Daselbst werden die Kommissionssitzungen durchgeführt, wenn sie nicht in die ordentlichen Sessionen von Strassburg hineinfallen. Gemäss Traktandenliste war dabei ein halber Tag der „Gouvernance de la FIFA“ gewidmet, also der Unternehmensführung des grössten Sportverbandes der Welt. Bekanntlich hatte die Plenarversammlung des Europarates am 25. April 2012 bereits eine Resolution zur Ethik im Sport verabschiedet. Darin wurden nähere Abklärungen rund um die Wiederwahl von FIFA-Präsident Josef Blatter am 1. Juni 2011 für seine vierte Amtszeit sowie über die der FIFA und dem IOC nahe gestandene Sportrechte-Vermarktungsfirma ISL verlangt. Die ISL hatte ihren Sitz in Zug, fiel 2001 in Konkurs und soll jahrelang als Drehscheibe für Schmiergeldzahlungen an hohe Sportfunktionäre gedient haben.
Wirklich ein Fall für den Europarat?
Man mag sich fragen, ob der Europarat das richtige Gremium ist, um sich über das Wahlgeschäft in einem Weltsportverband zu befassen. Genügt es, dass es sich beim FIFA-Präsidenten um einen Schweizer handelt, der Gaststaat der FIFA die Schweiz ist und die mit Korruptionsvorwürfen eingedeckte ISL ihren Sitz in der Schweiz hatte, um die politische Institution Europarat in dieser Sache grossspurig aktiv werden zu lassen? Wäre hiezu nicht viel eher eine global tätige Institution oder ein internationales Gremium der Justiz zuständig gewesen? Lassen wir die Frage mal offen, denn der Europarat, obwohl aus 47 Staaten bestehend, ringt im „Schatten“ der Europäischen Union und des EU-Parlaments um öffentliches Ansehen und Existenzbeweis. Ein FIFA-Duell auf höchster Ebene zwischen Präsident Josef Blatter und seinem Gegenkandidaten von 2011, Mohammed Bin Hammam aus dem Öl-Scheichtum Katar und umstrittenem Austragungsort der Fussball-WM 2022, sollte dem Europarat zusätzliche Publizität verschaffen. Entsprechend stand Bin Hammam, Noch-Präsident des Asiatischen Fussballverbandes, an oberster Stelle des Hearingsaufgebotes vom 19. Dezember in Paris. Auch das ZDF war, zusammen mit anderen Medienvertretern, vor Ort. Lange wusste man nicht, wer seitens der FIFA zugegen sein würde. Wunschkandidat wäre natürlich Sepp Blatter selber gewesen. Dazu diente auch eine Aussprache zwischen der schweizerischen Europaratsdelegation und dem FIFA-Präsidenten im Verlaufe der Wintersession in Bern. Letztlich kam aber alles anders.
FIFA-Reformprozess auf Hochtouren
Zwei Tage vor den Hearings in Paris wurde uns die Nichtteilnahme von Bin Hammam gemeldet. Trotz zwischenzeitlicher Verbannung aus allen Fussballämtern durch die FIFA hätte er immer noch als Privatperson auftreten können. Ob es letztlich aber der Emir von Katar höchst persönlich war, der einem Wunsch von FIFA-Präsident Blatter folgend seinem „Untertan“ die Reise nach Paris ausgeredet hatte, mag der Spekulation der Boulevardmedien überlassen bleiben. Aber auch Josef Blatter blieb der Einladung fern. Wahrscheinlich hatte es der 76-jährige Walliser satt, andauernd mit – meist unbewiesenen - Vorwürfen und Unterstellungen coram publicum konfrontiert zu werden. Man mag Verständnis dafür haben oder auch nicht, aber m.E. ist der FIFA-Präsident dem Europarat gegenüber – zumindest nicht persönlich - zur Rechenschaft verpflichtet. Dafür entsandte er mit Theo Zwanziger, dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Fussballbundes, ein hohes FIFA-Exekutivkomitee-Mitglied nach Paris, das stark in die angelaufenen Reformprozesse der FIFA integriert ist. Die Kultur- und Sportkommissions-Mitglieder des Europarates konnten sich somit ein konkretes Bild aus erster Hand über die auf verschiedenen Ebenen angelaufenen Ethik- und Verhaltensmassnahmen innerhalb der FIFA machen.
Auch mein Schweizer Europaratskollege Andreas Gross, der an der Sitzung in Paris ebenfalls zugegen war, kommt in einem Kommentar im Tages-Anzeiger vom 21.12.2012 zu einer analogen Schlussfolgerung. Zwanziger machte glaubhaft, so Gross, dass der Reformprozess der FIFA keine Alibiveranstaltung ist. Es geht voran mit der Demokratisierung, der Gewaltenteilung, der Transparenz, der Entflechtung zwischen Regelungskompetenz und Business. In diesem Sinn sei Josef Blatter entgegen vielen Behauptungen nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Auch wenn ich mit Andreas Gross politisch eher selten gleicher Meinung bin, in Bezug auf die FIFA und Blatter teilen wir weitgehend die Meinung.
Und der Gaststaat Schweiz als „Steueroase“?
Im Europarat wie auch in anderen internationalen Institutionen wie der EU, der OECD oder der selbsternannten G-20 wird man im Übrigen nicht müde, der Schweiz immer wieder das verwerfliche Etikett der schädlichen Steueroase vorzuwerfen. Dies insbesondere auch im Hinblick auf ihre Position als weltweit wichtigstem Gaststaat von globalen wie europäischen Sportverbänden. Natürlich spielt auch da eine gehörige Portion Neid seitens der „Anderen-Möchte-Gerne“ mit. Warum soll die Schweiz als souveräner Staat internationalen staatlichen Institutionen wie auch privat-rechtlichen Sportverbänden nicht günstige Rahmenbedingungen bieten? Ich wage die Behauptung, eine ganze Reihe anderer Länder würde gar tief in die Schatulle greifen, würde es ihnen gelingen, eine FIFA, ein IOC oder eine UEFA zur Sitzverlegung zu veranlassen. Doch auch Sportverbände suchen politische Stabilität, optimale Verkehrsstrukturen und landschaftlich schöne Lagen für ihre Sitze und wähnen sich in der Schweiz bestens aufgehoben. Das sollte uns Schweizer doch auch mit einer Portion Genugtuung erfüllen…
Trotzdem war man im Europarat nicht müde geworden, der Schweiz anlässlich der ersten FIFA-Debatte vom 25. April 2012 im Plenum vorzuwerfen, der Bundesrat verzögere einen Bericht über „Korruptionsbekämpfung und Wettkampfmanipulation im Sport“, wie er vom Nationalrat gefordert war. Offenbar hatte man in Strassburg übersehen, dass wir in der Schweiz ein Zweikammersystem haben und der Ständerat als Zweitrat den Termin für die Abgabe des besagten Berichtes auf Ende 2012 festgelegt hatte. Inzwischen liegt der Bericht vor, gerade rechtzeitig für unsere Sitzung in Paris. Darin kündigt der Bundesrat eine verbindliche strafrechtliche Lösung für die aktive und passive Bestechung seitens von NGO’s und internationalen Sportverbänden an und er denkt dabei insbesondere auch an die Bestechung bei Vergabeentscheiden von sportlichen Grossveranstaltungen.
Und was die Zukunft der gewährten Steuerprivilegien anbetrifft, hält der Bericht unmissverständlich fest: „Sollte sich herausstellen, dass die internationalen Sportverbände die zumutbaren Massnahmen zur Bekämpfung der Korruption und damit zum Schutz der positiven Werte des Sports für die Gesellschaft und das Ansehen der Schweiz nicht zu ergreifen gewillt sind, droht die Rechtfertigung solcher Privilegierungen geschwächt zu werden. Das gilt auch für die steuerrechtliche Behandlung durch Bund und Kantone.“