Maos Porträt haengt, unangestastet von Zeit und Geschichte, nördlich des Mausoleums auf der berühmten Nordsüdachse am Tiananmen-Tor. Niemand wird in der vorhersehbaren Zukunft daran etwas ändern. Denn Mao ist heute, wenngleich in der offiziellen Geschichtsschreibung als Gründervater des modernen, neuen China über allen Klee gelobt, beim Volk eher so etwas wie einer der unzähligen Daoistischn Gottheiten. Nicht wenige Taxichauffeure haben am Rückspiegel ein Mao-Amulette befestigt, ähnlich wie in einigen westlichen Laendern der heilige Christophorus den Chauffeur vor Unbill bewahren soll.
""Unter Mao war das meiste besser als heute"
Mit andern Worten: Mao ist in China jenseits von Ideologie, Marxismus-Leninismus und Maodsedong-Denken (wieder) Kult. Retro als quasi Flucht in eine vermeintlich bessere, heile Welt in einer mit der Globalisierung und Moderniesierung immer komplexer und schwieriger gewordenen Umwelt. , Zhao Qu’s bewunderter Held ist der Grosse Steuermann Mao Dsedong. „Als Mao China regierte“, vertraute er mir einmal an, „war das meiste besser als heute“. Ja sicher, doch Hunde durfte man damals in Peking aus hygienischen Gründen nicht halten. Das sei aber etwas vom wenigen, was heute besser sei, sagt Zhao, mit dem ich morgens beim Gassi-Gehen meines Hundes Meimei am nahen Kanal gelegentlich einige Worte wechsle.
Zhao Qu, 55 Jahre alt, gehört zur „verlorenen Generation“. Zu Maos Zeiten nämlich musste man „rot“ und nicht „Experte“ sein. Das heisst: Schul- und Universitätsbildung lagen darnieder. Bei Beginn der Reform 1978 hatten Zhao und seine Generation keine Chance.
Auf Mao laesst Zhao gar nichts kommen. Vielleicht weil ich Ausländer bin, dazu noch Journalist, zitiert er das hochoffizielle Partei-Verdikt in Sachen Mao. Anfang der 80er-Jahre unter der Ägide des grossen Revolutionaers und Reformers Deng Xiaoping befand die allmächtige Partei, dass Mao zu siebzig Prozent Gutes und zu dreissig Prozent Schlechtes getan habe. Der kluge Deng wies im übrigen darauf hin, dass Geschichte erst viel später ein endgültiges Urteil fällen könne.
Das grosse Vergessen
Im Umgang mit Japan und den Greueltaten der kaiserlichen Armee während des II. Weltkrieges erteilt China immer gerne Geschichtslektionen. Überhaupt, Chinesinnen und Chinesen, nicht zuletzt die kommunistische FÜhrung, sind sehr geschichtsbewusst. Allein, wenn es um die Jahre unter Mao geht, dann setzt so etwas ein wie eine nationale Amnesie. In den Lebensläufen von Parteikadern sind die Jahre bespielsweise der „Grossen Proletarischen Kulturrevolution“ (1966-76) bemerkenswert kurz und einsilbig. Auch über die Jahre des „Grossen Sprungs nach Vorn“ (1958-61), der extremen Kollektivierung der Landwirtschaft mit den Kommunen und der daraus resultierenden grossen Hungersnot mit zwanzig bis dreissig Millionen Toten sind die Lebensläufe wenig aussagekräftig.
In den Schulbüchern wird die Hungersnot noch immer als ein von Naturkatastrophen verursachtes Ereignis beschrieben. In den unzähligen Interviews, die ich seit Mitte der 80er Jahre geführt habe, wurde die Kulturrevolution genauso wie die Hungersnot kurz, wenn überhaupt, und ungern angesprochen.
Das grosse Vergessen, Verdraengen also. Wie nur passt da der derzeitige Mao-Revival dazu? Dass Zhao und die „Verlorene Generation“ den „Grossen Vorsitzenden“ verehren und ihm nachtrauern, ist verständlich. Mao-Restaurants gibt es zwar schon lange, denn Maos Lieblingsgericht, naemlich fetttriefendes Schweinefleisch aus seiner Heimat Hunan, ist lecker und sehr beliebt. Dass jetzt offenbar mit Mao auch ein gutes Geschäft gemacht wird, ist neu.
Servieren in der Uniform der Roten Garden
In Peking zum Beispiel gibt es ein grosses Restaurant jenseits der sechsten Ringstrasse, dass jeden Abend praktisch ausverkauft ist. An den Wänden Mao-Posters. Alles ist wie einst revolutionär dekoriert. Kellner und Kellnerinnen servieren in den Uniformen der einst berüchtigen Roten Garden. „Dem Volke dienen“ heisst der Slogan. Auf einer Bühne werden von Schauspielern und dem Servierpersonal mit in die Höhe gereckten Fäusten revolutionäre Parolen ins begeisterte Publikum geschmettert und zum Abschluss wird die Internationale gesungen. Kommunistischer Kitsch as Kitsch can. Alle waren guter Dinge, Jung und Alt. Ähnliche Lokale gibt es auch anderswo in China.
Sogar für die Reichen, Schönen und Ausländer gibt es jetzt entsprechende Etablissements. In der chinesischen Hauptstadt ist das beispielshalber der „Red Capital Club“. Das Siheyuan, das traditionelle Haus mit Innenhof, liegt in einem der Hutongs (Gassen) an der Dongsijoutao. Dort wohnten schon zu Kaisers Zeiten hohe Beamte. Heute haben in diesem Quartier mehrere der ganz Mächtigen ihren Wohnsitz, nicht weit davon entfernt auch die Familie Deng Xiaopings.
Vor dem Eingang des „Red Capital Club“ ist eine Limousine der Marke „Rote Fahne“ parkiert. In solchen Autos wurde zu Maos Zeiten die Grosskopfeten der Partei herumchauffiert. Im Innern des Restaurants ist alles wie einst im Mai geschmackvoll ausstaffiert. Das Servierpersonal, versteht sich, in Uniform. Eines der Sofa in der reich ausgestatteten Bar soll Marschall Lin Biao gehört haben. Und erst die Küche. Exquisit, eine Mischung aus kaiserlichen und roten Gerichten, eben so, wie zum Beispiel unter Mao das Politbuero in Zhongnanhai – der Parteizentrale und „Neuen Verbotenen Stadt“ – gespeist haben soll.
Dass dieses Mao-Retro-Lokal von einem Amerikaner erfunden und gegründet wurde, tut dem ganzen keinen Abbruch. Der Jurist und Schriftsteller Laurence Brahm nämlich ist ein profunder Kenner von Chinas Geschichte -und Wirtschaft natürlich.
Wann kommt die kritische Aufarbeitung?
Auf den Antiquitaeten-Maerkten schliesslich werden nicht nur noch immer Mao-Bibeln – einst in Hundert-Millionen-Auflagen verbreitet – feilgeboten. Auch jede Menge von Mao-Memorabilia findet ihre ausländischen und immer mehr auch chinesischen Käufer.
Die Realität jener Jahre ist vielleicht zu harsch und das Volk zu stark traumatisiert. Deshalb muss wohl idealisiert und romantisiert werden. Der Mao-Retro-Kitsch kommt da gerade recht. Wie lange noch? Irgendwann wird die Zeit kommen. Auch in der Schweiz hat es ja fünfzig Jahre bis zum Bergier-Bericht gedauert.......