekinger Luft – ob vor dem Restaurant oder improvisiert auf Trottoirs oder am Strassenrand – Gäste verköstigen, müssen über fliessendes Wasser, Elektrisch-Anschluss und einen vorgeschriebenen und normierten Abfallbehälter verfügen. Zudem müssen die im Freien betriebenen Garküchen und Restaurants nach Vorschrift mindestens 25 Meter von der nächsten Toilette, der nächsten Klärgrube oder der nächsten Abfallsammelstelle entfernt sein. All dies sind Auflagen, die nur wenige in der Lage sind zu erfüllen. Die angedrohten Bussen sind happig und können sich bis auf 50‘000 Yuan Renminbi (umgerechnet rund 7‘000 Franken) belaufen.
Grunzende Amts-Pandabären
Ganz eng wird es jedoch für die Spiesschen-Grill-Betreiber. Hier ist es nicht Lebensmittel-Hygiene, die entscheidend ist, sondern Umweltbedenken. Der Rauch des brutzelnden Lammfleisches verschmutzt nach Ansicht des wiehernden Amtsschimmels – Verzeihung: nach Ansicht des grunzenden Amts-Pandabären – die Luft. Logisch. Tausenden von Autos, die am Grill vorbeirauschen, könnte die Sicht vernebelt werden.
Die neuen Vorschriften kommen beim Publikum gar nicht gut an. Morgens auf dem Trottoir bei der Yong Anli-U-Bahn-Station meint mein langjähriger Frühstücksbekannter Xiao Fen kurz: „Die spinnen!“. Ob die Pfannkuchen und Ölteigstangen, die das Ehepaar Cheng aus der Provinz Hunan seit Jahren jeden Morgen den in die Bürohochhäuser strömenden Angestellten feilbieten, auch unter den neuen Vorschriften noch erlaubt sind, ist unklar. Ebenso die lecker gefüllten Gemüse Mantous des Pekingers Li oder die Fleisch-Jaozi des Ehepaars Ming aus der Provinz Sichuan. Mit einem Schulterzucken sagt Herr Cheng: „Wir werden sehen“. Auch in der Bloggosphäre wird der Entscheid der Pekinger Behörden engagiert diskutiert. Vielen positiven Stimmen stehen noch mehr kritische entgegen. Einer schrieb: „Es ist lächerlich, dass die Behörden die Grossunternehmer der luftverschmutzenden Industrie in Ruhe lassen, während sie den Kleinunternehmern, die auf einem Holzkohlengrill Lamm- und Rindspiesschen grillen, Luftverschmutzung vorwerfen“.
… wie es sich im Pekinger Sommer gehört
Ob die sauerscharfe Suppe, welche die Gesundheitsbehörde den Pekingern mit ihren Vorschriften gekocht hat, auch so heiss gegessen wird, ist eine andere Frage. Sicher, die Kontrollen sollen verschärft werden. Das wehrte Publikum wird sogar dazu aufgerufen, mitzutun und Fehlbare den Behörden umgehend zu melden. Doch offenbar trauen die Beamten dem Volk nicht ganz über den Weg. Um Konflikte mit Konsumenten zu vermeiden, berichtet die offizielle Regierungszeitung „China Daily“ , werden Beamte abends illegale Praktiken filmen, um dann den Fehlbaren tags darauf die Vorschriften und die damit verbundenen Bussen erklären.
„Noch ein kühles Bier?“, fragt acht Tage nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen Kneipenwirt Song auf die Terrasse am Rande der Ritan Beilu-Strasse heraustretend, „und marinierte Erdnüsschen wie immer?“ Auf der andern Strassenseite grillt der moslemische Wirte-Nachbar ungerührt seine Lammspiesschen. Dunkler Rauch wird vom Wind verweht. Es stinkt zum Himmel, würde dazu ein eifriger Beamter sagen. Doch weit und breit ist keiner in Sicht. Deshalb: es duftet himmlisch, so wie es sich im Pekinger Sommer gehört.