Da steht er vor dem Rost. Um ihn herum lauern die Kinder. Sie sind stolz auf ihren Papi. Er führt das Zepter, er steht im Mittelpunkt, er dirigiert. Mammi sitzt auf einer Wolldecke. In Reichweite eine Salbe bei Verbrennungen – doch das weiss er nicht.
Feuer ist immer magisch und mystisch. Selbst dann, wenn es in einem armseligen Rost dahindämmert. Doch die traurigste Glut lässt Träume fliegen. Der Mann am Lagerfeuer, irgendwo im Wilden Westen. Er, der Clanführer, er gibt den Seinen zu essen, und sie bewundern ihn. Am Grill ist der Mann noch Mann.
Zwar baumelt kein Colt an seinem Gurt, doch die Grillzange ersetzt den Colt. Sie fühlt sich an wie ein Spiess, ein Schwert.
Jetzt bellt auf der Waldwiese ein Cocker Spaniel. Doch der Mann am Grill hört ihn nicht: Er hört nur die Büffel, die brüllen und röhren, er hört das Trampeln der Herde.
Jetzt ist er Buffalo Bill. Jetzt sieht er seine Kinder nicht mehr, die Mutti mit der Verbrennungssalbe schon gar nicht. Auch Tante Rosa ist da. Sie sitzt auf einem Klappstuhl unter einem Baum - ein kleines Radio auf den Knien. Sie liest die „Bunte“. Auch Tante Rosa verschwindet in seinen beräucherten Blicken.
Jetzt ist er frei, ein freier Mann, kein Büro, keine Zwänge, keine Termine, keine blöden Mitarbeiter. Er steht am Feuer, sein Rücken streckt sich. Jetzt ist er Cowboy. Er blickt auf und sieht sein Pferd, angebunden an einem Baum auf dem Waldweg. Zwar ist das Pferd in Wirklichkeit sein Opel, doch jetzt sieht er nur Pferde.
Er unterscheidet sich von diesen Grill-Softies, diesen Warmduschern, die ein teures Grillgerät für 1‘943 Franken in den Wald schleppen. Oder jene Dussel, die mit Gas feuern. Oder jene, die einen Stachel-Thermometer brauchen – mit all dem übrigen Quatsch: der Edelstahlbürste für den Rost, dem Barbecue Grillpinsel, der rostfreien Wendeklaue, dem Anzünde-Gel. Schon mal einen Cowboy mit Grillpinsel gesehen…?
Er unterscheidet sich auch von diesen Weicheiern, die ein Grill-Buch konsultieren. Er weiss auch ohne Buch, wie man den Büffel auf den Rost kriegt – oder das Schweinswürstchen aus der Klarsichtfolie.
Er spottet über jene freudlosen Langweiler, die Bio-Gemüse oder Convenience-Fisch grillieren. Ein richtiger Cowboy isst Fleisch, saftiges Fleisch, einen Bison aus der Prairie. Und er lacht darüber, dass die Deutschen „grillen“ sagen. Wir Schweizer sagen „grillieren“.
Er atmet den Rauch ein und ist glücklich. Er fühlt die weite Steppe. Er murmelt die alten Cowboy-Songs. Johnny Cash, „Ring of Fire“ oder „Don’t Take Your Guns to Town“. Und im Radio von Tante Rosa singt Andrea Berg: „Hoch auf dem Kilimandscharo da liegt im Sommer noch Schnee, und tief im Herzen, da tut‘s immer noch weh.“
Und jetzt einen Schluck Whiskey, einen George Dickel Tennessee. Doch Whiskey gibt’s hier keinen. Er ist ja mit dem Auto da, die Kinder, die 0,5 Promille. So nimmt er einen Schluck Bier, Bio, Light, 2,6 Prozent Alkohol.
Natürlich dauert die Euphorie nicht ewig. Papi muss ja Fleisch servieren - und nicht Kohle. So kommt der Moment, in dem er seine Untertanen zusammenruft. Jeder und jede kriegen ein Stück. Natürlich klatschen sie, loben seine Kochkunst. Es ist ihm gelungen, den Indianerbüffel vor der Verkohlung zu retten.
Jetzt packt Mammi die Verbrennungssalbe ein. Und ein Polizist steht vor dem Opel. Er heftet einen Bussenzettel unter den Scheibenwischer. Das Pferd steht im Parkverbot.