Da sitzt er vorne auf dem kleinen Podest, hellwach, charmant und ungemein eloquent. Macht seinem Ruf eines brillanten Unterhalters alle Ehre. Stellt sein Buch mit dem Titel „Der Mann, der das Glück bringt“ vor, liest gekonnt ein paar Passagen und spornt mit Zwischenrufen seine Mit-Künstlerin an, die rumänische Sopranistin Irina Ungureanu, die den Abend mit experimentellen Interpretationen rumänischer Volksmusik garniert. Hörglück, Leseglück, das vermittelt Florescu mit seinem neuen Roman und beherrscht dabei eines der schwierigen Kunststücke, die den Literaten aufgetragen sind: harte, grausame Thematik so zu verarbeiten, dass sie einerseits nicht verharmlost oder beschönigt wird und anderseits den Leser mitreisst und fesselt.
Selbstbewusster Immigrant
Florescu schreibt deutsch - und was für ein Deutsch! Er hat für seinen letzten Roman, „Jacob beschliesst zu lieben“, den Schweizer Buchpreis bekommen. Und er gehört zu jener eher kleinen Gruppe selbstbewusster Immigranten, die es wagen, offensiv zu artikulieren, den Spiess auch mal umdrehen und es also unternehmen, die lieben Schweizer Literaturfreunde darauf hinzuweisen, dass man ihnen als Fremder mit anderen kulturellen Hintergründen, eventuell einiges mitgebracht und verrmittelt, dass man überhaupt zur Horizonterweiterung beigetragen habe, anstatt, integrativ bis zur Selbstaufgabe, notorisch damit beschäftigt zu sein, ein immer besserer Schweizer zu werden.
Tatsächlich öffnet einem Florescu die Augen für Welten, die den meisten von uns fremd sein dürften. Der einen, dem Donaudelta, entstammt er, die andere, New York vor hundert Jahren, hat er sich in langwieriger Recherchearbeit angeeignet. Er habe ein Hauptthema, sagt Florescu, und dieses Thema hat schon auch mit dem Status des Immigranten zu tun. Wo findet sich das Glück? Wo soll man leben? Und wie sicher ist dieses Glück? Wo und wie lebt es sich glücklich und sicher? Die Kunst dieses Autors besteht darin, solch einfache Sehnsüchte, Wünsche, Utopien stehen zu lassen, als mächtige Zeichen am literarischen Horizont, ohne sie wirklich einzulösen. Im neuen Roman braucht es viel, fast den ganzen Text, bis sich die Protagonisten endlich eine Portion jenes Glücks abschneiden können, dessen der Leser von Anfang an teilhaftig wird.
Vaudeville
„Der Mann, der das Glück bringt“, Ray mit Namen, ist ein kleiner, nicht eben erfolgreicher Vaudeville-Sänger. Florescus Titel versteht er, Ray aus New York, wörtlich. Vaudeville, das flüchtige Lied, die Burleske, das applaudierende Publikum, die Verheissung von Ruhm und Geld – das hat schon Rays Grossvater gesucht und nicht gefunden; Ray reist seiner geliebten Elena nach, ins Donaudelta, und dort scheint ihm, auf den letzten Seiten des Romans, das musikalische Glückbringen doch noch zu gelingen.
Erzählt wird in zwei Strängen, von zwei Protagonisten. Ray der New Yorker und Elena die Rumänin aus dem Donaudelta erzählen sich ihre Geschichten und Vorgeschichten. Sie spielen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Die eine, die manchmal an magischen Realismus denken lässt, handelt von Leben und Tod – und einer Leprakolonie – im Dschungel des Donaudeltas; die andere führt in den Grossstadt-Dschungel New Yorks, in irische, italienische, jüdische Ghettos. Auch hier geht es meistens ums blosse Überleben.
Rays Grossvater und Elenas Grossmutter dominieren die Erzählstränge, die lange Zeit parallel laufen und sich schliesslich verschlingen und verbinden. Um sie zu alimentieren, findet und erfindet der Autor eine Materialfülle sondergleichen, die sich mal in durchgehenden Motiven, mal in Ketten von überraschenden, wunderbaren Einfällen und Begebenheiten manifestiert. Florescu ist das, was man einen genuinen Erzähler nennen möchte; will heissen: das Fantasieren und Schreiben, wirkt bei ihm, trotz ersichtlicher formaler Disziplin, ja Strenge, trotz Stilsicherheit wie die natürlichste und einfachste Sache der Welt.
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Catalin Dorian Florescu: Der Mann, der das Glück bringt, C.H. Beck Verlag, 28 Sfr.