Wenn Menschen nach Staatsstreichen oder in Bürgerkriegen verfolgt wurden, dann begann Kaplan Koch zu telefonieren, zu schreiben, zu überzeugen, zu insistieren, damit Verfolgte in der Schweiz Aufnahme fänden. In solchen Situationen hat dieser sonst zurückhaltende Mann, alle seine Freunde eingespannt, Beziehungen spielen lassen, Bischöfe um Unterstützung gebeten und sich nicht gescheut, spätabends einen Bundesrat inständig zu bitten, gefährdete Menschen zu schützen.
Zwei seiner langjährigen Mitstreiter, Claude Braun und Michael Rössler, haben zusammen eine Biografie (*) über Cornelius Koch geschrieben. Einfühlsam und kenntnisreich zeichnen sie das Porträt des ruhelosen Flüchtlingskaplans, der angesichts menschlicher Not helfen musste, der mit seinen immer neuen Aktionen aber auch seine Vertrauten vor den Kopf stossen konnte. Er ist im Sommer 2001 in Basel erst 61jährig gestorben.
Einschneidend: Der Tod der Mutter
Cornelius Koch wurde 1940 in Rumänien geboren, sein Vater, ein Kleininustrieller war Schweizer, seine Mutter Rumänin. Nachdem die Kommunisten an die Macht gekommen waren und die kleine Fabrik verloren gegangen war, flüchtete die Familie 1948 in die Schweiz. In der Nähe von Winterthur erlebte Cornelius, was es bedeutet Flüchtling zu sein: in den ersten Monaten wurde er und sein älterer Bruder als Zigeuner- und Kommunistenkinder von Mitschülern beschimpft und regelrecht verfolgt. Die Mutter verkraftete den sozialen Abstieg nicht, ihr Mann musste als Hilfsarbeiter in Winterthur das Brot verdienen; sie fand sich in der fremden Welt nicht zurecht und nahm sich das Leben. Das war ein schrecklicher Schlag für den 11jährigen Cornelius, und in ihm erwachte der Wunsch, andern zu helfen: er wollte Arbeiterpriester werden. Im Sommer 1968 wurde er von Bischof Anton Hänggi zum Priester geweiht.
Als Vikar in Neuhausen, einer Industriegemeinde, hoffte er auf eine bewusste Arbeiterschaft, die für eine bessere, gerechtere Welt kämpfen würde. Doch er spürte die wachsenden Spannungen zwischen den Schweizer Arbeitern und den Italienern. Der junge Priester sammelte die ersten Argumente gegen die fremdenfeindliche Nationale Aktion und die Schwarzenbach-Initiative, was ihm später bei seinem Einsatz zugunsten von Flüchtlingen und Immigranten zugute kommen sollte. Er pflegte auch Kontakt zur Lehrlings- und Studentengruppe Hydra in Schaffhausen und in Basel, die sich gegen Missstände in der Arbeitswelt zur Wehr setzte.
Der Streik gegen eine Fabrikschliessung im elsässischen Schirmeck bewegte die Hydra Basel; eines ihrer Mitglieder bat Koch so hartnäckig um Hilfe, dass er sich bereit erklärte, einen Brief an die Pfarrer im Bistum Basel zu schicken mit der Bitte, Geld für die Streikenden zu sammeln. Nur wenige Pfarrer boten Hilfe an. In seiner Enttäuschung schrieb er einen geharnischten Appell, um seine Kollegen aufzurütteln, was denn auch wirkte. Ans Gewissen der Christen zu appellieren und sie aufzufordern, den Schwachen zu helfen, sollte zu seiner Lebensaufgabe werden.
Inzwischen hatte Cornelius Koch die Vertretung in einer Tessiner Pfarrei übernommen, als 1973 ein Militärputsch die Regierung Allende wegfegte und die Jagd auf die Linken einsetzte. Die Brutalität, mit der General Pinochet und seine Anhänger vorgingen, erschütterte den Priester. Nachdem bekannt worden war, dass der Schweizer Botschafter in Chile Schutzsuchenden den Zutritt zur Botschaft verweigerte, wurde ihm bewusst, dass mit Appellen an die Behörden keine grosszügige Aufnahme von Flüchtlingen erreicht würde. Im kleinen Kreis entstand die Idee einer Freiplatzaktion. In einem Brief an die Kirchgemeinden, Pfarrer und Klöster in der ganzen Schweiz bat Kaplan Koch jede Gemeinde, fünf Chileflüchtlinge aufzunehmen; sofort wurden 2500 Chilenen Freiplätze angeboten. Die grossen christlichen Hilfswerke Caritas und Heks wie auch die Bischöfe verweigerten ihre Unterstützung, und der Bundesrat sprach sich gegen die Aufnahme von Chileflüchtlingen aus. In einer Debatte im Nationalrat kritisierte und verspottete Bundesrat Furgler mit unüblicher Vehemenz die Freiplatzaktion und griff Kaplan Koch persönlich an („Es kocht eben jeder auf seinem eigenen Kocher.“) Der unermüdlich Helfer war für die Behörden zum roten Tuch geworden. Deshalb übergab er die Leitung der Freiplatzaktion dem angesehenen protestantischen Pfarrer aus dem Tessin, Guido Rivoir. Mit viel Ausdauer und der Unterstützung auch der Tessiner Behörden, gelang es, über 2000 Chilenen in der Schweiz Schutz zu bieten.
Als Mitte der 80er Jahre einer Gruppe Asylsuchender aus Chile, die in ihr Land zurückgeschickt werden sollten, Kirchenasyl in Zürich-Seebach gewährt wurde, war Kaplan Koch daran beteiligt. Er erinnerte daran, dass es ein altes, oft vergessenes Recht der Kirchen sei, Leuten Schutz vor Verfolgung zu bieten. 1991 wollte Koch für die Kurden, die in Flüeli-Ranft in den Hungerstreik getreten waren, die Unterstützung der Spitze der Kirchen gewinnen, um sie vor der Rückführung in die Türkei zu schützen. Zum Treffen aller im Raum einer Kirchgemeinde in Bern war auch die Presse eingeladen, doch plötzlich erschien die Polizei und verhaftete die Kurden, die Tage später in die Türkei zurückgeflogen wurden. Darauf hagelte es Kritik, und der Kaplan stellte sich quälende Fragen über seine Schuld. Einmal mehr hatte Kaplan Koch die Bischöfe geärgert, doch er wollte sich weiterhin im Namen der Kirche für die Schwächsten einsetzten, und er erreichte, dass er weiterhin vom kirchlichen Dienst im Bistum Basel beurlaubt blieb.
1.-August-Feiern mit Dimitri und Botta
Empört über die Zurückweisung von Flüchtlingen an der schweizerischen Grenze in Tessin, gelang es Kaplan Koch den Clown Dimitri und den Architekten Mario Botta für die alternativen 1.Augustfeiern im italienischen Ponte Chiasso sowie für andere Protestaktionen gegen die enge Flüchtlingspolitik zu gewinnen. All die Jahre war Kaplan Koch pausenlos unterwegs, um den Bedürftigen im In- und Ausland zu helfen, in seinen letzten Lebensjahren auch für die Sans-papiers, die während vieler Jahre unter der Bedrohung einer plötzliche Wegweisung ihr Brot verdienten. Zwar hatte er eine Gruppe treuer Mitstreiter, doch Cornelius Koch, war eigentlich ein einsamer, verletzlicher Mensch, der sich nach Liebe sehnte. Nach seinem frühen Tod gründeten seine Mitarbeiter den Verein „Freundeskreis Cornelius Koch“, der dessen Werk weiterzuführen versucht. Der Flüchtlingskaplan fehlt ihnen jedoch, seine Stimme, sein Wirken fehlt auch der Schweiz.
(*) Claude Braun/Michael Rössler: Ein unbequemes Leben. Cornelius Koch, Flüchtlingskaplan. Zytglogge-Verlag, 2011, Fr. 36.--.