Eine Ausstellung, Zeichnungen, Ton- und Fotodokumente, ein dickes Buch bringen uns die Schweizer Autorin Adelheid Duvanel ins Bewusstsein.
In der Galerie Litar in Zürich bietet sich Gelegenheit, einer der abgründigsten und spannendsten Schweizer Autorinnen des 20. Jahrhunderts zu begegnen. Adelheid Duvanel, 1936 in Pratteln geboren, 1996 in Basel gestorben, viel zu schnell in Vergessenheit geraten, war eine Doppelbegabung: als bildende Künstlerin kaum bekannt, konnte sie als Erzählerin auf ein treues, kleines Publikum zählen. In der Galerie Litar können bis zum 11. Dezember einige ihrer Filzstiftzeichnungen besichtigt werden – selten gezeigte Kostbarkeiten. Mit harten Strichen, mit mal grellen, mal düsteren Farben werden expressive Porträts richtiggehend hingehauen, Geschichten erzählt. Was der Filzstift hervorbringt, wirkt plakativ, Nuancierungen sind kaum möglich, Korrekturen auch nicht. Mit wenigen, sicher gesetzten Strichen bringt Duvanel zu Papier, was sie beschäftigt.
In einem abgesonderten Raum kann man ihr zuhören, wie sie eine ihrer Erzählungen liest, ruhig, fast tonlos, ohne sichtbare Emotionen. Was immer Adelheid Duvanel schafft, ob mit Zeichen, Formen, Farben, ob mit Wörtern und Sätzen, es kommt wie von sehr weit her auf den Betrachter oder die Leserin zu, es wirkt fremd und doch absolut stimmig, in einer schwer zu beschreibenden Art «richtig», es kann so und nur so gesagt, geschrieben, gezeichnet werden. Das Fremdeste ist ihr das Selbstverständlichste, in der Fremde ist sie zuhause. Zeugnis von dieser eindrücklichen Fremd-Literatur legt ein grossartiger dicker Wälzer ab, erschienen diesen Frühling im Limmat Verlag. Unter dem Titel «Fern von hier» wird das Gesamtwerk von Duvanels Erzählungen, ca. 250 an der Zahl, gedruckt; dazu kommen zwei lesenswerte Texte der Herausgeberinnen, Elsbeth Dangel-Pelloquin und Friederike Kretzen.
Adelheid Duvanel, die selbst ein schweres Leben hatte, erfindet und beschreibt Randständige in unserer Gesellschaft, Unglückliche, Vereinsamte, Spinner, psychisch Angeschlagene, Süchtige, in einem lakonischen Stil, mit dem sie es schafft, ganze Welten, tiefe Abgründe zu insinuieren. Auf zwei, drei Seiten entwickelt sie die meisten ihrer Erzählungen, rasch kommt sie zur Sache, kurz und bündig wird sie behandelt. Scheinbar mühelos, manchmal schwerelos arbeitet ihre Fantasie, jeder Satz bietet eine Überraschung. Namenlose Stadtlandschaften, Agglomerationen dienen als Kulisse, Naturbilder bizarrster Art malen sie aus und verfremden sie. Sarkasmus, hintergründiger Humor, eine fein dosierte Ironie durchsetzen die oft dramatischen, traumatischen Geschichten, nehmen ihnen die Schwere. Fragile Figuren werden ausgesetzt, schaffen sich eine Realität ausserhalb der real existierenden Realität, landen nicht selten in der Psychiatrie (die ihnen nicht helfen kann), finden oder erfinden sich ein kleines Glück, verlieren sich, gehen unter.
Wie ein erratischer Block steht dieses Erzählwerk in der literarischen Landschaft der Schweiz. Mit nichts zu vergleichen. Und die einzelnen Stücke wirken 25 Jahre nach dem Tod der Autorin frisch, als ob sie gerade geschrieben worden wären.
Galeri Litar, Letzistrasse 23, 8006 Zürich, bis 11. Dezember 2021